14 * Alles eine Frage der Psyche

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Als er Mick aus dem Zimmer befördert hatte, hatte Isaac sich umgezogen, sein Bett gemacht und alle Spuren von einem Besuch beseitigt. Gänzlich seine Augenringe könnten ihn verraten. Sie schimmerten in der Herbstsonne dunkel und ließen ihn alt wirken. Jedoch versuchte Isaac diesen Effekt mit einem fröhlichen Grinsen zu verdecken.
Doch so sehr er auch seine Mundwinkel nach oben zog, das Lächeln sah immer gezwungen und unehrlich aus. Am liebsten hätte er geweint. Sein Herz klopfte wild und kalter Angstschweiß bildete sich auf seiner Stirn. Isaac musste seine Eltern fragen, ob sein Freund zu ihm kommen dürfte, natürlich nur zum Lernen. Aber auch nachdem er seine Rede mehrmals leise vor sich hin murmelte, wurde er das ungewisse Gefühl nicht los, dass seine Eltern 'Nein' sagen oder sogar wissen würden, dass Mick Isaacs fester Freund war.
Nervös kratzten seine Fingernägel über seine Handinnenflächen. Wenn er jetzt aus seinem Zimmer trat, gab es kein zurück mehr. Er musste dann mit seinen Eltern reden und sie durften keinen Verdacht schöpfen, was Mick anging.

Mit hängenden Schulter trat der Blonde vorsichtig aus seinem Zimmer. Als er im Essbereich stand, sah er seinen Vater, der müde über einer Tasse mit frischem Kaffee hing und seine Mutter beschmierte schweigend ein Brötchen mit Butter. Anscheinend hatte das Ehepaar über etwas diskutiert, denn sie würdigten sich keines Blickes. Lona schien ihren Sohn zuerst zu bemerken. "Ah, Isaac du bist auch schon wach. Dein Vater und ich haben gerade über dich gesprochen", ungewollt wurde der Kleine bei diesen Worten nervöser, setzte aber einen interessierten Blick auf, "und wir sind zu dem Entschluss gekommen, dass du Mick nochmal einladen solltest." Der Mann neben ihr schnaubte verächtlich. "Deine Mutter hat das entschieden, wegen mir brauch er nicht hierher kommen. Der sieht doch aus wir ein halbes Mädchen und noch dazu so ungepflegt", murmelte er vor sich hin.
Enttäuscht ließ Isaac seine Arme sinken. "Er ist nicht ungepflegt und selbst wenn er durch die Haare feminin wirken würde, dann geht dich das nichts an!" Mit einem erstaunten Blick schaute sein Vater auf. "Isaac, was ist das nur mit Mick? Erst schleppst du ihn ständig an und jetzt willst du auch noch, dass wir ihn mögen? Bist du so verzweifelt, dass du dich auf das Niveau von einem Vorstädter herunterlässt? Es gibt doch so viele ordentliche Kinder bei dir in der Klasse", appellierte er an seinen Sohn. Die Augen des Blonden wurden glasig, er verstand nicht, warum sein Vater Mick so sehr hasste. Seine Mutter schien das zu bemerken und deutete mit einer Hand, dass er sich neben ihr setzen sollte. "Reiß dich wieder zusammen, Heinrich. Der arme Junge kann doch nichts dafür, wo er wohnt. Außerdem sei lieber froh, dass wenigstens einer Isaac nicht ausschließt, du weißt doch am besten wie schrecklich Jugendliche sein können", verteidigte Lona ihren Sohn. Dieser starrte entmutigt das helle Holz des Esstischs an. In ihm kochte die Wut, doch er traute sich nicht, seinem Vater noch weiter zu widersprechen. "Ich kann diese ach so schrecklichen Menschen verstehen. Sieh dir Isaac nur mal an; dürre wie eine Weizenähre und hat Angst bei allem und jedem", der Mann mit dem strohblondem Haar erhob ungewollt seine Stimme.
Isaac trafen die Worte tief und er war den Tränen nahe, auch seine Mutter verstummte. Er spürte, wie sich ein Kloß in seinem Hals bildete, seine Wangen fingen an zu glühen, seine Hände frierten. Unwillkürlich schluckte er lautstark. "Nun, ähm, ich frage Mick dann mal, ob er Zeit hat", nuschelte der Blonde in den Kragen seines hellblauen Pullovers. "Jaja, tu das", stimmte seine Mutter zu. Ihre Stimme klang hohl und weit entfernt, als sei sie mehrere Meter weg, obwohl sie in der Realität direkt neben ihm saß.
Mit einer rein mechanischen Bewegung stand Isaac vom Tisch auf und ging wie in Trance zu seinem Zimmer, hinter sich konnte er schon den Anfang einer hitzigen, in Flüsterton gehaltenen, Diskussion hören. Seine Mutter schien sich sehr über ihren Mann zu ärgern.

Nachdem er Mick informiert hatte, traute sich der Kleine noch immer nicht aus seinem Zimmer. Er konnte die energischen Stimmen seiner Eltern hören, verstand aber nicht genau, was sie sagten. Nervös kaute er auf seiner Unterlippe, bis sie anfing zu bluten. Der metallische Geschmack ließ ihn ungewollt das Gesicht verziehen. Jetzt musste er raus, musste etwas trinken oder sich zumindest den Mund ausspülen. Vorsichtig schlich er zu seiner Tür, seine Füße schienen den Boden kaum zu berühren, dann lauschte er. Die aufgeregten Stimmen waren verklungen, das Klappern von Besteck an Tellern war das einzige Zeichen, dass der Raum hinter Tür nicht leer war. Isaac kniff seine Augen zusammen und atmete tief durch. Seine Finger berührten die metallene Türklinke und drückten diese schließlich mit leichtem Druck herunter. Die Tür schwang ohne ein weiteres Geräusch auf.
Tatsächlich saßen noch sowohl seine Mutter, als auch sein Vater am Esstisch. Jedoch schwiegen sie und Stille ruhte unangenehm über ihnen. Stirnrunzelnd schlich Isaac zu ihnen. Seine Mutter bemerkte ihren Sohn erneut zuerst. "Hey, na Isaac, hast du Mick schon gefragt?", erkundigte sie sich, bemüht fröhlich zu klingen, doch Isaac sah den verkrampften Gesichtsausdruck. Stumm nickte er. "Isaac, würdest du bitte die Frage deiner Mutter richtig beantworten", knurrte sein Vater. Der Blonde schluckte. "Ja, also, ich habe ihm geschrieben und er meinte, er könne heute nicht, da er arbeiten müsse, jedoch würde er sich freuen, morgen hier vorbeizuschauen", gab Isaac die kurze Unterhaltung zwischen sich und seinem Freund wieder. Seine Eltern wussten nicht, dass dieses Gespräch vor nicht einmal einer Stunde in Isaacs Schlafzimmer gehalten wurde. Interessiert hob der ältere Mann den Kopf. "Mick... arbeitet? Als was denn? Putzkraft?" Isaac seufzte. Also eigentlich an der Tanke, dachte er. "Er arbeitet in dem Jugendzentrum als Betreuer, sorgt dafür, dass Kinder in ihrer Friezeit etwas Sinvolles tun und nicht auf der Straße rumlungern", log er. Sein Vater hatte ihm aufmerksam zugehört. "Klingt gut, denkst du nicht, dass das auch etwas für dich wäre? Da könntest du ein wenig Selbstvertrauen gewinnen", meinte er mit spöttischem Unterton. Isaac schoss das Blut in den Kopf und er wurde rot. "Heinrich jetzt lass unseren Sohn mal in Ruhe. Ja natürlich kann er auch erst morgen kommen, aber morgen besuchen uns auch die Offermanns, Geschäftspartner deines Vaters und sie bringen Maike, ihre Tochter mit. Du hast dich früher immer so gut mit ihr verstanden", erhob Lona das Wort. Verwirrt sah ihr Sohn sie an. "Maike? Ja ich mochte sie, aber das war vor zwölf Jahren! Ich kenne sie gar nicht, außerdem wohnen die doch unten irgendwo in Bayern, wie soll sie da mitkommen? Jetzt sind nirgendwo Ferien", erwiderte Isaac. Seine Mutter wollte ihm antworten, jedoch fiel ihr Mann ins Wort. "Sie wohnen in Rosenheim, das stimmt. Allerdings unterrichten sie Maike Zuhause, durch die stetigen Umzüge müsste sie ständig die Schule wechseln und ausreichend Geld für Privatunterricht haben diese Geier, deswegen sind Ferien gar kein Problem."

"Für die Offermanns vielleicht nicht, aber ich muss Montag wieder zur Schule, ich kann kein fremdes Mädchen unterhalten und ich schätze, die werden nicht nur für einen Tag anreisen", der Kleine steigerte sich immer mehr in seine Rede ein. "Auch das stimmt wieder. Sie werden die ganze Woche bleiben", erklärte sein Vater sachlich. "Die ganze Woche? Und wo sollen sie schlafen? Wir haben jedenfalls kein Platz oder nehmen sie sich ein Hotel?", Isaac wurde beim Sprechen immer lauter. "Ach mach dich nicht lächerlich, du weißt genau, dass die Hotels hier nicht gerade von Qualität sind. Natürlich werden sie hier schlafen, deswegen wäre ich dir sehr verbunden, wenn du dein Zimmer noch sauber machst, Maike wird mit bei dir schlafen - mit offener Tür versteht sich."
"Was? Warum denn mit offener- oh, ach so", Isaac verstummte. Er hatte ja eh keine Chance. "Siehst du alles ist perfekt durchgeplant", sein Vater zeigt beim Grinsen seine gebleichten Zähne. Die Wut, die sich immer mehr in Isaac angestaucht hatte, konnte er bei diesen selbstgefälligen Anblick seines Vaters nicht mehr zurückhalten. "Ja, ja natürlich ist schon alles perfekt, denn bei dir muss immer alles perfekt sein. Du beleidigst mich dafür, dass ich meinen Ansprüchen gerecht werden will, obwohl du selbst nie die Kontrolle abgeben würdest. Ist dir schon mal in den Sinn gekommen, dass ich so bin wie ich bin, weil du es mir anerzogen und vorgelebt hast? Mama ist doch der einzige Grund, warum ich nur zum Psychiater muss und der mich Medikamenten vollpumpen will, wenn es nach dir ginge, dann wär ich doch schon längst weg!", schrie Isaac seinen Vater an. Als er seinen Monolog endete, bemerkte er erst, dass er wutentbrannt aufgestanden war. Seine Mutter starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an. Eine Hand hatte sie vor ihren Mund gehalten, die andere hielt Isaacs Handgelenk. Energisch befreite er sich aus dem Griff. Erst dann sah er seinen Vater an.

Der Mann sah gleichermaßen erschüttert und enttäuscht aus. Bedrückt musterte er seine Kaffeetasse. "Danke Isaac, ich weiß jetzt, dass ich ein noch schlechterer Vater bin, als ich dachte. Ich denke, du solltest erstmal gehen, ich rede mit deiner Mutter", sagte er bedrohlich ruhig. Vorsichtig trat Isaac ein Stück zu ihm. "Papa, ich..."
"Ich sagte du sollst gehen!", brüllte der Mann mit noch immer gesenkten Blick.
Isaac nickte stumm und verschwand schweigend in seinem Zimmer. Dort fuhr er sich hysterisch durch die Haare und zog sie sich fast heraus. Er überlegte angestrengt, wo er jetzt hin sollte und er fand nur eine Antwort.
Schnell tauschte er Jogginghose gegen Jeans, schnappte sich Handy und Schlüssel und eilte dann mit gesenkten Blick von seinem Zimmer zum Flur. Doch seine Eltern saßen nicht mehr am Tisch. Hastig griff er nach Jacke und Stiefeln und verschwand dann hinter der modernen Wohnungstür.

Mitternachtsaffäre   (boyxboy)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt