RAUM 10

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╝ RAUM 10 ╔
❝Unfairness❞

ROE STOLPERTE UND stolperte

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ROE STOLPERTE UND stolperte. Die Person vor ihr hatte sie in einem festen Griff, der ihr das Blut abschnürte. Ihre Hand fühlte sich noch tauber an als der Rest ihres Körpers. Sie hörte aufgebrachtes Fluchen von diesem Jemand, doch die Stimmen und Worte überlagerten sich in ihrem Kopf. Ihre Augen fokussierten den weißen Boden.

"Wie kannst du nur? Wie kannst du nur?" Ihr Handgelenk wurde urplötzlich losgelassen und sie taumelte nach hinten. Rasch sah sie nach oben und sie erblickte Fran. "Wie? Wieso?" Alle anderen um sie herum waren still. Roe wollte sich wegdrehen und sich nach Sean umsehen, doch Fran ergriff blitzschnell ihre Hände.

"Was-", fragte Roe verwirrt und zog ihre Augenbrauen zusammen.

"Wieso hast du das getan? Das nennt sich Selbstmord. Hätte ich dich nicht geholt, wärst du jetzt tot! Tot, hörst du nicht?", rief Fran aufgebracht und rüttelte an ihren Händen. Roe schüttelte den Kopf und blickte sie irritiert an. Verletzt glitzerten die Augen ihres Gegenübers auf.

"Lass mich erklären", begann Roe zögerlich, doch sie wurde prompt unterbrochen.

"Nein!", rief Fran. "Nein, ich will deine Erklärung nicht hören. Du hast es gewollt und hättest es getan. Das geht nicht, das ist unverzeihlich. Es ist unfair. Es werden schon so viele ins Jenseits befördert. Das kannst du denen gegenüber nicht antun!" Sie ließ mit einer Hand von Roe ab und deutete in den Himmel. Gänsehaut breitete sich auf ihren Armen aus, als sie die Geste mit ihrem Blick verfolgte.

"Denen gegenüber! Mir ist egal, was für Erklärungen, Entschuldigungen oder Ausreden du hast. Dieser verdammte Ort hier wird nur noch verdammter, wenn jemand so etwas Beschissenes macht wie du gerade eben!", schrie sie ihr ins Gesicht. Die Worte fühlten sich wie Messerstiche in Roes Herz an. Schockiert blickte sie in die von Frustration und Verletzung geprägte Miene. Fran fasste sie an den Oberarmen und schüttelte sie durch. Roe fühlte sich nicht in der Lage, sich zu wehren.

"Unfair! Es ist unfair!", brüllte Fran und stieß sie schwungvoll weg. Noch immer reagierte sie nicht, sondern ließ es einfach über sich ergehen. Jemand fing sie auf. Flüchtig sah sie nach hinten und erblickte Sean. Hätte er sie nicht gehalten, wäre sie zusammengeklappt wie ein baufälliges Gebäude.

Fran verstummte und starrte sie für einen Moment beleidigt an. Ihr Brustkorb hob und senkte sich heftig. Sie ballte ihre Hände zu Fäusten. Roe hielt dem Blick stand und erwiderte ebenso nichts. Der Augenblick hielt ewig an. Wie ein vergessener Traum. Erst, als sich Fran losriss, wegging und sich in eine Ecke setzte, löste sie sich von Sean.

"Also", begann Roe und ihre Stimme klang furchtbar fremd. "Ich habe etwas herausgefunden. Etwas, das für alle hilfreich ist." Sie ging einige Schritte in die Mitte hinein und erblickte Caesar, der neben Wolvie stand und die Arme verschränkt hatte. Er war nicht abweisend, aber seltsam ruhig.

"Hilfreich? Hattest du eine Nahtoderfahrung?", erklang Plutos verächtliche Stimme seitlich von ihr.

"Nahtoderfahrungen können inspirierend sein", erwiderte Thalia, die wiederum auf der anderen Seite saß. "Und Scherze über solche Opfer zu machen, die andere bringen, ist respektlos."

"Als ob", antwortete Pluto und zuckte mit den Schultern.

"Seid ruhig. Lasst sie doch endlich erklären", bat Caesar und blickte Roe zuversichtlich an. Ihr war es plötzlich unangenehm, im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen. Sie atmete tief durch.

"Ich habe nicht ohne Grund gehandelt. Ich wollte dem System entgegenwirken. Mit meinem vermeintlichen Selbstmord wollte ich sehen, was passiert. Ob ich wirklich draufgegangen wäre, wenn diese Ziffern doch anscheinend unsere Schicksale bestimmen und unsere Tode an gewisse Räume binden."

"Hattest du keine Angst zu sterben?", fragte Caesar verblüfft.

"Wir sterben sowieso früher oder später."

'Meine Zeit hätte außerdem schon längst ablaufen sollen', fügte sie in Gedanken hinzu.

"Zwar werden wir jetzt nie erfahren, was passiert wäre, aber dafür bin ich auf etwas Ausschlaggebendes gekommen", meinte Roe und knackte ihre Finger. "Dieser eine Buchstabe bei den Symbolen. Es gab immer nur entweder ein 'W' oder ein 'M'. Das steht ganz einfach für das Geschlecht des Opfers." Ein Raunen ging durch die Menge und alle begannen aufgebracht miteinander zu tuscheln.

"Tatsächlich!", rief Wolvie erstaunt, nachdem er in seinem Gedächtnis anscheinend ihre Aussage geprüft hatte. "So banal, dass man es wiederum übersieht."

"Danke, Roe", sprach Caesar, was ihr ein schwaches Lächeln entlockte. Sie genoss den Funken Hoffnung, solange sie konnte.

"Übrigens gab es zu Anfang exakt zwölf Frauen und zwölf Männer", bemerkte Wolvie nachdenklich. "Das heißt, es gibt 24 Menschen und folglich 24 Räume. Der Buchstabe bei den Schriftzeichen definiert das Geschlecht des Opfers."

"Jetzt ist nur noch die Frage, was die Zahlen bedeuten", fügte Roe hinzu und verschränkte ihre Hände ineinander.

"Es fehlt tatsächlich nicht mehr viel, bis das Rätsel gelöst ist", meinte Wolvie optimistisch.

"Aber es fehlt auch nicht mehr viel, bis alle tot sind", fiel Pluto auf.

"Das ist leider Gottes wahr", meinte Caesar zögernd. Er sah eindringlich Wolvie an, der allerdings den Boden anstarrte und mit dem Saum seiner Jacke spielte.

"Ich verstehe das System noch nicht, aber jetzt gibt es inzwischen tatsächlich mehr Anhaltspunkte. Auf Zufall basiert das Ganze eindeutig nicht, das ist mehr als deutlich hervorgekommen. Es gibt nun einmal viele Möglichkeiten, wofür die Zahlen stehen könnten. Aber ich werde sie analysieren und versuchen, Zusammenhänge zwischen den Folgen herzustellen. Wenn ich auf etwas komme, gebe ich euch Bescheid", versprach Wolvie und nickte bekräftigend.

"Okay", hauchte Roe dankbar und drehte sich um. Sean stand nicht weit von ihr und lächelte sie ermutigend an. Sie ging zögerlich auf ihn zu und blieb verlegen vor ihm stehen.

"Dein Mut ist bewundernswert. Kaum einer hätte sich getraut, sein Leben für die Gruppe auf's Spiel zu setzen", sprach Sean ihr zu. Erstaunt blickte Roe ihn an und um ein Haar hätte sie überrascht ihren Mund aufgeklappt. Das war das Letzte gewesen, das sie erwartet hätte. Sie glaubte, eine zweite Standpauke hören zu müssen. Eine zweite zutiefst verletzte Person. Aber stattdessen schenkte ihr Sean die Worte, die sie brauchte.

Als Antwort lächelte Roe. Sie konnte nicht formulieren, wie dankbar sie war. Deswegen sagte sie einfach nichts. Das Licht ging aus und sie wusste, dass nun die nächste Person stumm von ihnen gehen würde. Angst hätte von ihr Besitz ergreifen müssen. Stattdessen fühlte sie, wie Sean ihre Hand nahm und sie kurz drückte.

 Stattdessen fühlte sie, wie Sean ihre Hand nahm und sie kurz drückte

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Entropie | ✓Where stories live. Discover now