~29~ Von Anfang an

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Es könnte dauern, bis alles erzählt ist, doch ich möchte euch alles von Anfang an erzählen.

Begonnen hat alles kurz nach meinem fünften Geburtstag. Ich kann mich nur noch vage an den Tag erinnern, als es passiert ist. Ich weiß nur noch, dass ich von drei Männer in Schwarz in einen Van gezogen wurde.
Als ich wieder auf wachte, lag ich in einer ganz kleinen, engen, dreckigen Zelle. Und wenn ich Zelle sage, dann meine ich auch Zelle. Sie war vielleicht vier qm groß mit Gitterstäben und Panzerglas gesichert.
Ein Mann kam rein und sagte, ich sei jetzt Eigentum von WiBla Lotus.
Ich wusste zwar nicht, was das sein sollte, doch ich wusste, dass es etwas schlimmes war.
Denn WiBla Lotus ist das größte Drogen Kartell Neuseelands.

Ich wurde behandelt wie der letzte Dreck und musste alles über mich ergehen lassen.
Sie sperrten mich so lange ein, verprügelten mich Tag für Tag, bis mein Wille gebrochen war und ich machte, was sie sagten, ohne zu widersprechen.

Damals war ich die Jüngste. Sie hatten noch viele Kinder dort. Kinder wie mich. Und wir Kinder hatten bloß eine Aufgabe: Drogen schmuggeln.
Als ich das das erste mal machen musste, realisierte ich, wo ich gelandet
war.

Sie führten mich in einen Raum, den sie Raum D nannten.
Dort schnitten sie mich auf, packten Drogen in meinen Körper und nähten mich wieder zu.
Dann wurde ich hübsch gemacht und musste mit einem Mann zum Flughafen und die Drogen über die Grenze bringen.

Als ich wieder in der Zelle war, musste ich meine alten Sachen anziehen und wieder vor mich hin vegetieren.
Es ging Jahre lang so. Tag für Tag. Monat für Monat.
Irgend wann hatte ich das Zeitgefühl verloren, wusste nicht mal mehr, wann ich Geburtstag hatte, wie alt ich war.

Keine Ahnung, wie lange ich schon dort war, als ich bemerkte, dass etwas komisch war. Denn die Kinder, die älter als dreizehn wurden - ich konnte das Alter nur schätzen - verschwanden spurlos. Eines Tage dann bekam ich ein Gespräch zweier Männer mit, welche sich vor meiner Zelle unterhielten. Und da verstand ich.
Denn sie sprachen davon, dass ein Junge bald das gewisse Alter erreichen würde und sie ihn entsorgen müssten.
In diesem Fall ist entsorgen mit töten gleich zu setzten.

Und seit diesem Zeitpunkt hatte ich Todesängste. Ich wusste nicht, wie lange ich noch hätte.
Und meine Hoffnung, irgend wann entkommen zu können, verschwand gänzlich.

Doch eines Tages sah ich wieder einen Grashalm, an den ich mich klammern könnte. Einen Grashalm der Hoffnung. Auch, wenn diese Hoffnung noch so gering war. Denn der Mann, der sich immer um das schminken gekümmert hat, war gestorben.
Der Chef des Kartells wollte, dass ich mich um das Make-Up kümmerte. Warum gerade ich, wusste ich nicht. Doch ich gab alles und er war zufrieden mit meiner Arbeit.
So entkam ich dem Schmuggel von Drogen, denn ich wurde nur noch für das schminken eingesetzt.
Und auch als ich älter wurde, wurde ich vor dem Tod bewahrt.
Als Geschenk für meine freiwilligen Dienste, wie sie es so schön nannten, tätowierten sie mir ihr Logo auf meine Arme. Eine weiße und eine schwarze Lotusblüten.
Dafür, dass ich nicht mehr schmuggelte, wurde ich jedoch der persönliche Sandsack des Chefs und seinem Sohn. Ich musste alles einstecken. All die Wut und den Frust der beiden Männer. Und das jeden Tag.

Sie taten mir all die schrecklichen Sachen an, die man sich nur vorstellen kann und ich möchte auch nicht weiter darauf eingehen.

Es verging eine ganz Weile, bis sich wieder etwas änderte. Ein neuer Mann wurde in das Kartell aufgenommen und um zu gucken, ob er sich gut schlug, musste er ein mal Drogen ungesehen über die Grenzen bringen. Und das mit mir.
Also wurde ich wohl oder übel wieder zum Schmuggler und ging mit dem neuen Mann mit.
Doch dieser war viel schlechter als die Anderen und verlor schnell seine Aufmerksamkeit.
Ich sah meine Chance darin, meine große Hoffnung und nahm meine Beine unter die Arme. Ich rannte so schnell ich konne zu einem Polizisten und konnte wirklich entfliehen!
Nach zehn elendigen Jahren entkam ich den Fängen des Kartells.

Das Kartell wurde durch meine Hilfe hoch genommen und die Kinder befreit. Getraut, vor Gericht aus zu sagen, habe ich mich nicht. Ich war zu traumatisiert, hatte zu große Angst vor allem und vor jedem.

Jetzt wisst ihr auch, warum ich Anfangs so abweisend zu euch war. Ich hatte schlicht und weg keine guten Erfahrungen mit Männern!

Stilles LebenWhere stories live. Discover now