~14~ Leo

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Geschockt sieht er mich an. ,,Was ist dir passiert?“ will er heiser wissen.
'Das kann ich dir nicht sagen. Wenn man versucht Dinge zu verdrängen, spricht man nicht darüber. Oder liege ich da falsch?' Ich gebe hier gerade offen zu, dass mir was widerfahren ist, das ich verdrängen will. Seit wann bitte schön mache ich so was? Vielleicht seitdem ein Mann mein Freund geworden ist.
,,Nein, du liegst absolut richtig.“ lächelt er bitter und beißt endlich in den Apfel. ,,Da haben wir wohl beide unsere Geheimnisse, was?“ nuschelt er verträumt in den Himmel.

Schwerfällig erhebe ich mich und klopfe ihm mitfühlend auf die Schulter. Und dann gehe ich wieder zu Ric und Graham. ,,Hat er was gesagt?“ möchten sie sofort wissen. Doch ich schüttle nur den Kopf und esse mein Brötchen ganz auf.

Am Abend sind wir wieder im Studio. Zusammen mit dem blauäugigen Briten und dem glatzköpfigen Schotten sitze ich am Tisch und stocher gedankenverloren in meinem Kartoffel-Püree herum. Jed meinte, er würde morgen wieder gut drauf sein. Aber er meinte auch, dass das noch ein zweites mal so sein wird.
Herr je, so gerne wüsste ich, was ihn belastet. Vielleicht wird er es mir ja eines Tages anvertrauen. Mir, einem taubstummen Mädchen, das nichts hört und nichts weitererzählt.

Am nächsten Morgen stehe ich schon früh auf und mache mich direkt auf den Weg zum Make-Up-Trailer. Ich bin sogar so früh dran, dass ich als erste da bin. Schnell ist alles zusammen gestellt was ich brauche. Genau in dem Moment, als ich den letzten Pinsel ordentlich auf die Platte legen, höre ich die Trailer-Tür aufgehen. Ich hätte schwören können, dass es Steffi ist, die da herein kommt. Aber nein, es ist nicht ihr mit goldenen Locken gerahmtes Gesicht, in welches ich gucke, als ich mich rein aus Routine rumdrehe. Sondern das Gesicht eines Freundes. ,,Guten Morgen, Leonora.“ lacht Jed mich an. So, als wäre nie was geschehen. Überrascht sehe ich ihn an. Der ist ja wirklich gut drauf. Wie er es gestern noch gesagt hat.
Schnell fasse ich mich wieder und winke ihm lächelnd. ,,Ein tolles Lächeln. Tut dir gut, wie es scheint.“
Nickend stimme ich ihm zu. Ja, lächeln tut gut! Und da ich das Bedürfnis habe, ihn zu umarmen, tue ich es einfach. Feste schließe ich ihn in meine Arme. Überrascht erwidert er. ,,Das tut gut.“ murmelt er leise und ich höre sein Grinsen.

Plötzlich durchströmt mich wieder eine Erinnerung. Ich liege wieder als kleines Kind in den Armen meiner Mutter. Doch dieses mal sehe ich noch eine weitere Gestalt in diesem schönen Garten. Die Gestalt eines Mannes. Auch von ihm kann ich nur eine graue, verschwommene Silhouette erkennen. Aber das ist mir im Moment egal. Denn ich weiß sofort, wie aus reiner Intuition, dass dieser Mann mein Vater ist.
Überglücklich wie ich bin, bemerke ich gar nicht, wie Jed von mir ablässt.
Eine einzelne Träne läuft mir die Wage runter. Eine Träne der Freude. Endlich habe ich wieder Erinnerung an meine Eltern. Meine leiblichen Eltern!

Bevor ich es tun kann, wischt Jed mir die einsame Träne weg.
Mit seinem Zeigefinger hebt er mein Kinn an und guckt mir tief in die Augen.
,,Hey, was ist denn los?“ will er besorgt wissen, lächelt mich aber aufmunternd an.

Ich schreibe nichts auf. Das einstige was ich mache ist voller Freude lächeln.
Das Bild, was ich im Spiegel sehe, wird mir immer eine Positive Erinnerung bleiben:

Mein Kinn in Jeds Hand.
Er schaut zu mir runter.
Ich schaue zu ihm auf.
Und wir beide haben ein breites Lachen im Gesicht.

Genau in diesem Moment geht die Trailertür auf. Im Rahmen stehen Ric und Graham, welche uns mit staunenden Augen musterten.

,,Äh... haben wir was verpasst?“ fragt der große Schotte irritiert, aber dennoch erfreut. Jed nimmt wie ertappt seine Hand von meinem Kinn. Sofort vermisse ich seine Wärme.
,,Leo, das Lachen steht dir ja richtig!“
freut sich Ric und lacht mich breit an.
Mit großen Augen schaue ich zu ihm auf. Hat er mich gerade Leo genannt?!

Auch Jed und Graham schauen ihren Freund überrascht an. Der Brite, welcher seine Worte anscheinend direkt bereut, fuchtelt entschuldigend mit den Händen durch die Luft.
,,T-tschuldige... Ich wollte dich nicht so nennen! Es ist mir einfach so rausgerutscht. Tut...“
Mit einer sachten Berührung an seine Schulter unterbreche ich ihn.
'Ich mag den Namen.'

Stilles LebenWhere stories live. Discover now