~15~ Vergessen

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,,Könntet ihr uns dann mal netterweise erklären, was zwischen euch los ist?“ will Graham beharrlich aber dennoch nett wissen.
Laut lacht Jed auf.
,,Wir sind Freunde, die sich vertrauen, Graham. Mehr nicht!“ kichert er. Seine Worte berühren mich sehr. An ihnen erkenne ich ganz klar, dass ich einen Freund gefunden habe.

,,Was steht ihr denn so hier rum? Wollt ihr nicht geschminkt werden, oder was?“ ertönt plötzlich Stephanies Stimme von hinten.
Augenblicklich setzen sich die drei Männer ohne Wiederworte in ihre Stühle und ich mache mich sofort an die Arbeit. Genau so meine Ausbilderun, welche was mich angeht auch nichts zu tun hat.
Kurze Zeit später kommt noch Tiffany, welche Ric übernimmt.

Gerade klebe ich Jed seine Nase auf, als er beginnt ohne ein Ton zu sagen seine Lippen zu bewegen.
Offensichtlich möchte er nicht, dass die anderen etwas mitbekommen.
,,Warum hast du gerade eine Träne verloren und gelacht?“ fragt er mich tonlos.
Unauffällig ziehe ich Stift und Zettel und kritzel eine Antwort.
'Ich habe mich an meine leiblichen Eltern erinnert.'
Mit großen, aber auch verwirrten Augen schaut Jed mich an.
,,Wie meinst du das? Hast du sie etwa vergessen?“ 
Diese Frage trifft mich mittens ins Herz. Er hat Recht. Ich habe meine Eltern wirklich vergessen.
Ohne es wirklich zu bemerken, nicke ich langsam und betrübt.

,,Tut mir Leid. Ich wollte dich nicht betrüben.“ Mehr sagt der Kiwi nicht.
Denn er merkt, wie sehr mich dieses Thema schmerzt.
Die ganze restliche Zeit kann ich an nichts anderes mehr denken als an meine echten Eltern.
Wie konnte ich bloß meine Eltern vergessen?!
Vergessen, wie sie aussahen.
Vergessen, wie sie rochen.
Vergessen, wie ihre Stimmen klangen. Ob sie überhaupt noch leben?
Keine Ahnung.
Aber ich kann doch auch nichts dafür!
Ich habe mir mein Schicksal nicht ausgesucht!

In einer etwas längeren Pause vom Außendreh stehen wir alle gemeinsam auf einem Hügel.
Die Männer unterhalten sich prächtig, doch richtig zuhören tue ich nicht.
Meine Laune ist im Keller.
Nein. Im untersten Untergeschoss des Kellers.
Jed hat mich mit dieser einen Frage so zum nachdenken gebracht, dass ich da nicht mehr raus komme.
Ich mache mir Vorwürfe.
Habe Angst.
Will nicht mehr.

Am Ende bin ich sogar so tief unten, dass ich mich einfach umdrehe und weggehe.
,,Hey Leo, wo gehst du hin? Ach verdammt, die hört ja nicht.“ erkennt Ric direkt seinen Fehler und ich höre, wie er mir nachläuft.
,,Ric nennt sie Leo?“ fragt Dean überrascht. Mehr bekomme ich jedoch nicht mit, denn ich verschwinde hinter dem nächsten Hügel.
Schnell hat mich der große Brite eingeholt und stellt sich mir in den Weg.

,,Was ist denn, Kleine? Du bist schon seit heute Morgen so niedergeschlagen.“ Mitleidig mustert Ric mich.
Ich schüttle bloß den Kopf und gehe an ihm vorbei, weiter Richtung Wald.
Der blauäugig Mann versteht sofort, dass ich alleine sein will. Nur seine Blicke spüre ich noch auf meinem Rücken.
Ganz am Waldrand setzt ich mich auf einen Felsen und stiere in die Gegend.

Wieso bin ich auf einmal so niedergeschlagen? Ich meine, mir war schon immer klar, dass ich nichts von meinen echten Eltern wusste. Aber warum überwältigt mich diese unendliche Trauer genau jetzt?
Genau hier?
Wieso macht es mir auf einmal etwas aus, meine Eltern nicht zu kennen?
Vielleicht ja, weil ich zwölf lange Jahre bei jemandem leben musste, der... naja, wie auch immer.
Aber womöglich kommt das daher, weil ich plötzlich wieder Freude empfinden kann und es auch tue.
Weil ich plötzlich richtige Freunde habe.
Weil ich plötzlich wieder einen Sinn im Leben sehe.

Als unerwartet ein paar Schuhe vor mir auftaucht, erschrecke ich mich fast zu Tode. ,,Tschuldige, ich wollte dich nicht erschrecken.“ flüstert Jed in meine Richtung, dass ich es sehen kann. Langsam lässt er sich neben mich nieder.
,,Es ist, als hätten wir die Plätze getauscht, was? Gestern noch war ich der Depri und jetzt bist du es.“ seufzt er traurig in die Landschaft. Immer noch so, dass ich seine Lippen lesen kann.
,,Was ist es, dass ein Siebzehnjährige so sehr deprimieren kann?“
'Es ist das, was ich verdrängen möchte. Und ich will endlich meine leiblichen Eltern wieder sehen können. Ich habe sie vergessen...'
Ich verliere ein Träne und bin fast davor, einfach mal alles raus zu lassen. Einfach mal heulen.

Doch schon finde ich mich in Jeds Armen wieder.

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