Kapitel 19.1

166 14 3
                                    

~S I L C A N~

Die „Silberne Brücke" lag eingezwängt zwischen dem ruhevoll in seinem Bett dahingleitenden Jalur und einem mehrstöckigen Wohnhaus, das sich den Launen des Wetters gefügt hatte und sich nun windschief an die Taverne schmiegte. Lärm drang aus den angrenzenden Wirtshäusern durch die engen Gassen Tarranars. Der abendliche Nebel hatte mittlerweile sein silbernes Band über die gepflasterten Straßen gelegt und dämpfte das Gewirr aus Geräuschen. Bog man nur in eine der beengenden Häuserschluchten verschwand das Treiben der Nacht in einer weißen Wand, die alle Geräusche und Silhouetten zu verschlucken schien. Zurück blieb eine Stille, die so mancher Bewohner dieser Straßen als unheimlich und manch anderer als heimelig bezeichnen mochte. Und so ein anderer war Silcan. Es war ihm eine willkommene Stille. Noch ein wenig wollte er diese Ruhe in sich aufnehmen, seinen Blick gegen den Himmel wenden und die durch den Vorhang der Wolken blitzenden Sterne betrachten, in denen sich vor ein paar Minuten noch dieser besondere Moment zwischen Rhyala und ihm gespiegelt hatte. Noch vor diesen wenigen Minuten hatte die leichte, vom Jalur her wehende Brise sein Gesicht benetzt. Und noch immer spürte er Rhyalas vom Führen des Schwertes raue Hand an seiner Wange, diesen durchdringenden prüfenden Blick und ihre Stimme an seinem Ohr.

„Du bist ein Träumer, Silcan!" Er nahm die Hände vom eiskalten, silbrig glänzenden Geländer der Brücke. Seinen Blick versuchte er von dem Licht, das sich in das dunkle Blau gewoben hatte hin zu der Frau zu wenden, der diese Stimme gehörte. Es erstaunte Silcan immer wieder, wie schnell sie ihren kehligen, für Rethlor typischen Akzent verloren hatte. Heute ahnte niemand mehr, woher Rhyala eigentlich kam und das war auch gut so. Es war gut, dass die Menschen aufgehört hatten Fragen zu stellen. „Mag sein. Was ist schlimm daran? Darf ein Soldat denn nicht ab und an mal träumen?" Silcans Schmunzeln war ehrlich, als er in diese warmen Augen blickte, die ihn genauso gut verschlingen konnten, wenn sie wollten.

„Ach Silcan, darüber haben wir doch schon so oft geredet, wenn ich es mal geschafft habe deine Aufmerksamkeit zu bekommen. Wenn ich geahnt hätte, dass du die ganze Nacht damit verbringst Sterne am Himmel anzustarren, könnte ich mein Lager genauso gut auf einem von ihnen aufschlagen. Dann würde ich zumindest mehr beachtet werden als wenn ich direkt neben dir im Bett liege und Ewigkeiten auf eine Umarmung warte."

Das Blitzen ihrer Augen verriet sie und wie oft sie es auch versuchte, den Schalk konnte sie nie ganz verbergen. Silcan konnte nicht anders und ihm entfuhr ein lautes Lachen, das noch lange in den nachteerfüllten Gassen dahinhallte. Und er schenkte er die Umarmung, nach der sie sich wohl so sehr gesehnt hatte. Sie würde wohl einiges tun müssen, damit er sie wieder losließ. Er vergrub sein Gesicht in ihrem dunklen Haar, das stets diesen Geruch von Regen auf gefallenen Blättern an sich trug. Was würde er nur dafür geben, dass dieser Moment niemals endete? Aber Silcan wusste, dass er ihn nicht in die Ewigkeit hinauszögern konnte und bald durch die niedrigen Balken in die Taverne treten musste. Sie alle hatten Recht behalten mit ihrer Vermutung, dass Elrik sie in die Silberne Brücke zitieren würde und nun war es an der Zeit, dass ihr Hauptmann  ihnen endlich seine Pläne für die Feierlichkeiten offenlegte. Vier Tage waren Silcans Meinung nach wieder einmal viel zu wenig, doch er vertraute seinem Anführer und schließlich war man das von Elrik gewohnt. Ging es um vertrauliche Dinge wartete er so lange wie möglich damit. Niemand sollte auch nur den Hauch einer Möglichkeit haben diese Informationen mit großer Wirksamkeit weiterzugeben. Wenn schon für die fürstliche Garde vier Tage heikel waren, so war es für Eindringlinge unmöglich einen auch nur halbwegs sinnvollen Plan zu schmieden.

„Silcan! Wo bist du mit deinen Gedanken? Im Ernst, deine Träumerei wird dich eines Tages noch umbringen!"

„Ich habe daran gedacht, wie wir in vier Tagen dafür sorgen, dass andere überleben. Elrik will uns gleich seine Pläne mitteilen und das wird ganz sicher keine kleine Sache. Dieser Ball wurde bereits vor so vielen Monden geplant und Elrik wird mit uns jedes einzelne Szenario durchspielen bis jede Gefahr ihren Bändiger hat. Rhyala ...". Er sah ihr eindringlich in die Augen und in seinem Inneren zog sich alles zusammen, als er wieder ansetzte. „Du kennst mich. Normalerweise habe ich vor jedem neuen Dienst das Gefühl, jeder Situation Herr werden zu können. Aber diesmal nicht. Und mir behagt das alles nicht."

Rhyala holte tief Luft und wandte ihren Blick zu der sich kräuselnde Wasseroberfläche des Jalur. „Ich hoffe, dass du das noch niemand anderem außer mir erzählt hast. Du musst dieses Gefühl verbannen, Silcan. Das wird dich nur behindern sowohl in deinem Denken als auch in deinem Handeln." Silcan spürte, wie sich Rhyalas Finger um seine schlossen und ihre Blicke trafen sich. Ein Schatten aus Sorge hatte sich über ihre Augen gelegt. „Bitte, du darfst das vor niemand anderem äußern! Die Garde besteht dennoch nur aus Menschen und niemand von uns darf sich durch ein bloßes Gefühl beeinflussen lassen. Silcan, bitte versprich mir das! Die Realität sieht gewiss anders aus. Ich weiß, dass ich dir das Träumen nicht austreiben kann und das will ich auch nicht, aber lass wenigstens während deiner Arbeit davon ab. Wenn du wirklich in einen Kampf gerätst, kannst du dich dann auch nicht einfach an einen anderen Ort träumen und ehe du dich versiehst, hat dir dein Gegner ein Messer zwischen die Rippen getrieben."

Rhyala hatte so Recht, auch wenn es Silcan lieber wäre, sie hätte es nicht.

„Wir werden sehen, Rhyala. Aber jetzt sollten wir uns erst einmal darauf konzentrieren, was unser werter Anführer uns mitzuteilen hat. Ich hoffe er sagt uns endlich, wo er uns postieren will. Und vielleicht erfahren wir auch endlich mal etwas mehr darüber, wie das funktionieren soll, dass wir einen Heiler einschleusen."

„Mich würde es ehrlich gesagt mehr interessieren, wer dieser Heiler ist und warum ausgerechnet er unseren kleinen Erben retten soll."

„So viel jünger als du ist Charel auch nicht, meine Liebe! Aber ja, das wüsste ich auch gerne."

Silcan wartete und ließ seinen Blick über die Silhouetten der Häuser, die den Jalur säumten, schweifen, bis er an dem alten Turm hängen blieb, der in diesem Teil Tarranars alle Gebäude überragte. Es konnte nur wenige Augenblicke dauern, bis er der Stadt ein neues Viertel des Tages ankündigen würde. Nur noch wenige Augenblicke bis die Nacht von einem violetten Leuchten zerrissen werden würde und nur die Besucher zusammenzucken würden.

Und dann durchbrach eine Säule aus Violett die Dunkelheit, schraubte sich hinauf in die Höhe und ließ dann ein sanftes Licht hinab auf Tarranar sinken. Bald würde die Stadt in ihren Schlaf sinken und dann würden nur noch die aus den Schenken geworfenen Betrunkenen oder die Gesellen der Nacht in den Gassen zu finden sein.

„Wir machen es wie immer, Rhyala? Ich gehe vor?" Sie nickte bloß.

Danach war Silcan losgezogen. Nun stand er da auf dergegenüberliegenden Straßenseite der Schenke und beobachtete den Eingang, überdem das Schild mit der Aufschrift „Zur silbernen Brücke" im aufkommenden Wind leise anfing zu quietschten.

Alestra - SchattennebelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt