Kapitel 12

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„Alestra? Du hörst mir doch hoffentlich noch zu! Es geht hier um dich, also tätest du gut daran, mir deine Aufmerksamkeit zu schenken."

Alestra blinzelte und fluchte innerlich. Ihre Gedanken hatten sie viel zu weit weggeführt, sodass sie die Erklärungen ihrer Meisterin plötzlich ausgeblendet hatte.

„Verzeiht, Herrin. Ich habe mir nur gerade ein Gespräch, das ich auf meiner Reise zufällig mitbekommen habe, ins Gedächtnis gerufen, da es in diesem um eben jenen Prinz Charel ging. Er soll sich der Verantwortung durch seine Flucht aus dem Schloss entzogen haben."

„Ja, das ist es, was sich alle erzählen. Der König hat eigenhändig ein ähnliches Gerücht in die Welt gesetzt, aber die Bevölkerung scheint es fantasievoll ergänzt zu haben. Charel wurde in die Burg des Fürsten Aransils gebracht, um ihn dort vor allem abzuschirmen. Niemand weiß von seinem Zustand und das soll auch möglichst so bleiben. Er soll abgeschottet von der Öffentlichkeit genesen. Und da kommst du ins Spiel, Alestra. Aber das sollte dir doch am besten unser Gast erzählen", schloss sie.

Sichtlich gelangweilt richtete sich der Mann auf und trat ein paar Schritte in den Raum hinein. Er räusperte sich. „Zum Ersten möchte ich nicht die Erwartung wecken, dass ich in absehbarer Zeit meinen Namen verraten werden." Das war ja ein brillanter Anfang, aber er fuhr ohne einen weiteren Kommentar fort: „Eine Gruppe von Spionen unseres Fürsten hat den Auftrag erhalten diese Gilde auszuspionieren, um eine Heilerin zu finden, die unseres Erachtens nach die Fähigkeiten beherrscht, die notwendig sind, um den Thronprinzen zu heilen. Einige Heiler sind davon ausgegangen, dass er mit einem Nachtschattengewächs vergiftet wurde und deshalb sind wir auf dich gestoßen", sagte er mit einem Nicken in Alestras Richtung.

„Wie bitte kann das sein? Ich bin erst heute zurückgekehrt", hörte sie sich sagen.
„Spione haben ihre Möglichkeiten an Information zu gelangen. Außerdem wird über dich geredet." Das Ende des Satzes ließ er einfach in der Luft hängen und Alestra hatte das dringende Bedürfnis danach zu greifen und ihn eventuell damit zu würgen, sodass er damit herausrückte, was er bitte gemeint hatte.

Aber sie konnte sich bereits denken, warum man gerade auf sie gekommen war, denn es gab nicht wirklich viele Heilerinnen, die fast nichts anderes taten als sich den Gewächsen der Nacht hinzugeben. Weil sie eben war, was sie war und es der ganzen Außenwelt vorenthielt, konnten ihre Kräfte in diese Fähigkeit fließen und die Menschen sahen nur eine Frau mit einer Gabe, die sie nicht gewillt war zu teilen. Natürlich redete man über eine solche Frau, gerade wenn keiner von ihnen wirklich etwas über sie wusste. Dennoch musste sie ihren Verfolger bei Gelegenheit, die sich nun leider wohl noch sehr oft bieten würde, fragen, wie genau sich das alles abgespielt hatte.

Die Meisterin räusperte sich und Alestra wusste, was nun folgen würde, auch wenn sie sich fragte, wieso ihr all das erzählt wurde, wenn doch nicht einmal sicher war, dass sie für diese Herausforderung taugte. Die oberste Heilerin würde aber kaum einer nur vermeintlich vertrauenswürdigen Person so viel erzählen, wenn sie nicht Mittel und Wege kannte, vergessen zu lassen.

„Du hast also gehört, worum es geht, Alestra. Doch um dich ziehen zu lassen, brauche ich einen Grund und nicht nur eine Rechtfertigung, wie du sie mir geliefert hast. Da es gegen meine Prinzpien verstößt einen Prinzen seinem sicheren Tod zu überlassen, ist dein Weg also vorbestimmt, aber es verstößt ebenso gegen sie, eine Heilerin zu entsenden, die nicht mein vollstes Vertrauen genießt und momentan hast du dich in gefährliche Gewässer begeben, meine Liebe." Darauf konnte Alestra einfach nichts erwidern.

„Valyanna, es ist geradezu unmöglich, dass sie tatsächlich einen Mann hätte treffen wollen, der ihr Herz erwärmt hat." Es war schon verwunderlich, wie schnell man diese in Schwarz gehüllte Gestalt vergaß, sie einfach ausblendete bis sie wieder wollte, dass man auf sie achtete. Alestra schwor sich ihn von nun an nicht mehr aus den Augen zu lassen, auch wenn ihnen eigentlich fast nichts entging, zumindest nicht auf der Jagd. Seine Stimme triefte vor Spott, aber das ließ sie einfach an sich abprallen. Er kannte sie nicht und hatte keine Ahnung, wie er sie verletzen sollte, was ganz sicher seine Absicht war. Und so gesehen, war es fast armselig, dass er diesen Weg eingeschlagen hatte.

„Dieser Brief." Er sah auf das Stück Pergament hinab, dass er unauffällig aus einer Tasche seines Anzugs gezogen hatte. Alestra musste mit einer Hand ihre andere umklammern, damit sie ihm nicht den Brief aus der Hand, die in schwarzem Leder steckte, riss. Wollte er sie gerade wirklich mit diesem lächerlichen Schriftstück demütigen?

„Selbst der Stein, unter dem er für mich hinterlassen wurde, trug mehr romantische Gefühle in sich als dieser Fetzen. Vielleicht hätte es einem Eisblock geschmeichelt, aber ganz sicher nicht einem Wesen aus Fleisch und Blut. Oder es handelt sich bei ihrem Verehrer um einen der ehrwürdigen Trolle, die wieder aus ihren Höhlen gekrochen sind, um sich nach neuen Frauen umzusehen, nachdem die ihren im Krieg gefallen sind, aber wer weiß das schon?"

Alestra schoss das Blut in die sonst so blassen Wangen. Das ging eindeutig zu weit! Ein erwachsener Mann sollte doch einen gewissen Anstand besitzen und sich nicht wie einer der Jugendlichen verhalten, die nachts durch die verdreckten Straßen Tarranars streiften und dort ahnungslose Frauen überfielen und ihnen dreckige Worte ins Gesicht spuckten, nur um sich überlegen zu fühlen. Das war sicher die Gegenleistung für ihr närrisches Verhalten, mit dem sie sich eine unerlaubte Blöße gegeben hatte, doch das hier war noch viel schlimmer. Wer hatte ihn nur zu einem Spion gemacht, der absolut keinen Respekt zeigte und das auch noch auf eine so arrogante Art und Weise? Bevor die Situation noch unangenehmer wurde, trat die Meisterin direkt vor Alestra und sah ihr eindringlich in ihre - so hoffte sie zumindest - ausdruckslosen Augen.

„Auch wenn es mir widerstrebt dies als Argument hinzunehmen, so bezweifele auch ich, dass eine solche Romanze dein Handeln bestimmt hat. Ich gratuliere dir. Es war kein unkluger Schachzug, einen Verfolger so in die Irre zu führen. Du wirst diesen Auftrag ausführen und es wäre das beste für dich, wenn du dies erfolgreich tust. Bereite nun alles vor! Bevor die Sonne sich aus ihrem Schlaf erhebt, werdet ihr aufgebrochen sein. Du wirst nochmals von mir hören Alestra, denn es gibt noch ein paar Details, die für dich von Wichtigkeit sind. Aber fürs Erste bist du entlassen."
Alestra atmete auf.

Alestra - SchattennebelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt