33.

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Es war nutzlos. Obwohl ich eindeutig sehen konnte, dass Tim Zuhause war, öffnete er mir nicht die Tür, egal wie oft ich klopfte, klingelte oder versuchte, ihn anzurufen. Er vermied den Kontakt zu mir und ich wusste weder, ob er es tat weil er noch immer sauer war oder sich bereits für seinen Fehltritt schämte, noch wie ich es schaffen konnte, mich ihm wieder zu nähern. Ich blieb eine ganze Stunde, startete noch einmal meinen Ansturm, wartete und entschied mich dann, dass ich es später nochmal versuchen musste. Jetzt brachte das nichts...


Am nächsten Morgen war er wieder nicht an der Schule und mich packte das schlechte Gewissen. Immer wieder hatte ich ihn gestern von Zuhause angerufen, aber niemand war rangegangen. Ich hätte es weiter probieren sollen, oder? Mit Tobi konnte ich auch nicht reden, er schien mir ebenfalls aus dem Weg zu gehen, und ich glaubte wenigstens bei ihm auch zu wissen, wieso. Er war eingeschnappt mit mir, weil ich seine Hilfe im Klassenraum ignoriert hatte und aus dem Unterricht gestürmt war. Das hieß er nicht gut, eindeutig. Aber ich brauchte dringend jemanden, bei dem ich meinen Kummer lassen konnte und Rafael war dafür diesmal nicht die richtige Person.

Tobis Blick zuckte beiseite, als ich mich in einer längeren Pause zu ihm gesellte und auf seinen Tisch stützte. "Hey, Tobster. Tut mir leid wegen gestern. Aber... ich musste einfach nach Tim sehen. Er hat sich so merkwürdig benommen und tut es immer noch, geht an keinen Anruf, öffnet nicht die Haustür wenn ich klingel... Ich weiß nicht- ...Tobi?"

Mein Kumpel hatte kaum reagiert, seitdem ich mit meiner Erklärung angefangen hatte, beinahe so, als würde er mich gar nicht hören. Als ich seinen Namen wiederholte, schreckte er auf. "Ich habe Angst", brach es aus ihm heraus, völlig unzusammenhängend mit meiner Rechtfertigung bis gerade eben, "Pauline, sie ist weg! Ich kann sie nicht finden! Sie kommt nicht mehr nach Hause, sie ist nicht im Krankenhaus! Und ihr Handy ist verschwunden... I-ich bin krank vor Sorge um sie und..." Er presste die Zähne aufeinander und begann zu zittern. Augenblicklich war die Anspannung zwischen uns vergessen und ich umarmte ihn tröstend, dabei rasten allerdings meine Gedanken. Noch jemand, der verschwunden war? In so kurzer Zeit, und dann auch noch zwei unserer Bekannten, zwei mit Superkräften! War das ein Zufall? J-ja, das musste es sein! Was denn sonst?! Es konnte sich nur um einen Zufall handeln...

"Pauline ist taff! Ihr geht es sicherlich gut", redete ich sanft auf Tobi ein, der zu weinen angefangen hatte. Einige Blicke richteten sich auf uns, aber ich ignorierte sie. Der kleine Brünette nickte, schniefte, wischte sich eilig über die Augen, aber schaffte es noch nicht, sich wieder zu beruhigen. Er und Line kannten sich mindestens genauso lange, wie Tim und ich uns kannten, und obwohl sie nie ein Paar gewesen waren, war ihre Verbindung zueinander ähnlich stark wie unsere. Natürlich konnte so eine schwächliche Ausrede ihn nicht überzeugen. Aber Gesellschaft und Trost konnte ich ihm immerhin spenden, also tat ich das so lang wie möglich.

"Rafi hat mir schon erzählt, dass auch Julian vermisst wird... Zwei von uns. Eins von den Mädchen fehlt seit heute früh ohne eine Entschuldigung. Man hat es auf uns abgesehen! Da ist irgendetwas, aber ich weiß nicht was! Und der Gedanke bringt mich förmlich um! I-ich..."

Die Schulglocke ging und widerwillig ließ ich los, um an meinen Platz zurückzukehren. Immer wieder warf ich einen Blick zu ihm hinüber, wie er sich erst mühselig beruhigte, dann still und nachdenklich wurde und schließlich entschlossen die Faust ballte. Huh? Was jetzt? Er erwiderte meinen Blick und nickte grimmig: "Ich glaube, ich habe es herausgefunden!", wisperte er mir zu und meldete sich plötzlich. "Entschuldigung, ich muss mal dringend auf Toilette!"

Die Lehrerin zuckte mit den Schultern und genehmigte es ihrem Musterschüler. Er stahl sich davon! Und als meine Sinne ihm folgten, wusste ich auch wieso: "Wir treffen uns nach der Stunde vor Rafis Büro! Ich muss ihm dringend etwas wichtiges sagen!"

Nagut, er wusste schon, was er tat! Eine Weile folgte ich ihm noch, dann konzentrierte ich mich wieder auf den Unterricht.

Fünf Minuten vor Schluss wurde ich aufgeschreckt, kurz bevor die Tür aufschwang und plötzlich ein total verwirrter Tim zwischen uns stand. Er atmete schwer, seine Augen waren weit aufgerissen und huschten hin und her, seine Jacke hatte er nicht einmal ordentlich und vollständig zugeknöpft. "Ich bin zu spät! Es tut mir leid, ich weiß selber nicht, wie ich so lange verschlafen konnte!"

Ein paar vereinzelte Schüler kicherten oder tuschelten leise miteinander. Aber ich rutschte nervös auf meinem Stuhl herum. Was machte er hier? War er wenigstens wieder runtergekommen und würde mich nicht noch einmal schlagen? Es... es wirkte ganz so, wie er sich hastig umzog und seinen Rucksack an seinen Platz schlittern ließ. Völlig durch den Wind strubbelte er sich durch die Haare, dann wendete sich sein Blick an mich. "Hey Stegi, was ein verrückter Tag. Meinen Wecker verschlafen, nichts gefrühstückt, mich einmal völlig im Schulhaus verlaufen! Keine Ahnung, wo meine Gedanken waren, und ich dachte, sowas würde mir nach sechs Jahren hier nicht mehr passieren!"

Die Art, wie er ganz unbeschwert mit mir plauderte, schnürte mir den Hals zu. Nicht einmal eine Entschuldigung hatte er für mich übrig...? Weder für seine Taten, noch seine Worte? "Ja, verrückt", nuschelte ich also bloß und lenkte jetzt seine uneingeschränkte Aufmerksamkeit auf mich. "Dino? Alles okay?"

"N-nein", murmelte ich ehrlich, "Bei unserer letzten Begegnung hast du mich noch angeschrien und verletzt... Also... ist bei mir nicht wirklich alles okay..."

Von Tim kam ein erschrockener Laut. "Was...? Nein, das wüsste ich noch! Das wüsste ich ganz sicher noch! Sag mir, das du mich veralberst! Bitte!", flehte er mich an und ich schüttelte den Kopf. "Nein Timbo. Ich scherze nicht... Du warst wieder so seltsam und-, und hast dich seit gestern Vormittag Zuhause eingesperrt! Ich hab mir solche Sorgen um dich gemacht!"

Gerade als Tim einen Arm um mich legen wollte, die Lehrerin uns sah und vorhatte, uns zu ermahnen, klingelte es und wir konnten schnell aus dem Klassenraum sprinten, um unseren Konflikt zu klären. Mein Freund umarmte ich, und ich konnte nicht anders, als zu erwidern. Er war wieder normal... Aber er schien keine Erinnerung an das zu haben, was er in dieser Zeit getan hatte! Das war gar nicht gut! Wie konnte das nur passiert sein?

"Tut mir so leid mein Kleiner! Ich wollte nichts von dem, was ich dir angetan habe! Aber ich weiß tatsächlich nichts mehr davon. Ich... ich weiß nur, dass mir kleine Teile von den letzten Tagen fehlen, aber nur bruchstückhaft, als wäre es total unwichtiger Kram. Verdammt...!" Er rieb sich frustriert die Augen und mir fiel urplötzlich wieder ein, dass ich Tobi vor Rafaels Büro treffen sollte. Also nahm ich Tim bei der Hand, drückte sie vorsichtig und löste mich von ihm. "Kommst du kurz mit? Ich muss noch dringend wohin!"

We are Heroes! (#Stexpert)Where stories live. Discover now