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Drei Minuten, drei ganze kostbare Minuten kam ich zu spät, als ich endlich den ganzen Weg vom Krankenhaus hinter mich gebracht hatte! Ich hatte nichts tun können, außer mich noch weiter anzuspornen und mit meinem Gehör bereits mitzuerleben, was die um Hilfe schreiende Frau gerade durchmachte. Ein Penner hatte sie angesprochen, an ihrem Kleid herumgezupft, sie schließlich gegen eine Hauswand gedrückt, als sie fliehen wollte, und war gerade dabei, sie auf wüste Weise zu begrapschen. Die tapfere Dame wehrte sich immer weiter, trat, biss und kratzte ihren Peiniger überall dort, wo sie hingelangte, aber der Typ musste bereits so lange täglich saufen gehen, dass ihm all das kaum etwas auszumachen schien. Er lallte ihr bloß immer weiter ins Ohr, was für eine "Geile Schlampe!" sie doch wäre und dass sie den Sex genießen würde. So weit durfte ich es auf gar keinen Fall kommen lassen, nicht mit den Kräften, mit denen ich jetzt ausgestattet war!

"Bitte hilf mir jemand!", kreischte sie gerade wieder, als ich um die Ecke schlitterte und sofort auf den Penner losging. "Hey, du hast sie gehört! Lass sie in Ruhe!" Tatsächlich ließ der torkelnde Mann von ihr ab, drehte sich zu mir herum und lachte. "Sorry, das richtig geile Zeug ist erst ab Achtzehn, also verpiss dich!" W-was jetzt? Soweit hatte ich nicht gedacht! Sollte ich ihm eine reinhauen? Ihn versuchen, weiter von der Frau wegzuziehen? Denn wenn ich jetzt nichts tat... dann würde er sie auf jeden Fall vergewaltigen, ob ich nun zur Zierde daneben stand oder nicht! "Vergiss es!", konterte ich also und versuchte es zuerst mit wegzerren. Nur half das kaum etwas. Er verpasste mir nur eine kräftige Ohrfeige und nutzte mein überraschtes Taumeln, um sich seinem Opfer wieder zu nähern. Das funktionierte nicht! A-also zuschlagen, richtig? In den Filmen klappte das meist mit coolen Sprüchen, die die Bösen kurz ablenkten und einem Zeit für Tricks ließen, nur glaubte ich kaum, dass ich dafür spontan genug war, noch dass das hier helfen würde. Zuschlagen war also wirklich meine letzte Option und obwohl ich mich noch nie zuvor richtig geprügelt hatte, musste ich es versuchen!

"Hey", brüllte ich also noch einmal und boxte dem Typen vor die Brust, als er sich entnervt herumdrehte. Meine Kraft schmetterte ihn zur Seite, wo er kurz eingekrümmt und regungslos liegen blieb. Oh nein... War der Schlag zu hart gewesen? Hatte ich ihn umgebracht? "E-es tut mir leid!", entschuldigte ich mich tatsächlich auch noch bei ihm, als er laut ächzte. Ich absoluter Vollidiot. Denn im nächsten Moment war er schon wieder aufgesprungen und zückte ein Messer aus seinen unendlichen Jackentaschen. "Du willst kämpfen, Kleiner? Na dann komm her! Komm schon, dann hab ich heute zwei Spielzeuge!" Er grinste ein größtenteils zahnloses Grinsen, in seinen Augen blitzte es gefährlich, ehe er einschüchternd brüllend auf mich zustürmte. Ich konnte meinen Blick nicht von der blitzenden Klinge wegnehmen. Oh fuck...! In was hatte ich mich hier nur rein geritten?!

Zum Glück konnte ich mich zuverlässig auf meine Sinne stützen, sonst wäre ich spätestens jetzt hoffnungslos unterlegen! So wusste ich, in welche Richtung er als nächstes schwingen würde und konnte rechtzeitig ausweichen. Doch das machte den Mann nur noch wütender und noch gefährlicher. "Na warte!", grölte er und drängte mich weiter zurück, so lange bis ich eine Wand in meinem Rücken spürte. Damit hatte ich gar nicht gerechnet und ehrlich gesagt auch nicht darauf geachtet! Aber mein Gegenüber wusste das auszunutzen. Mit einem triumphierenden Aufschrei führte er einen Streich von oben aus, die Messerspitze deutete direkt auf mein Gesicht! Hier kam ich nicht mehr rechtzeitig weg, ich war gefangen! Also kreuzte ich einfach meine Arme notdürftig über meinem Kopf, kniff die Augen zusammen und erwartete den brennenden Schmerz, wenn er mir die Klinge gleich in mein Fleisch rammen würde. Der Aufprall kam, ich zuckte zusammen und- ...nichts. Es tat kein bisschen weh! Verwundert schaute ich auf und sah etwas unglaubliches: Die Schneide war einfach an meinen Armen entlang gerutscht, doch anstatt tiefe Schnitte und blutende Wunden zu hinterlassen - gar nichts! Nicht einmal ein Kratzer! Viel besser noch, jetzt hatte ich einen Vorteil aus meiner Situation geschlagen und ohne weiter nachzudenken, kickte ich dem Penner mein Knie zwischen die Beine. Er jaulte auf, das Messer glitt aus seinen Händen, gekonnt schnappte ich es mir aus der Luft und warf es weit weg von uns, wo es vorerst unerreichbar liegen blieb. Nochmal betrachtete ich meine Arme von oben bis unten. Wow...! Nicht nur Muskeln, sondern auch super-widerstandsfähige Haut! Wie genial! Ich war gegen Messerstiche geschützt! Keine Ahnung ob das auch noch als eigene Fähigkeit zählte, aber ich würde es lieber nicht tun. Denn wenn das rauskam, dann würde ich Tim verlieren, Tobi vielleicht auch und wer weiß wie viele Klassenkameraden, die nur eine oder gar keine Kraft besaßen und ebenfalls neidisch werden könnten...

Mein Gegner rappelte sich langsam wieder auf. "Was bistn du? Irgendn scheiß Mutant oder sowas?", fragte er verwirrt, doch auch immer noch angriffslustig. Ich druckste herum. Schließlich wusste ich es selber nicht ganz. Doch er hatte nur auf seine Chance gewartet und wollte gerade wieder auf mich losgehen, als ihn eine Ledertasche mit solchem Schwung am Hinterkopf erwischte, dass er ohne einen weiteren Laut zu Boden fiel. Erschrocken schaute ich auf ihn herunter, dann zu der schwer atmenden Frau, die ich eigentlich hatte beschützen wollen und die jetzt einfach selbst die Initiative ergriffen hatte. "D-danke!", stotterte ich noch ein wenig überfordert, doch da brach sie plötzlich in Tränen aus und fiel mir um den Hals. "Du brauchst mir nicht zu danken! Ich muss dir danken! Alleine hätte ich dem Drecksack niemals entkommen können! Ich hatte solche Angst, dass mich niemals jemand hören würde...!"

Sie humpelte leicht, wie ich bemerkte. Ihre rechte Seite musste ihr beim Belasten ziemliche Schmerzen bereiten, also bot ich ihr an, sie ein Stück zu begleiten und zu stützen. Sie nickte dankbar.

"Was sollen wir mit ihm machen?", fragte ich noch mit einem letzten Blick zurück auf den Penner. Er atmete noch, das hörte ich selbst von hier, also war er nur KO gegangen. Ob die Polizei an einem Typen wie ihm interessiert war? "Mir egal", zischte die Frau mit einem hasserfüllten Blick, "und wenn ihn die Aasvögel holen, soll es mir recht sein!" Jaa, ich half wohl besser ihr zuerst in Sicherheit. Um den Mann konnte ich mich später noch kümmern, wenn ich wollte und er noch da lag. Also ließen wir ihn zurück und gingen erst einmal langsam weiter, die Gässchen entlang und immer mit einem wachsamen Blick um uns. "Wie sind Sie da überhaupt gelandet? Hier ist doch absolut gar nichts in der Gegend!", fragte ich sie irgendwann und sie zuckte bloß mit den Schultern. "Verlaufen. Ich komme nicht von hier. Eigentlich wollte ich eine Freundin besuchen, aber das kann ich jetzt ja wohl vergessen!" Sie lächelte tapfer und zupfte sich ihre Kleider zurecht, die ihr Peiniger ihr nahezu vom Leib gerissen hatte. Recht hatte sie ja, sie sah wirklich sehr mitgenommen aus und ein paar Mal schniefte sie noch leise, während sie sich die Augen mit einem Taschentuch abtupfte. Tröstend tätschelte ich ihren Rücken ein wenig. "Wo kann ich Sie hinbringen? Hier in der Nähe ist ein Krankenhaus, bestimmt kann Sie dort jemand untersuchen, ob alles okay ist!" Die junge Frau nickte einfach nur erschöpft und ließ sich weiter von mir führen. Wäre ich ein bisschen größer gewesen, hätte ich ihr angeboten, sie zu tragen, damit sie sich nicht noch weiter belasten musste. Kraft genug musste ich sicher haben, aber da sie mich um einen halben Kopf überragte, traute ich mich nicht zu fragen. Es hätte extrem seltsam ausgesehen, wenn ein Winzling wie ich sie in meine Arme gehoben hätte...!

Glücklicherweise war das Krankenhaus nicht mehr weit entfernt gewesen und nachdem sie sich noch einige Male bei mir bedankt hatte, begab sie sich allein zur Rezeption und sprach mit der dort sitzenden Schwester. Meine Arbeit war getan und ich konnte hoch zu Tim flitzen, um die Situation zu erklären und mich nochmal ein wenig mit ihm zu unterhalten! Wäre es nichts ernstes gewesen, hätte ich meine Sinne einfach ignoriert und wäre weiter bei meinem Freund geblieben! Hoffentlich verstand er mich auch und warum ich hatte verschwinden müssen...

Doch als ich sein Zimmer erreichte, hatte jemand in der Zwischenzeit ein Schild angebracht, dass die Besucherzeit zuende war und Tim jetzt schlief. Das verstärkte meine Schuldgefühle noch sehr viel mehr und mit hängendem Kopf trottete ich wieder davon. Verdammt, so sah ich Timmi erst morgen wieder...

Erst auf dem Heimweg realisierte ich wirklich, dass meine Rettungsaktion vorhin quasi mein erster Auftritt als Superheld gewesen war! Naja, zu stolz durfte ich darauf wahrscheinlich trotzdem nicht sein, immerhin hatte ich mich bei meinem Angreifer entschuldigt, Angst davor gehabt, ihn auszuknocken, hatte mich von ihm in die Enge treiben lassen, weil ich zu unaufmerksam gewesen war, und zum Schluss hatte das eigentliche Opfer den letzten Schlag landen müssen, weil ich es nicht hinbekommen hatte... Eigentlich ein ziemlich peinlicher erster Auftritt. Aber immerhin hatte ich erreicht, was ich hatte erreichen wollen! Der Frau ging es gut! Der Mann hatte seine Lektion hoffentlich gelernt. Und ich hatte jetzt ein besseres Verständnis von meinen Kräften. Das klang schon positiver! Sollte es noch einmal zu einer Situation kommen, in der ich jemandem aus der Klemme helfen konnte, dann würde ich sie wieder ergreifen!

We are Heroes! (#Stexpert)Where stories live. Discover now