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Das erste, was ich tat, als ich am nächsten Morgen wieder aufwachte war, meine Bettdecke ein Stück anzuheben und unter mein Oberteil zu spähen. Nichts hatte sich verändert, außer dass der Blaustich vielleicht ein wenig zurück gegangen war. Traurig seufzend starrte ich nach oben gegen die Zimmerlampe. Nach Tims Aufmunterung gestern hatte ich ein wenig gehofft, dass heute alles schon wieder ganz normal aussah. Aber ich musste wohl realistisch bleiben. So ein Ausmaß brauchte schon ein Weilchen zum Verheilen, Blutergüsse verschwanden schließlich auch nicht über Nacht, nur weil man es sich wünschte!

Ein paar Sekunden verstrichen, ehe ich die Stirn runzelte, mein Shirt nochmal anhob und meinen Bauch betrachtete, zumindest das, was ich davon aus der liegenden Position erkennen konnte. Hä? Probehalber drückte ich mit einer Hand auf den leichten Erhebungen herum... Tatsache! D-das waren Muskeln! Und nicht wenige, will ich hinzufügen! Sogar meine Oberarme fühlten sich extrem energiegeladen und stärker als sonst an! Eine Blitznarbe verschwand nicht, aber ein anschauliches Sixpack inklusive krasser Bizepse erscheint einfach mir nichts, dir nichts aus dem Nirgendwo! Ich trieb ja nicht einmal Sport! Ich hasste Kraftübungen, und jetzt-!

Vorsichtig blinzelte ich im Raum herum. Ich hatte ein Einzelzimmer bekommen und niemand war zurzeit da. Perfekt! Also begann ich völlig schamlos, an meinem neuen Körper herumzudrücken und zu kneten um zu spüren, wie sich ein Bodybuilder wohl so fühlte. Echt cool! Alles war so straff und glatt und man konnte quasi die ganze Kraft ertasten, die dort gebündelt darauf wartete, endlich einmal benutzt zu werden! Nochmal der prüfende Blick um mich, zu den verspiegelten Glastüren Richtung Flur, dann hievte ich mich aus dem Bett und torkelte ein paar Schritte, ehe ich mich an einem Regal neben mir abstützen konnte.

Der Raum besaß ein kleines Waschbecken mit einem Spiegel, der neben dem Eingang zur Toilette an die Wand montiert war und in dem ich mich zumindest teilweise betrachten konnte. Vorsichtig übte ich mich in einem sicheren Stand, dann ließ ich das Regalbrett los, um mir das schlapprige Oberteil über den Kopf zu ziehen. Und tadah, ich sah einen Fremden mir gegenüber. Einen muskulösen Fremden mit echt abschreckenden Flecken und Striemen auf dem Körper, aber immer noch meinem Gesicht. Ne, Moment! Meine Brille fehlte! Also nochmal die wenigen Schritte zurück zum Bett, um sie zu holen, aber trotzdem zögerte ich, anstatt sie sofort aufzusetzen.

Gestern hatte ich durch die Brille kaum etwas gesehen, es war ähnlich schlimm gewesen wie an den Tagen, an denen ich frühs nach dem Duschen durch die Wohnung tapste und völlig blind nach den Gläsern suchte, weil ich sie wieder einmal an der unmöglichsten Stelle verlegt hatte. Dafür war ohne sie alles gestochen scharf. Und auch jetzt war ich wie selbstverständlich ohne sie aufgestanden und hatte es erst an meinem ungewohnten Spiegelbild bemerkt. Hmm, brauchte ich sie vielleicht wirklich nicht mehr? Das wäre toll, weil mir viele gesagt hatten, mir würden Brillen nicht stehen und ich sollte lieber zu Kontaktlinsen wechseln. Aber... warum? Warum waren meine Augen urplötzlich korrigiert? Das konnte doch kein Blitzeinschlag bewirken! Und dann noch meine neueste Errungenschaft, das Sixpack. Das ging nicht mit rechten Dingen zu, oder?

Gedankenverloren drehte ich die Metallbügel zwischen meinen Fingern. Oder doch? Wäre es irgendwie doch möglich? Vielleicht... vielleicht hatte die Wucht oder der Stromfluss eine dauerhafte Anspannung meiner Netzhaut bewirkt und sie näher Richtung Linse gerückt, sprich die zuvor falsche Entfernung perfekt behoben! Eventuell ließen sich sogar die Muskeln ganz ähnlich erklären. Dauerhafte Anspannung über die Zeit, in der ich bewusstlos gewesen war, ein unbewusstes, furchtbar effizientes Training für meinen Körper! Und das ganz ohne mich anzustrengen, nur den Muskelkater hatte ich halt bis gestern noch aussitzen müssen! Hmm, wenn das die Folgen waren, dann wollte ich die Nebenwirkungen à la Frankenstein-Narben wohlwollend in Kauf nehmen! Immerhin sahen die chaotischen Netze auf einem schön definierten Waschbrettbauch sehr viel cooler und gewollter aus, als auf meiner schmächtigen Brust von gestern! Mit der Brille in der Hand schob ich mich ein zweites Mal vor den Spiegel, posierte grinsend ein wenig, setzte mir den Rahmen probehalber auf und sofort wieder ab. Nein, entschieden nein! Ich konnte nicht einmal mehr meine Hand scharf erkennen, wenn ich den Arm ausstreckte! Nein danke, der neue Stegi brauchte dieses alberne Ding nicht mehr. Der neue Stegi... he, das klang nicht übel! Zufrieden mit mir und der Welt verschränkte ich playboymäßig meine Arme hinter meinem Kopf, zog eine Augenbraue hoch und warf meiner Spiegelung einen Kussmund zu, als ich plötzlich die Türklinke hörte, die heruntergedrückt wurde. Zum Flüchten und ins Bett zurück verkriechen fehlte mir die Zeit, ebenfalls um mir mein Shirt wieder überzustreifen. Ich bekam es lediglich zu fassen und konnte es mir noch vor die Brust pressen, ehe mein Besuch in den Raum stürzte: "Stegi, ich muss dir unbedingt etwas erzäh-!" Als er mich nicht am üblichen Ort vorfand, unterbrach er sich verwundert, scannte den Raum ab und entdeckte mich dann doch. "Ach, da bist du! Du kannst schon wieder aufstehen? Das ist ja toll!"

"T-timbo...", stotterte ich und wurde knallrot. Vor einer Sekunde hatte ich noch davon geträumt, wie beeindruckt er sein würde, wenn ich ihm bei unserem nächsten Treffen "rein zufällig" das Sixpack zeigte, jetzt stand ich da wie ein verschrecktes Reh im Scheinwerferlicht. Mein Freund durfte nicht von den neu gewachsenen Muskeln erfahren! Mir konnte ich vielleicht einreden, dass es eine Art Wundertraining gewesen war, das unerwartete Früchte getragen hatte, aber das Tim erklären zu wollen war ein schlechter Witz. Tot umfallen würde er wenn ich jetzt einfach das Oberteil wegnahm!

Lächelnd kam er auf mich zu, so als wolle er mich umarmen. Ich schreckte zurück. Ich konnte mich kaum bewegen, ohne dass die Maskerade sofort aufflog. Das brachte Tim abrupt zum Stoppen, ein besorgter und verletzter Gesichtsausdruck breitete sich aus. "Was ist los?"

"Ähm... a-also...", nuschelte ich vor mich hin. Hätte mir der Blitz nicht auch ein Superhirn schenken können, dass glaubhafte Notlügen selbst in schwierigen Situationen erfinden konnte? Das wäre mir jetzt bei weitem nützlicher gewesen... "I-ich wollte aufs Klo. J-ja genau, ähm, lässt du mich kurz gehen?"

Tim war verwirrt. "Ohne dein Shirt an?", hakte er nach. "Genau, aufs Klo und dann noch duschen!", fachsimpelte ich und trippelte langsam rückwärts zu der rettenden Tür. Meinen Angstschweiß musste man dabei aus Kilometern Entfernung riechen können! Auch mein Freund wusste natürlich, dass hier etwas nicht stimmte. "Sicher? Oder... ist es wegen der Narben? Glaub mir Dino, das ist nur halb so schlimm, wie es jetzt noch aussieht! Und du brauchst dich vor mir nicht zu verstecken!"

"I-ich versteck mich doch gar nicht!", piepste mein Mund, aber meine Augen sprachen ertappt das Gegenteil. Verdammt! Und dieses eine Mal bereute ich, dass Timbo mich so gut kannte. Er kam wieder mit großen Schritten näher und legte mir die Hände auf meine Schultern. "Ich liebe dich, das weißt du doch noch. Was ich dir versprochen habe damals, dass ich dich nie und nimmer nicht lieben könnte? Du bist mein ein und alles und wenn du daran Zweifel hast, dann denke ich, dass es meine Schuld ist und ich es dir nicht genügend bewiesen habe!" Er seufzte leise, als ich nur klitzeklein nickte und nichts von meiner Abwehr aufgab: "Die Narben sind wirklich kein Problem für mich, okay? Du bist makellos und ich kann es schon gar nicht mehr abwarten, wie hübsch du erst aussehen wirst, wenn die ganzen Streifen zu dem wunderschönen roten Muster verblassen. Du wirst ein Kunstwerk, wertvoller und perfekter als jedes Bild von Michelangelo oder Da Vinci!"

Seine Worte hätten mich in jedem anderen Augenblick beruhigt, wäre ich jetzt nicht so ängstlich und verkrampft. Ich konnte seiner Bitte nicht nachkommen! Egal mit wie süßen Worten er mich darum bat! O-obwohl... gestern hatte er mich auch lieber mit der Wahrheit konfrontiert, als mich unwissend hängen zu lassen! Und wer weiß, vielleicht wusste er ja, ob man mir ein Mittel hatte verabreichen müssen, das jetzt sonderbare Effekte auf meinen Körper hatte. Okay, gut. Zähne zusammenbeißen und auf das bestmögliche Ergebnis hoffen!

"T-timmi? Bitte erschrecke dich nicht, okay? Es ist etwas passiert und ich weiß nicht, wie du darauf reagieren wirst! Ist das in Ordnung?"

Er stockte erst, nickte danach aber heftig. "Klar, du kannst mir alles anvertrauen!"

Dann, ganz langsam, ließ ich meine Arme samt Shirt nach unten sinken.

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Bisher ehrlich gesagt mein Lieblingskapitel von denen, die ich von dieser Geschichte schon habe :'D Ich wollte es mal absichtlich ein wenig cringy machen! Und leider muss ich euch weiterhin mitteilen, dass es immer noch unregelmäßige Uploads geben wird, weil ich einfach nicht mit schreiben hinterher komme. Gomenasai liebe Leute, ich streng mich an dass es besser wird!

Außerdem noch Danke an

kaesekaetzchen
Vanni2005
Apfelfresse_a
_Yruel_ und
xXSt3xp3rtLov3rXx

für eure Votes beim PlatinAward! Mit eurer Hilfe rückt der erste Platz immer näher und obwohl noch viel Zeit ist bis die Bewertungsphase endet und sich bis dahin noch einiges ändern kann, bin ich echt optimistisch! Dank euch (der besten Community der Welt *schleim schleim*) glaube ich, dass dieses Ziel nicht so unerreichbar ist, wie ich anfangs noch der Überzeugung war! Doch selbst wenn es letztendlich nicht ganz ausreichen sollte, freue ich mich, dass ihr euren Vote an meine Geschichte gegeben habt und mir zeigt, wie sehr sie euch gefallen hat! Dankeschön!! :D


We are Heroes! (#Stexpert)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt