38: Nur noch ein kleines Stück

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"Dauert das noch lange?", fragte Flavia nun schon zum fünften Mal.
"Es dauert eben so lang es dauert", verdrehte James genervt die Augen. "Du bist schlimmer als meine kleine Cousine!"
"Ich bin bestimmt süßer", grinste sie nun und machte Kulleraugen. James behielt einen ernsten Gesichtsausdruck.
"Nein", sagte er einfach und Flavia sah ihn fassungslos an.
"Wie kannst du sowas nicht süß finden?", schmollte sie. Nun grinste der Schotte.
"Jahrelanges Training, meine Liebe."
"Jetzt hör schon auf zu nerven, Flavia", meinte Teresa. "Wir sind gleich dran."

Nach unserem Erlebnis mit Letitia in dem Souvenirgeschäft, hatten wir uns ohne viele Worte auf den Weg zu den Booten gemacht, die uns nach Alcatraz bringen würden. Ich war schon gespannt, mir das Gefängnis von Innen anzusehen. Es wurde für Schwerverbrecher eröffnet, da man von dort nicht fliehen konnte. Das Wasser war zu kalt und die Strömungen zu stark, um zu schwimmen. Außerdem gab es den Trakt D, indem sich die Isolationszellen befanden, die von den restlichen abgetrennt waren. Das, und noch vieles weitere, würde uns dort erwarten. Mich hatte das Thema schon interessiert, als wir es vor ein paar Jahren mal im Unterricht durchgenommen hatten. Ausnahmsweise hatte mir Geschichte einmal Spaß gemacht.

"Das ist die kleine Fähre auch schon", zeigte Christian aufs Wasser. Wir warteten, bis diese angelegt hatte und die Passagiere ausgestiegen waren. Dann zückten wir unsere Tickets und gingen nacheinander an einem der Mitarbeiter vorbei, der diese kontrollierte. Die Überfahrt zur Insel dauerte bloß eine viertel Stunde und als wir endlich dort waren, konnte ich es kaum fassen. Ich hatte schon so viele Fotos gesehen, aber in der Realität hatte es eine viel stärkere Atmosphäre.

"Das ist ja mega cool hier!", sagte Flavia begeistert.
"Irgendwie gruselig", murmelte Teresa und sah sich genau um.
"Kommt mit", übernahm Luca die Führung. "Da vorne kann man sich Audioguides holen." Wir folgten ihm einen Weg entlang, der uns hoch zum Gefängnis brachte.  
"Wow, das ist echt besser, als ich es mir je vorgestellt hatte", meinte ich und sah mich um.
"Wird noch besser", nickte Luca und bestellte uns sieben Geräte, sobald wir am Eingang angekommen waren. Er reichte sie uns nacheinander.
"Wird er doch noch zum Gentleman?", neckte Flavia.
"Nein. Bin ich schon", antwortete er trocken und ich musste schmunzeln. Den beiden war echt nicht mehr zu helfen.
"Na kommt", sagte nun James. "Da vorne geht's los." Ich sah auf meinen Audioguide und drückte auf die Eins. Dann hielt ich mir das Gerät ans Ohr und lauschte der typischen Erzählerstimme, die mir nun begann zu erklären, wie das Gefängnis aufgebaut war. Dabei liefen wir immer von Raum zu Raum und ich konnte mir immer besser vorstellen, wie es gewesen sein musste, hier zu leben. Hinter den Zellen verlief ein Versorgungsgang, wir sahen die Duschen, in denen die Gefangenen zwei Mal in der Woche warm duschen konnten, damit sie sich nicht ans kalte Wasser gewöhnten, auch die Kantine begutachteten wir.

Als wir im Trakt D angekommen waren und wir Infos über die Isolationszellen erhielten, schien Teresa leicht blass um die Nase zu werden. Sie nahm den Audioguide runter, bevor wir ganz durch waren und sah sich einfach nur noch um, als wir auf dem Gang einen Blick in die Zellen werfen konnten.
Als wir dann etwas über die besonders harten Strafen erfuhren, zum Beispiel in der Zelle ohne Licht, schien auch Flavia schwer zu schlucken. Ich beobachtete sie von der Seite. Sie hatte ihren Blick starr auf den Boden gerichtet und ihre Hand um ihren Audioguide gekrampft. Automatisch dachte ich an die letzte Mission zurück, wo Flavia in die Black Box gesperrt wurde. Danach saß sie total paralysiert in einer Ecke und ein mulmiges Gefühl machte sich in meinem Magen breit, als ich daran zurück dachte.

Als wir alle Räume gesehen hatten, kamen wir nach draußen und machten dort noch eine Runde. Vorne auf dem Felsen konnte man gut auf San Francisco schauen und auch die Golden Gate Bridge war deutlich erkennbar.
"Das ist echt wunderschön!", staunte ich. Für einige mochte es nur eine Brücke sein, doch wenn man diese so sah, wie sie mit ihrer roten Farbe die Aufmerksamkeit auf sich zog, dann schien sie einfach mehr als das. Das Rot leuchtete in der Sonne richtig und ich stand einige Minuten bloß da und sah mir die Brücke an.
"Hey, Alex." Flavia trat neben mich und ich sah zu ihr.
"Was gibt's?"
"Luca, Christian und Teresa wollten gleich in diese dunkle Zelle. Mit der Führung kann man sich da sozusagen einsperren lassen für ein paar Minuten. Ich würde eine Runde hier draußen machen und mir mal den Hof ansehen, in dem die Häftlinge Zeit an der frischen Luft verbringen konnten. Kommst du mit?"
"Teresa geht in die dunkle Zelle?", hob ich eine Augenbraue.
"Sie weiß es noch nicht, aber Christian und Luca haben es so beschlossen", grinste sie und schüttelte den Kopf. "Mich wollten sie auch überreden, aber...ich brauch das nicht nochmal."
"Ja", seufzte ich. "Verständlich."
"Also, kommst du nun mit mir?"
"Ich glaub ich gehe später gucken, ich möchte noch ein wenig die Aussicht hier genießen."
"Ach komm schon!"
"Ich komme mit", warf James ein, der plötzlich neben uns getreten war.
"Wirklich? Auf dich ist verlass!" Flavia strahlte ihn an und machte sich mit ihm auf den Weg. Ich sah ihnen hinterher und aus den Augenwinkeln nahm ich wahr, dass nun auch Luca, Christian und Teresa losmarschierten. Sie gingen wieder zum Eingang und ich merkte, dass Teresa noch nicht hundertprozentig überzeug schien.

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