Dear friend...

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Ich hätte nie gedachte, dass ich dir jemals einen Brief schreiben würde. Aber ich hätte auch nicht gedachte, dass ich dich nach unserem letzten Treffen niemals wieder sehen würde.

Du kannst mir also glauben, wenn es eine Möglichkeit gäbe dir all diese Dinge persönlich zu erzählen, dann würde ich sie auf der Stelle nutzen. Alles stehen und liegen lassen, nur um noch einmal mit dir sprechen zu können. Es gibt so vieles, was ich dir erzählen möchte.

Ganz oft habe ich das Gefühl, deine Stimme zu hören. Du würdest mich zusammenstauchen, weil ich aus dieser Situation ein großes Drama mache, aber gleichzeitig würdest du meine Hand nehmen und mich anlächeln. Dann wüsste ich, dass du mir zustimmst und dass du stolz auf mich bist, obwohl du es mit keinem Wort erwähnt hast.

Das hast du noch nie gemacht und ich habe es trotzdem immer gewusst, genauso wie du gewusst hast, dass du nur ein Wort sagen musstest und ich sofort an deine Seite geeilt wäre. Wir haben es beide immer gewusst, obwohl es niemand ausgesprochen hat.

Heute kann ich nicht mehr mit dir sprechen und du meine Hand nicht mehr halten, deswegen sitze ich hier und schreibe dir. Ich mache das, was du mir gesagt hast.

Wenn du zu viel fühlst, dann schreib es auf.

Schreib es für dich.

Schreib es, um es für immer festzuhalten und wenn du bereit bist, dann teile es mit der Welt, denn vielleicht hilft das, was du geschrieben hast einer anderen Person mit ihren eigenen Gefühlen umzugehen.


Kannst du dich noch daran erinnern, wie wir uns in einem kleinen Kaffeehaus ausgemalt haben, wie unsere Zukunft aussehen sollte? Was wir mit unserem Leben anfangen wollten? Du wusstest es ganz genau. Du hattest einen Plan und ich wusste, dass du ihn durchgezogen hättest. Und ich? Ich wusste damals nur, dass ich dieses eine Fach studieren wollte. Nur dieses eine, kein anderes.

Wir beide wissen, dass wir wenige Wochen später in einem anderen Kaffeehaus eine Alternative für meinen Plan gesucht haben. Eine Alternative, die ich nicht wollte und von der du dir sicher warst, dass sie mir dennoch guttun würde. Ich konnte und wollte dich damals nicht verstehen. Deine Argumente gingen bei einem meiner Ohren hinein und bei dem anderen wieder hinaus. Die Enttäuschung saß zu tief und ich muss zu meiner Schande eingestehen, dass ich eifersüchtig gewesen bin, denn du hattest es geschafft. Du bist den ersten Schritt auf deinem Weg gegangen und ich hatte Angst zurückzufallen.

Doch wie so oft bei unseren Gesprächen hattest du Recht. Nein, die Alternative war nichts für mich, aber sie hat den Weg bereitet. Den Weg zu dem Punkt an dem ich jetzt stehe und an damals zurückdenke. An einen jungen Mann mit lachenden Augen und ein stures Mädchen, das die Arme vor der Brust verschränkt hatte, weil sie nicht wusste, warum das Leben so ungerecht zu ihr war.

Heute kann ich nur den Kopf darüber schütteln, denn wir beide hatten damals noch keine Ahnung, wie ungerecht das Leben erst werden würde.

Du hast mir gesagt, dass ich mein Ziel dennoch erreichen würde. Ich würde es schaffen, obwohl der Weg so unendlich weit erschien. Und du hattest wieder einmal Recht. Heute stehe ich hier und halte den ersten großen Meilenstein dieser endlosen Ausbildung in meinen Händen, während der zweite zum Greifen nah ist.


Diesen Moment wollten wir feiern, erinnerst du dich?

Aber mir ist nicht zum Feiern zu Mute, denn du bist nicht hier. Du hast mich nicht bis zum Ende begleitet. Nein, das ist nicht wahr. Das hast du, aber das Ende kam viel zu früh.


Wenn ich zurückblicke auf die letzten fünf Jahre, dann wirkt alles so surreal. Es war eine Reise gleich einer Achterbahnfahrt. Es ging bergauf, dann steil bergab und wieder hoch hinaus.

In der letzten Zeit ging es steiler bergab als jemals zuvor, doch ich habe nicht aufgegeben. Ich habe gekämpft für das, was mir wichtig ist. Noch fühle ich mich nicht, als hätte ich gewonnen, aber du würdest sagen, das hast du. Denn wer kämpft und vom Boden aufsteht, der ist der Sieger. Nur wer aufgibt, verliert und das konnte ich nicht. Denn das hast du auch nicht. Wir haben beide gekämpft und alles getan.

Dass ich dir nicht davon berichten, dich nicht anrufen und mit dir ins Kaffeehaus gehen kann, versetzt meinem Herzen immer wieder aufs Neue einen Schlag. Du warst mein größter Kritiker und trotzdem mein Held in glänzender Rüstung. Dass das nicht immer einfach war, das wissen wir beide. Zwei Sturköpfe, die aneinander krachen und trotzdem das Beste aus dem jeweils anderen herausholen konnten. Genau das waren wir.


Heute schreibe ich dir, weil mir wichtig ist, dass du es weißt. Ich bin meinen Weg gegangen. Schritt für Schritt, auf und ab. Ich gehe immer weiter. Das früher so ferne Ziel ist jetzt in Sichtweite und ich frage mich, was dahinter auf mich wartet.

Du weißt, dass ich immer Angst vor dem Ungewissen hatte. Daran hat sich auch bisher nichts geändert, aber ich laufe darauf zu. Ich laufe nicht mehr weg, sondern stelle mich dem, was auf mich wartet. Denn alles hat einen tieferen Sinn, das waren deine Worte.

Jetzt kann ich sie dir zum ersten Mal glauben. Aber trotzdem bin ich noch auf der Suche nach dem Sinn unserer Trennung.

Wo bist du jetzt?

Kannst du mich von dort noch sehen?

Bist du immer noch stolz auf mich?

Hältst du meine Hand, auch wenn ich es nicht sehen kann?

Gehst du deinen Weg?

Wartest du auf mich?

Liebst du mich noch?

Moments of TimeWhere stories live. Discover now