Until we meet again

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Leise knarzte das alte Holz des abgetretenen Parkettbodens bei jedem noch so kleinen Schritt, mit dem sich die alte Frau der verschlossenen Türe am anderen Ende des Ganges näherte. Die großen Fenster mit Blick auf den grünen Wald, der das Haus umgab, waren hinter dicken, dunklen Vorhängen versteckt so, dass kaum Licht hindurch drang. Niemand würde erahnen, dass auf der anderen Seite der Glasscheiben strahlender Sonnenschein vom Himmel fiel.

Es wirkte fast schon lächerlich, dass ausgerechnet an diesem Tag die Sonne ihre ganze Schönheit zeigen wollte. Dass der Sommer zurückgekehrt war, an einem Tag, der eigentlich düster und grau hätte sein müssen. Zumindest für Helene konnte nichts die Finsternis und Angst aus diesem Augenblick vertreiben.

Was sie am Ende des Ganges hinter der verschlossenen Türe erwartete, würde ihre Welt für immer und in ihren Grundfesten verändern. Nicht einmal die wärmsten Strahlen der Sommersonne würden ihr Leben an diesem Tag noch erhellen können. Nein, heute würde sich die Finsternis in ihrer Welt noch ein klein wenig mehr ausbreiten.

Mühsam ging sie weiter. Jeder kleine Schritt kostete sie Kraft und zeigte ihr dadurch nur zu deutlich, dass sie nicht mehr die junge, lebensfrohe Frau war, die sie an jenem Tag gewesen war, als sie zum ersten Mal diesen Flur betreten hatte. Nun waren ihre Muskeln alt und geschwächt von einem langen Leben und den unzähligen Hürden, die es für sie bereitgehalten hatte. Sie brauchte einen Stock, um ohne die Hilfe ihrer Enkeltochter den wohl schwersten Weg ihres Lebens zu gehen.

Sara folgte ihr mit etwas Abstand. Helene wusste, dass ihre Enkeltochter sie für keinen Moment aus den Augen ließ. Sie würde eingreifen, sollte die alte Frau die Kraft verlassen. Die wundervolle junge Frau, die ihr Bestes gab, um die Tränen zurückzuhalten, obwohl sie unerbittlich an die Oberfläche drängten, wusste, dass ihre Großmutter ihre Hilfe in dieser Situation nicht einfach annehmen konnte. Manche Dinge musste man alleine tun. Abschied zu nehmen war eines davon.

Mit dem üblichen Zittern ihrer faltigen Hand öffnete Helene die Tür zum Raum am Ende des Ganges. Finsternis und abgestandene Luft schlugen ihr in einer Welle entgegen. Ihr altes Herz hämmerte wie wild in ihrer Brust, als sie mühsam über die Schwelle trat.

Trotz der Dunkelheit fand ihr Blick sofort, wonach er suchte. Helles Blau, welches durch das Alter langsam zu Grau wurde, traf auf warmes Braun und es war, als würde sie ihn erneut zum ersten Mal sehen. In diesem Augenblick waren die vergangenen sechzig Jahre und die Krankheiten wie weggezaubert.

„Jack", wisperte Helene heiser und widerstand dabei dem Drang auf ihn zuzulaufen. Das konnte sie nicht mehr. Sie war alt geworden und Jack war noch älter. „Helene", seine tiefe Stimme hatte sich über all die Jahre verändert und doch ging sie ihr immer noch ganz genauso unter die Haut. Dieser Mann berührte sie auf eine Weise, die Helene sich selbst nicht erklären konnte.

Das hatte er schon immer getan und würde es auch weiterhin tun. Bereits bei ihrem aller ersten Aufeinandertreffen hatte sie es gewusst. Sie hatte sofort gewusst, dass er etwas Besonderes war. Dass er es sein würde, dem sie ihr Herz schenken wollte. Dass er die Liebe ihres Lebens war. Dass sie nie wieder von ihrem Jack getrennt sein wollte. „Helene", wiederholte der alte Mann und durchbrach damit den Bann, den seine Stimme über sein Gegenüber gelegt hatte.

Ohne zu zögern hielt Helene den Stock ihrer Enkeltochter entgegen. Sie würde diesem Mann mit Würde und Kraft gegenübertreten, so wie sie es schon immer getan hatte. Sara schien zwar nicht begeistert, von der Idee ihrer Großmutter, doch sie nahm die Gehhilfe entgegen. Bereit jeden Moment einzugreifen, sollte es notwendig werden.

Für die alte Frau war diese kleine Geste jedoch völlig belanglos. Alles was für Helene zählte, war Jack. Auf zittrigen, schwachen Beinen und mit kleinen wackeligen Schritten ging sie auf ihn zu. Auf ihn, den Mann, der ihr gezeigt hatte, was es bedeutete, zu leben. Er war die Liebe ihres Lebens. Die einzige Liebe ihres Lebens. Das war er immer gewesen und würde es auch für immer bleiben.

Vergeblich versuchte Jack sich im Bett aufzurichten ohne die alte Frau aus den Augen zu lassen. Seine früher so starken Arme verweigerten ihm den Dienst und so konnte er nur zusehen, wie sie langsam neben ihm auf die Matratze sank. „Helene", ihr Name kam wie ein Gebet über seine Lippen. Sein ganz persönliches Gebet. Seine Frau.

Diese Tatsache hätte er niemals vergessen können, obwohl sein Gedächtnis nicht mehr dasselbe war. Schon bei ihrem ersten Treffen hatte er es gewusst. Wie hätte er sie jemals wieder gehen lassen können? Wie hätte er zusehen sollen, dass sie einen anderen liebte? Niemals hätte er das gekonnt. Sein Herz mochte im Lauf der Jahre schwach und krank geworden sein, doch nun, da sie vor ihm stand, schlug es kräftig in seiner Brust. Es schlug für sie. Für Helene.

„Bitte verzeih mir", flehte der alte Mann leise und hob zitternd seine Hand. Schon diese winzige Geste kostete ihn Unmengen an Kraft. Für eine Sekunde sah Helene ihn einfach nur an. Ihre Augen hatten sich verändert. Die kleinen Fältchen, die sich früher nur bei ihrem wundervollen Lächeln gezeigt hatten, waren nun dauerhaft präsent. Ein grauer Schatten hatte sich über das helle Blau gelegt und dennoch blickten ihre Augen immer noch direkt in seine Seele und sein Herz.

Vom Alter steif gewordene Finger glitten für einen Moment über die seinen. „Es gibt nichts zu verzeihen", stellte Helene mit rauer Stimme fest, „du konntest es nicht verhindern. Wir sind alt geworden. Gegen die Zeit sind wir machtlos." Ihr Blick löste sich für keine Sekunde von dem seinen. In ihren Augen erkannte Jack, dass sie die Wahrheit sprach.

Unter größter Anstrengung hob er seine Hand. Seine Finger schlossen sich sanft um die ihren. Wie oft hatte er in den vergangenen sechzig Jahren ihre Hand in der seinen gehalten? „Ich liebe dich, Helene", wisperte er schwach und mit Tränen in den braunen Augen.

Beinahe wäre der alten Frau ein Schluchzen entwichen, doch sie drängte es zurück. Stattdessen änderte sie die Position ihrer Finger, bis sie mit den seinen verschränkt waren. „Ich weiß", hauchte sie, „und ich liebe dich auch. Dich und das wundervolle Leben, das wir gemeinsam geführt haben. Jede Sekunde davon."

Jacks Blick glitt zu Sara, bevor er zu Helene zurückkehrte. Seiner Frau war dies nicht entgangen. „Wir haben uns ein zu Hause geschaffen. Einen wundervollen Sohn zusammen in diese Welt gebracht. Wir konnten sehen, wie er aufwächst. Wie er zum Mann wurde und seine Frau gefunden hat. Wir haben Enkelkinder. Wundervolle Enkelkinder, die uns bis zum Ende zur Seite stehen."

Behutsam hob Helene die Hand ihres Mannes zu ihren Lippen und hauchte einen Kuss auf seine Knöchel. „Du hast so viel getan. Gearbeitet, für uns gesorgt, mit den Kindern gespielt. Du warst immer an meiner Seite. Wie du es versprochen hast, an den guten und an den schlechten Tagen. Du hast dein Versprechen gehalten, Jack."

Das Gewicht seiner Hand in ihrer wurde größer, als ihn die Kraft verließ. Sie konnte sehen, dass er darum rang die braunen Augen geöffnet zu halten. „Du kannst jetzt aufhören, dich zu wehren. Du kannst einschlafen. Es ist in Ordnung. Ich bin hier. Ich bin bei dir."

Seine Brust hob und senkte sich unter seinen schwachen Atemzügen. „Du gehst voraus. Hörst du mich, Jack. Du wirst vor gehen und wenn ich nachkomme, dann wartest du auf mich", Helene beugte sich langsam zu ihrem Mann hinab, „ich liebe dich, Jack."

Zärtlich hauchte sie ihm einen Kuss auf die trockenen Lippen. Eine Träne lief über ihre Wange und tropfte auf das Kissen. Immer noch hatte sie die Finger mit den seinen verschränkt. Als sie sich einen Augenblick später von ihm zurückzog, wusste sie es. Jack hatte diese Welt verlassen. „Wir sehen uns wieder, mein Herz", flüsterte sie in sein Ohr, während Helene ihm ein letztes Mal über das ergraute Haar strich.

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