Vertrauen

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Die Herbstsonne brannte vom Himmel, während ein trockener Wind durch die Metallstangen pfiff. So standen wir bewegungslos da. Ich am Ende meiner körperlichen Kräfte, ohne zu wissen, was ich überhaupt tat und kurz davor in Tränen auszubrechen. Er mit seinem skeptischen Blick, ohne zu verstehen, was ich von ihm wollte und immer bereit die Flucht zu ergreifen.

Seine sonst so wunderschönen braunen Augen, in die ich mich schon vor langer Zeit verliebt hatte, zeigten deutlich, welche Gefühle ihn beherrschten. Ich konnte sie sehen und dennoch den Grund dafür nicht verstehen. Wut, Verwirrung und Angst stand ihm ins Gesicht geschrieben. Keine Sekunde ließ er mich aus seinem Blickfeld entweichen, folgte jeder meiner Bewegungen mit dem Kopf. Die Ohren drohend zurückgelegt.

Seine Nüstern blähten sich bei jedem schweren Atemzug, während er die Luft in einer Art Fauchen entweichen ließ. Ein Vorderhuf scharrte über den sandigen Boden. Ich wusste bereits, was dieses Verhalten bedeutete. Er drohte mir. Jede Faser seines Körpers war bis zum Zerreißen angespannt. Offen und ehrlich, wie es nur ein Tier konnte, zeigte er mir, dass er mich hier nicht haben wollte. Er selbst wollte wohl auch nicht an diesem Ort sein. Eingesperrt in einem Kreis aus Metallstangen mit einem Raubtier, dem er nicht vertraute. Er vertraute mir nicht.

Ich wusste, was sein Verhalten bedeutete. Ich hatte es in Büchern gelesen, in Filmen und bei anderen Pferden gesehen. Ich wusste es, aber ich wollte es einfach nicht wahrhaben. Schließlich hatte ich ihm nie etwas getan. Ich wollte ihm helfen. Deshalb hatte ich ihn gekauft. Er lag mir am Herzen und ich wollte nichts weiter als sein restliches Leben so schön wie möglich zu gestalten, doch er wollte meine Hilfe nicht.

Wenn ich mich ihm näherte, biss er zu. Er trat nach mir aus, wenn ich in der Reichweite seiner Hinterhufe war. Er stieß mich um oder riss sich los, wenn ich ihm den Weg versperrte. Er wollte einfach nicht bei mir sein. Konnte er meine Nähe nicht ertragen? Hasste er mich? War er überhaupt zu solchen Gedanken und Gefühlen fähig? Ich war mir nicht sicher. Für mich fühlte es sich auf jeden Fall so an und ich wollte es nicht glauben. Ich liebte ihn doch!

Mit Tränen in den Augen trat ich einen Schritt auf ihn zu. Sofort hob er den Kopf, die Ohren so weit zurückgelegt, dass ich sie kaum noch sehen konnte. Ein weiterer Schritt. Seine Nüstern blähten sich und er schlug missmutig mit dem Schweif. Noch ein Schritt. Der linke Vorderhuf schlug nach mir, doch ich war außerhalb seiner Reichweite. Vorsichtig streckte ich eine Hand nach ihm aus. Er schüttelte sich und trat einen Schritt zurück. Wieder entzog er sich mir.

Was hatte ich ihm nur getan? Warum war er so wütend? „Bitte", wisperte ich und machte noch einen Schritt. Einen Einzigen und doch war es ihm zu viel. Er stellte sich auf die Hinterbeine und trat mit den Vorderbeinen nach mir. Mit einem kleinen Aufschrei wich ich zurück und stolperte über den Strick des Halfters, welches ich immer noch in der Hand hielt. Ehe ich mich versah, saß ich im Sand und blickte zu ihm auf.

Mit einem Schnauben kam er wieder auf den Boden. Seinen Kopf schüttelnd machte er einige Schritte zur Seite. Keine Sekunde ließ er mich aus den Augen. Er bewegte sich leicht auf mich zu und ich streckte wieder die Hand nach ihm aus. Ohne Vorwarnung galoppierte er davon. Weit konnte er nicht laufen, denn wir waren von Metallstangen umzäunt. Doch er lief daran auf und ab, als würde er verzweifelt nach einem Ausweg suchen. Einem Weg, um von mir wegzukommen.

Ihn so zu sehen versetzte mir einen Stich mitten ins Herz. Alle Schranken fielen in sich zusammen und die Tränen fingen an, über meine Wangen zu strömen. „Was ist dein verdammtes Problem?", brüllte ich ihn an. Immer noch saß ich im Sand und ballte die Hände zu Fäusten. Natürlich antwortete er mir nicht. Er versuchte, eine Fluchtmöglichkeit zu finden.

Wütend sprang ich vom Boden auf und bewarf ihn mit Sand. „Hör auf mich zu ignorieren! Sag mir, was ich tun soll!", schrie ich und konnte ein Schluchzen nicht unterdrücken. Kaum hatte der Sand ihn berührt, schon explodierte er wie ein Pulverfass. Panisch galoppierte er los und trat mit den Hinterbeinen immer wieder in meine Richtung.

Moments of TimeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt