Monster

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Emma Carter. Gerade einmal dreiundzwanzig Jahre alt. Einzelkind mit zwei liebende Eltern, die sich mehr Sorgen machten, als notwendig gewesen wäre. Jägerin mit Leib und Seele, doch nicht von Geburt an. Trotz allem verdammt gut in dem, was sie tat. All diese Beschreibungen hatten noch vor wenigen Stunden auf mich zugetroffen.

Sie hatten zugetroffen, bevor ich mich auf die Jagd gemacht hatte. Eine Jagd, wie jede andere. Nichts Aufregendes. Nichts Besonderes. Nur ein Job. Zumindest hatte ich das gedacht, als ich meiner besorgten Mutter berichtete, dass ich einen weiteren Auftrag bekommen hatte und deswegen nicht zum Abendessen bei ihnen sein konnte. Doch nichts war so gekommen, wie ich es mir vorgestellt hatte. Diese Jagd hatte mein Leben für immer verändert. Nein, verändert traf es nicht wirklich. Sie hatte mein Leben, so wie ich es bisher gekannt und geliebt hatte, für immer beendet. Emma Carter, die Monsterjägerin mit den liebenden Eltern und den stürmischen Jägerfreunden, existierte nicht länger.

Die Augen, die mir nun aus dem Spiegel im Bad meines Zimmers im Hauptquartier entgegenblickten, schimmerten blutrot. Keine Spur des blassen Grüns, das mir in den letzten dreiundzwanzig Jahren so bekannt geworden war, war mehr vorhanden. Verzweifelt klammerte ich mich an den Rand des Waschbeckens. Meine Finger waren bereits taub und die Knöchel traten weiß unter meiner sonst sonnengebräunten Haut hervor.

Wie Feuer fraß sich das Virus durch meinen Körper und infizierte eine Zelle nach der anderen. Mit jeder verstreichenden Sekunde entfernte ich mich weiter von der Emma Carter, die ich heute Morgen vor meiner Jagd gewesen war. Stattdessen verwandelte ich mich in eines der Ungeheuer, die ich geschworen hatte zu jagen und zu töten.

Vermutlich saßen die Schicksalsgöttinnen - sollte es sie denn wirklich geben - gerade bei einer Tasse Kaffee und amüsierten sich köstlich über die von ihnen herbeigeführte Ironie. Die stolze Jägerin wurde zur Gejagten, doch es würden nicht die Monster sein, die mich zur Strecke brachten. Es würden jene Menschen sein, mit denen ich den Großteil meines Lebens verbracht hatte. Jene Freunde mit denen ich am vergangenen Abend noch gescherzt und gelacht hatte.

Sobald ein anderer Jäger bemerkte, dass ich infiziert worden war, würde die gesamte Gilde auf mich Jagd machen. Einer von ihnen würde mich hinrichten müssen. So besagte es ein unausgesprochener Teil unseres Ehrenkodex. Denn gesunde Jäger waren bereits gefährlich genug, wenn sie außer Kontrolle gerieten. Ein infizierter Jäger jedoch war das gefährlichste Monster, das unseren Planeten bewohnte.

Wieder richtete sich mein Blick auf mein Spiegelbild. Meine Haare waren von dem Kampf mit dem Monster völlig verstrubbelt und klebten nun an meinem Hals und meinen Wangen. Die Farbe schien aus meiner Haut gewichen zu sein, sodass das dunkle Rot meines Blutes einen noch stärkeren Kontrast bildete. In mehreren feinen Linien war es meinem bleichen Hals hinunter gelaufen, hatte sich in der kleinen Kuhle über meinem Schlüsselbein gesammelt und war schließlich weiter geflossen.

Die Quelle allen Übels war der Biss. Der Biss eines infizierten Wolfs, der direkt unter meinem rechten Ohr an meinem Hals zu sehen war und mich in ein Monster verwandelte. Doch er hatte bereits mehr als das getan. Er hatte mich getötet, bevor das Virus angefangen hatte durch meine Blutgefäße zu wandern. Ich war an diesem Tag gestorben und als Monster wiederauferstanden.

Stur blickte ich mich selbst im Spiegel an. Ich wusste, dass ich mir am besten selbst eine silberne Kugel in den Kopf jagen sollte, doch ich konnte nicht. Ich wollte es nicht und ich wusste, dass dieser Entschluss den animalischen Trieben des Monsters in mir entsprang. Meine Entscheidung war längst gefallen. Ich wollte nicht sterben. Nicht heute. Nicht hier. Nicht durch die Hand eines Jägers.

Ein letztes Mal betrachtete ich meine blutroten Augen im Spiegel, bevor ich mich abwandte. Wenn ich lebend aus dem Hauptquartier der Gilde entkommen wollte, musste ich den Schein wahren. Das Blut musste verschwinden, sonst würde ich es nicht einmal aus diesem Stockwerk schaffen. Entschlossen trat ich unter die Dusche und stellte das Wasser an.











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