12. Wie gewonnen, so zerronnen...?

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"Sang, wie geht es Ji?", überrascht drehe ich mich um und entdecke den Kaugummi, der aus geröteten Augen zu mir starrt. Seufzend lasse ich mich auf meinem Platz nieder. "Es wird besser. Aber deine Worte haben ihn stark getroffen. Wenn er nicht gerade schläft, weint er oder wir versuchen ihn dazu zu bringen, etwas zu essen. Die Krankenschwester meinte, dass man es mit einer Art Burn Out am Besten bezeichnen könnte.", fasse ich kurz zusammen. "Hey Sang.", Minz lässt sich neben mich fallen. Überrascht sehe ich zu ihr. Sie sieht normal aus. Keine Tonnen von Schminke im Gesicht, sie wirft sich nicht an mich ran.. Was ist hier los? "Guck nicht so. Wir haben uns deinen Rat zu Herzen genommen.", nuschelt sie mit roten Wangen und schielt immer wieder zu Ungjae. Oh wie süß! Ist sie etwa...? "Ihr seht gut aus.", gebe ich lächelnd zu und mustere sie erneut. Dankend lächelt Min und setzt sich auf die andere Seite von mir: "Bestellst du Ji bitte 'Gute Besserung' von uns?" Ich nicke und schon sind die Beiden wieder so schnell weg, wie sie gekommen waren. Moment, wieso starrt der Kaugummi sie so böse an? Hm, egal. Das braucht mich nicht zu interessieren. Wenn er Probleme mit den Beiden hat, dann geht es mich nichts an. "Sag mal würdest du mit mir nachher noch in die Stadt gehen? Ich bräuchte professionelle Beratung." "Für was?" "Meine Mum meint, dass ich neue Klamotten brauche. Aber ich will weder mit ihr, noch alleine gehen. Und da Ji mit mir vermutlich nicht mitkommen will, dachte ich, ich frage dich. Kommst du mit?", mit einem süßen Hundeblick bettelt er und seufzend stimme ich zu. Vielleicht kann ich mir auch endlich mal etwas Neues holen. "Danke! Dafür lade ich dich nachher auf ein Eis ein, ja?", ich nicke einfach nur und widme mich dann Mr. Choi, der uns schon böse ansieht. Immerhin sind wir die Einzigen, die ihm nicht zuhören.

"Treffen wir uns in einer Stunde vor der Schule?", schlägt der Jüngste am Ende des Tages vor. Aber ehe ich antworten kann, ist er auch schon weg. Irgendwie ist er ja schon süß. Lächelnd begebe ich mich nach Hause. "Du hast aber gute Laune, mein Sohn.", lacht mein Vater, als ich durch die Tür trete. "Kann ich etwas Geld fürs shoppen haben? Ungjae und ich wollen in die Stadt." "Und was ist mit Jian?", fragt meine Mutter besorgt und drückt mir einige Scheine in die Hand. "Er wird ja wohl mal einen Abend ohne mich zurecht kommen.", seufze ich genervt und gehe in mein Zimmer, wo ich direkt meine Uniform ausziehe und mich fertig mache. "Wohin gehst du?", gähnt mein Besucher und legt seine Arme um meine Hüfte und sieht mich träge von der Seite her an. "Ich bin mit dem Kaugummi in der Stadt verabredet. Wir wollen uns neue Sachen holen und gehen dann noch ein Eis essen.", schnell befreie ich mich von ihm und ziehe mich bis auf die Unterhose aus, ehe ich alle meine Kleidung nach etwas schickem durchforste. Wieso ich mich so aufbrezle weiß ich selbst nicht. "Viel Spaß...", knurrt der andere wütend und irgendwie verletzt, bevor er sich auf mein Bett schmeißt, um zu schmollen. "Jetzt habe dich mal nicht so. Nur, weil du momentan mit ihm Streit hast, heißt das nicht, dass ich mich nicht mit ihm treffen werde. Viel Spaß dir.", erkläre ich monoton und verlasse schnaubend das Haus. Der verhält sich ja wie ein kleines Kind oder als ob ich nur ihm gehören würde. Mit wem ich mich treffe und mit wem nicht kann ich ja wohl selbst bestimmen. Aber trotzdem kann ich seinen Blick nicht vergessen. Klar, er war die letzten Tage immer ein wenig down. Aber das war jetzt irgendwie anders. Fast so, als ob ich ihn geschlagen hätte, was ich aber nicht habe.

"Wow...D-Du sieht Hammer aus.", werde ich am vereinbarten Treffpunkt begrüßt. "Danke. Dein Outfit ist auch nicht so miserabel, wie ich erwartet hätte." Lachend schlendern wir durch die Straßen und machen die Läden unsicher. Ich dachte immer, dass unser Maknae nur eine verdammte Nervensäge sein kann. Aber wie ich jetzt weiß stimmt das nicht.

Wir schnappen uns ein paar Sachen und gehen in die Umkleiden. Skeptisch betrachte ich mich im Spiegel und zottle an dem grauen Pullover herum. Aber auch die Hose sitzt nicht richtig. "Bist du fertig?" "Nein. Die Klamotten gefallen mir nicht." "Kannst du zumindest gucken, ob meine so gehen?" Ich schiebe den Vorhang etwas zur Seite und betrachte ihn: "Hm, an sich ganz okay. Aber das können wir besser." Und so verbringen wir mehrere Stunden zu, ehe wir uns endlich entschieden haben. Mittlerweile dämmert es schon und so beeilen wir uns, noch etwas zu essen aufzutreiben.

Lächelnd lasse ich zu, dass Jae mich an der Hüfte näher zu sich zieht, als wir mit einem Eis durch den Park wandern. Ein paar Leute werfen uns zwar seltsame Blicke zu, aber es ist mir egal. Ich fühle mich wohl in seiner Nähe. Und in seinen neuen Sachen sieht er auch einfach zum anbeißen aus. Diese enge schwarze Hose, die wirklich ALLES betont und ein lockeres weißes Shirt. Um seine Hüfte schwingt ein rot-schwarz kariertes Hemd.

"Danke, Ungjae. Der Tag mit dir war toll. Wie wäre es, wenn wir das öfters machen?", schlage ich vor, als wir vor dem Haus meiner Familie stehen. "Ich würde mich freuen.", seit wann ist er mir denn so nah? Mit rosa Wangen drehe ich meinen Kopf weg. Doch er nimmt mein Kinn vorsichtig zwischen seine Finger, dreht mein Gesicht zu sich und legte seine weichen Lippen auf meine. Ohne lange zu zögern erwidere ich den Kuss und ziehe ihn näher zu mir. Aus dem Augenwinkel entdecke ich jemanden am Fenster. Als ich mich jedoch genauer darauf konzentriere, ist die Person weg. Seltsam. Aus Luftmangel lösen wir uns schließlich von einander. "Bis morgen in der Schule!", ruft mir der Jüngere zu und ist dann weg. Mit klopfendem Herzen betrete ich das Haus. Ich. Habe. Einen. Jungen. Geküsst. UND ES HAT MIR GEFALLEN!!! Mit einem noch nie dagewesenen Glücksgefühl atme ich die stickige Luft im Flur ein. Am liebsten würde ich jetzt die Musik ganz laut drehen und tanzen, aber da meine Eltern nicht fernsehen gucken, sind sie wohl schon schlafen. Also schleiche ich bemüht leise zu meinem Zimmer, aus welchem jedoch leises Schluchzen dringt und warmes Licht unter der Tür hindurch schimmert. Jian! Ich habe ihn vollkommen vergessen, verdammt! Hoffentlich geht es ihm gut...

"Als ich sechs Jahre alt war, waren mein Vater und ich auf dem Weg nach Hause. Ich hatte Geburtstag und er hatte sich endlich einmal frei genommen, um den Tag mit seiner Familie verbringen zu können. Im Auto haben wir viel gelacht und uns so gut verstanden wie schon lange nicht mehr. Dadurch bemerkten wir jedoch nicht den LKW, der auf unserer Fahrbahn fuhr. Es kam zu einem Unfall. Mein Dad war sofort tot. Ich jedoch nicht. Mein Körper war zwischen den brennenden Metallteilen eingequetscht und ich konnte meinen Kopf nicht drehen. Die ganze Zeit habe ich nur ihn gesehen. Blutüberströmt, den Mund zu einem stummen Schrei geformt und die Gliedmaßen verdreht und gebrochen. Das nächste, an das ich mich erinnere, ist, dass ich in einem Krankenhaus aufwachte. Ich lag mehrere Monate im Koma und wegen meinem entstandenen Trauma, der Angst Menschen zu verlieren, die mir am Herzen liegen, sollte ich eigentlich in psychische Behandlung. Aber meine Mutter war dagegen. Kaum war ich jedoch zu Hause, begann sie zu trinken und mir die Schuld zu geben. Und immer mehr fremde Männer kamen zu uns. Die Meisten wollten meine Mutter. Aber irgendwann hat sie mich auch ausgeliefert, da wir unsere Miete sonst nicht mehr bezahlen konnten. Als ich von ein paar jedoch schwer verletzt wurde und erneut ins Krankenhaus musste, bekam ich die Chance, das Geld anders zu besorgen. Seitdem versuche ich mich mit kleineren Arbeiten wie kellnern oder so etwas dazuzuverdienen, da ich das nicht noch einmal durchmachen möchte. Deshalb klammere ich mich an meine Freunde, momentan besonders an Sang. Aber bestimmt hasst er mich jetzt genauso wie die Anderen. Jeder in meinem Leben hasst mich. Vielleicht wäre es das beste gewesen, wenn ich nie geboren wurden wäre.", schluchzt er und mit geweiteten Augen stehe ich vor der Tür. Nein... wenn er sich so sehr an mich hält und ich vorhin so mit ihm umgesprungen bin... Nein, Ji. Er ist so verletzt und es geht ihm noch schlechter als vorher. Das ist alles meine Schuld.

Aber wieso zieht sich mein Herz zusammen, als ich ihn durch die geschlossene Tür hindurch schwer atmen höre und genau weiß, dass er einfach nicht aufhören kann zu weinen?

"Sag so etwas nicht. Unser Sohn könnte dich nie hassen. Er hat zwar eben diesen rosahaarigen geküsst, aber das heißt nicht, dass du ihm nichts bedeutest.", ertönt die tiefe Bassstimme meines Vaters. "Wenn etwas ist kannst du immer zu uns kommen. Du hast hier eine zweite Familie gefunden. Und wir freuen uns, dass wir dich kennenlernen durften. Schlaf jetzt am besten. Und danke, dass du es uns erzählt hast.", meine Mutter. Ich kann vor mir sehen, wie sie ihn auf die Matratze drückt und liebevoll durch die Haare streicht, bis er einschläft.

Mit einem Knoten im Hals und einem verdammt schlechten Gewissen gehe ich zurück ins Wohnzimmer und rolle mich auf dem Sofa zusammen und beginne mir Vorwürfe zu machen. Ich glaube, ich habe wirklich Mist gebaut. Ich wollte mich um ihn kümmern und für ihn da sein. Aber was mache ich? Gehe schoppen mit seinem eigentlichen besten Freund, mit dem er in einer Krise ist, und küsse diesen auch noch. Aber was soll ich denn machen? Sowohl Jian, als auch Ungjae und G/. sind mir ans Herz gewachsen, mehr, als sie eigentlich sollten. Bei jedem fühle ich mich wohl und habe dieses Kribbeln im Bauch. Verdammt, was soll ich denn nur machen? Ich will doch keinen von ihnen verlieren

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