Kapitel 09

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Am Sonntag stand dieser Junge wieder vor mir, den ich Mittwoch getroffen hatte. Wir liefen uns nur zufällig über dem Weg, als ich gerade auf dem Weg zu den Katzen war. Er schien überrascht zu sein, dass ich mich in dieser Straße aufhielt.

„Oh, hey", sagte ich zögerlich.

„Hallo." Seine Augen betrachteten die Sachen in meinen Händen, die ich an mich drückte. Ich hatte in der Eile den Stoffbeutel vergessen, worin auch mein Buch war. Also war ich heute ohne eine Lektüre unterwegs, würde stundenlang auf dem Brunnenrand sitzen und nichts machen.

„Wohnst du jetzt in dieser Gegend?"

„Was? Nein! Nein, ich wohne noch im selben Haus."

„Ich habe dich oder deine Eltern nach eurem Urlaub dort nicht gefunden. Ihr wolltet doch nur über die Weihnachtsferien nach Spanien fliegen. Das ist fast zwei Jahre her, Caro." Ich senkte betroffen den Blick. Er kannte mich wirklich besser. War er also ein Freund von mir gewesen? Hatten wir viel Zeit zusammen verbracht?

„Tut mir leid, ich muss weiter."

„Ich muss auch in diese Richtung." Er lief neben mir her. „Wo warst du so lange? Wieso war niemand bei euch Zuhause? Erklär es mir, Caro."

Statt ihm eine Antwort zu geben, stellte ich selbst eine Frage. „Wie heißt du?"

„Was? Komm schon! Es ist nicht genug Zeit verstrichen, als dass du mich einfach vergessen haben kannst! Das ist nicht dein Ernst!"

„Ich habe ein kleines... Erinnerungsproblem", lächelte ich ihn gequält an. Ich hatte keine Ahnung, wo er ursprünglich hin wollte. Der Junge begleitete mich einfach, dabei war das verlassene Haus gleich um die Ecke. Er würde herausfinden, dass ich Straßenkatzen versorgte.

„Wovon sprichst du? Kennst du... Oh scheiße." Er starrte mich sprachlos an. „Erinnerst du dich nicht an mich?"

Ich schüttelte den Kopf, drückte die Futterdosen und die Flasche Wasser fester an meine Brust. Nicht ein Wort verließ mich mehr. Nur mein Körper sprach für sich, zeigte meine Unruhe und wie sehr mich diese Situation verstörte. Wenn er mich nur halbwegs so gut kannte, wie es Markus tat, dann erkannte er, dass ich völlig überfordert war und die Wahrheit gesprochen hatte.

„Elias. Ich heiße Elias", waren seine letzten Worte. Dann schwieg er und ging einfach nur neben mir her. Ich spürte seine Augen immer wieder auf mir, wie er mich anschaute, sich die Veränderung anschaute. Wie viele Fragen musste er haben?

Elias blieb verwundert stehen, als wir an dem heruntergekommen Haus ankamen und ich das Grundstück betrat. Ich sagte nichts, ließ ihn zusehen, wie ich die Katzen rief und ihre Schälchen säuberte, das alte Wasser wegschüttete und es neu füllte. Den Jungen am Gartentor blendete ich aus und konzentrierte mich gänzlich auf meine drei Schmusetiger.

„Das schmeckt, ja? Da bin ich froh", murmelte ich zufrieden. Die Flasche ließ ich liegen und stand mit dem Müll auf, um diesen wie gewöhnlich zu entsorgen. „Ich bin gleich wieder da", wandte ich an Elias und ging zügig an ihm vorbei. Mit jemandem zusammen die Katzen zu füttern, war ziemlich gewöhnungsbedürftig. Es war ein eigenartiges Gefühl, plötzlich Begleitung zu haben und nicht mehr alleine zu sein.

Elias stand noch immer am Gartentor, als ich zurück kam. Ich mied den Augenkontakt zu ihm, betrat wortlos das Grundstück und setzte mich auf den Platz, der durch all meine Besuche platt gedrückt war. Das Gras und Unkraut wucherten überall, nur nicht dort, wo die Katzen ihre Zeit mit mir verbrachten. Der rote Kater kam kurzdarauf auch zu mir und nahm seinen Platz auf meinem Schoß ein.

„Du arbeitest gar nicht, oder?", wollte der Schwarzhaarige wissen. Er stützte sich auf dem Tor ab und sah sich das Bild an, welches die drei Katzen und ich ihm boten.

„Nein, ich darf noch nichts machen."

„Warum?"

„Ich... Ich bin noch nicht auf dem Damm."

„Was bedeutet das? Lass dir nicht alles aus der Nase ziehen, Caro!"

„Bitte", flehte ich und sah ihn an. „Ich kann das nicht. Geh bitte." Es war das Gegenteil von dem, was mir mein Pfleger geraten hatte, jedoch fühlte ich mich nicht in der Lage, um jetzt über den Unfall zu sprechen, der meiner Familie so viel Schaden zugefügt hatte.

Elias wendete sich kommentarlos ab, akzeptierte anscheinend meinen Entschluss und ließ mich mit meinen Gefühlen alleine. Ich hatte Angst. Vielleicht war er gar kein Freund von früher. Vielleicht war es ein Fehler, wenn ich ihm mehr erzählt hätte. Vielleicht war ich auch einfach noch nicht bereit.

Ich sah Elias nicht nach, sondern streichelte den Kater auf meinem Schoß weiter und suchte Trost bei ihm.

Verlust #catalyst500Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt