Kapitel 11 | Alte und neue Narben

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"Bah, das ist ja echt eklig", mit Daumen und Zeigefinger hielt Kips sich die Nase zu und verzog ein wenig angewidert das Gesicht. Er trug einen Eimer mit Wasser und einen Wischmop mit sich, schien sich jedoch nicht wirklich über seine bevorstehende Aufgabe zu freuen.
Jax, der sich gerade am kleinen Verbandskasten in der Ecke des großen Raumes zu schaffen machte, hob den Kopf und warf ihm einen kurzen Blick zu.
"Stell dich nich' so an, Halfsack!", rief er dem Blonden zu.
Gabriel saß noch immer auf der Theke, neben ihm eine kleine Blutlache, die Chib's nicht vollständig aufgewischt hatte.
Stirnrunzelnd musterte er den Jungen, den Jax >Halfsack< genannt hatte.
"Und wer bist du?", grunzte ihn dieser an und stellte den silbernen Blecheimer so schwungvoll auf den Boden, dass das Putzwasser heraus schwappte und eine Pfütze auf dem Linoleum hinterließ. Energisch steckte er den Mop hinein und stützte sich lässig darauf.
Gabriel hatte sich ja bereits die Wand mit den Fotos der Clubmitglieder angeschaut und erinnerte sich an das Gesicht des Jungen.
Er war vermutlich kaum älter als er selbst und sah mit seinen blonden, wild verwuschelten Haaren und den großen, blauen Augen eher wie ein Anwärter für eine Boyband aus, anstatt der eines Motorradclubs.
"Stell keine dummen Fragen Halfsack und putz die Scheiße weg", raunte Jax, der sich nun wieder Gabriel zu wandte.
"Kannst du das selbst?", fragte er mit gerunzelter Stirn und hielt ihm eine Rolle weißen Verbands hin. Gabriel nickte nur stumm, griff nach dem Verbandszeug und wickelte es mit geübter Hand um seinen geflickten Fuß.

Halfsack beäugte ihn noch immer ein wenig verwirrt, machte sich aber wie befohlen an die Arbeit. Er schnaubte hier und da ein wenig genervt, sagte aber nicht ein Wort des Widerspruchs. Immerhin war er als Prospect den Anderen untergeordnet. Er musste das tun, was der Club ihm befahl, um sich zu beweisen.
"Wenn du hier fertig bist kannst du die Sauerei in meinem Zimmer auch gleich aufwischen", diktierte Jax und kickte ihm gegen den vollen Eimer.
"Alles klar", schnaufte Kip und warf ihm einen kurzen, genervten Blick zu, als sich ihm die Gelegenheit bot.
"Und dann leckst du mir mein Ei."
Sein Blick wanderte zu Gabriel, der ihn anstarrte.
"Was glotzt du denn so?"
"Ich wusste nicht, dass Prospect gleichbedeutend ist mit Putzfrau", stichelte Gabriel.
"Sei froh dass ich dich nicht aufschlitze du kleiner Wichser"
Halfsack war wohl doch nicht so der typische Boyband-Typ.
Gabriel rutschte von der Theke und presste die Lippen zusammen. Er hatte beinahe vergessen, dass ihm nicht nur der Fuß schmerzte, sondern auch der Rest seines Körpers. 
Mit verzerrter Miene streckte er Kip den Mittelfinger entgegen.
"Mach doch-"
"Hey, Hey! Klappe halten! Verdammte Kinder", knurrte Jax und bewarf Kip mit einem Handtuch.
"Halfsack, kümmer dich um deinen Scheiß! Und du-", er wandte sich Gabriel zu und rümpfte die Nase. "Du hörst lieber auf unsere Members zu provozieren. Du hast keine Ahnung wo du dich hier befindest. Du bist hier nur geduldet, ist das klar?" Er baute sich vor ihm auf und deutete drohend mit dem Zeigefinger auf ihn.

Gabriels Brust verkrampfte sich für einen Moment und ihm wurde schwindelig. Was wollte dieser Typ eigentlich?
Erst beschwerte er sich, dass er abhauen wollte und jetzt droht er ihm, er sei hier nicht willkommen?
Wut ließ seine schwachen Hände zittern und er stützte sich auf einem der Barhocker ab.
Er fühlte sich ein bisschen verarscht.
Jax starrte ihn an und nickte in Richtung Ausgang. 
"Komm schon", brummte er und lief an Halfsack vorbei.

Jax wusste, wie er auf Andere wirken konnte. Dass dieser Junge vor ihm sich trotz seiner großen Klappe so schnell einschüchtern ließ, lag vielleicht an seinem momentanen Zustand.
Vielleicht lag es aber auch daran, dass er noch kaum achtzehn Jahre alt war und wirklich noch ein Kind.
Er blieb im Türrahmen stehen, drehte sich zu den Beiden um und winkte Gabriel zu sich.
"Komm schon Kleiner. Wir holen dir was zum Anziehen"

Kleiner??
Gabriels Hände verkrampften sich und Blut schoss ihm ins Gesicht. Er spürte, wie ihm der Kopf pochte.

Das war ja fast schlimmer als Schwuchtel.
Halfsack warf ihm einen gehässigen Blick zu und nickte in Richtung Jax.
"Ja Kleiner, mach was Daddy dir sagt!"

the Anarchy of the HeartWhere stories live. Discover now