Kapitel 1 | Ein Gefallen

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Der Morgen kam früh.

Viel zu früh, nach einer durchzechten Nacht wie dieser. Jax und zwei weitere Mitglieder der Sons hatten sich um einen Auftrag gekümmert, der vom Chief höchstpersönlich kam.
Chief Unser hatte sich schon länger nicht mehr bei den Son's blicken lassen, da er noch immer gegen den Krebs kämpfte und nun bald seine Pensionierung vor der Tür stand.

"Junge," hatte er zu Jax gesagt, "du kannst von Glück reden wenn du niemals gegen diese gottverdammte Scheiße kämpfen musst. Freu dich des Lebens solange du deinen Hintern noch auf dein Motorrad schwingen und deine scheiß Zigaretten genießen kannst."
Doch Jax hatte sehr eindringlich mit dem Chief gesprochen, mit seiner warmen Stimme ein paar gut gewählte Worte um sich geworfen und erreicht, wozu er von seinem President geschickt wurde.
Chief Unser schob seine wohlverdiente Pensionierung noch um weitere sechs Monate heraus, bis sich die momentane Lage etwas beruhigt hatte. Als Gegenleistung kam dieser dann mit dem Schutzauftrag um die Ecke.
So hatten sie also bis spät in die Nacht auf drei LKW gewartet, die am Stadtrand aufschlugen und ihnen heiße Ware in das schöne Charming brachten. Es waren jedoch keine Waffen, wie sie es sonst gewohnt waren. Es waren LKW mit Männern. Männer, die ungesehen von einem Ort an den anderen geschafft werden mussten, ohne Spuren zu hinterlassen.
Jax und zwei seiner Männer gaben ihnen Begleitschutz, bis unter die Zähne bewaffnet.
Sie kannten die Straßen von Charming wie die Taschen ihrer Club-Kutten und wussten welche Straßen selten von Cops kontrolliert wurden.

Zur Feier des gelungenen Auftrags, der endlich mal wieder etwas Geld in die Clubkasse spülte, hatten sie sich dann an der nächstgelegenen Bar voll laufen lassen. Alkohol in rauen Mengen und Frauen, die sich wie magisch von ihren Kutten angezogen fühlten. Für Männer in Uniform, ob es nun Polizistenärsche oder Bikerjungs waren, hatten die Frauen von Charming wohl immer etwas übrig.

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Schnaufend rieb Jax sich den Schlaf aus den Augen und blinzelte, als ihm die Sonne durch die Jalousien ins Gesicht fiel. Es war warm und stickig in dem alten Lagerabteil, in dem er sich eingenistet hatte. Die Sonne ließ den Staub im Zimmer sichtbar umhertanzen und versetzte den rot gestrichenen Wänden einen warmen schein.
Jax spürte noch die Nachwehen des Alkohols, da ihm ein wenig der Kopf brummte.
Gerade als er sich umdrehen wollte, bemerkte er den nackten Rücken neben sich und grinste ein wenig verschmitzt.
"Hallo..."
Er drückte sich langsam aus der Matratze und beugte sich über das blonde Mädchen, das nun auch langsam aufwachte. Sie blinzelte ein paar Mal und schmunzelte dann, als sie in Jax blaue Augen sah.
"mh... hallo"
"tut mir leid, Schönheit, aber du musst jetzt wohl gehen."
Jax seufzte bedauerlich und stieg aus dem Bett. Er warf einen Blick zu der Uhr, die über der Tür hing und rieb sich die Brust.
"Ich muss los, die Arbeit ruft" leicht grinsend schnappte er sich etwas zum Anziehen vom Boden und schlüpfte hinein. Er musterte dabei das Mädchen, das sich mit seinem Laken bedeckte.
"Könntest du...?", fragte sie schmunzelnd.
Jax lachte leise und warf ihr die Klamotten zu, die neben den seinen gelegen hatten.
Während sie sich anzog, stellte er sich an das Waschbecken neben der Tür und wusch sich schnell das Gesicht, um richtig wach zu werden.

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"Hey Jackieboy. Genug rumgefögelt, komm endlich an die Arbeit. Wir haben gerade einen alten Ford rein bekommen", wild mit einer Rätsche fuchtelnd wies Tig ihn auf, sich von seinem Flirt zu verabschieden. "Ja ja, schon gut!" rief Jax zurück in die Werkstatt und brachte das Mädchen noch bis zur Tür. Er drückte kurz ihre Hand, zwinkerte ihr zu und verschwand dann in die Autowerkstatt.
Tig schüttelte nur den Kopf, als er sein Grinsen sah.
"Bist mal wieder bester Laune, was?" raunte er und machte sich an den Radkappen zu schaffen.
Jax zuckte mit den Achseln und zog sich Arbeitshandschuhe an.
"Scheiß Kasanova."
"Nur weil du gestern keine ab hattest"
"Pah! So ein Gemüse wie die. Diese ganzen Weiber die auf den Surferboy stehen. Ich brauch ne richtige Muschi"
Jax verkniff sich das Grinsen und kümmerte sich um das Auto auf der Hebebühne vor ihm.

Es dauerte nicht lange, bis Clay zu ihnen stieß. Er ließ langsam den Kopf auf den Schultern kreisen, bis es ein paar Mal knackte und zündete sich dann eine Zigarette an.
"Ist gestern alles gut verlaufen?" brummte er und schaute zu Jax hinunter, der gerade unter dem Wagen hantierte. Er lugte kurz unter dem Auto hervor und musterte Clay.
"Jap, alles Bestens. Die Jungs kamen gut rüber und wir haben die volle Gage erhalten"
Er fummelte in seiner Hosentasche herum, "Hier ", und drückte dem President ein in braunes Papier eingepacktes Bündel Scheine in die Pranke.
Clay nickte langsam, öffnete das Bündel und warf einen Blick hinein.
"Gute Arbeit Jax"
"Immer doch"
Jackson verschwand wieder unter der Karosse, während Clay sich auf den Weg ins Büro des Clubhauses machte.
Dieses lag Wand an Wand mit der Werkstatt der "Teller & Morrow Automotive" und war somit gut getarnt in Mitten von Charming.
Charming wurde seit der Gründung der ersten neun, den ersten Son's of Anarchy, von dem Motorradclub "beschützt". Nicht weil dort zu viel Gewalt oder Drogengeschäfte liefen, sondern um genau dies zu verhindern. Immer wieder hatte es Stimmen gegeben, die die Stadt "modernisieren" wollten. Männer in mächtigen Positionen, die große Einkaufszentren und neue Wohnblöcke bauen und damit den Kommerz in die kleine Stadt Charming bringen wollten. Doch die Son's wussten genau, was diese mächtigen Männer eigentlich wollten.
Es waren die Drogengeschäfte und Prostitution, die mit dem Wandel in die Moderne folgten. Nachtclubs mit großen Floors, auf denen hunderte halb reiche Jugendlichen sich mit Speed und Ecstasy voll pumpten, um die ganze Nacht und den Morgen danach durch zu feiern.
Und um dies zu verhindern, arbeiteten die Redwood Originals auch mit den fiesesten Kerlen zusammen. Um dafür zu sorgen, dass das Charming, das sie groß gezogen hatte, das gleiche Charming blieb, das ihre Kinder großziehen sollte.

Clarence Morrow war einer dieser ersten Neun gewesen, gemeinsam mit seinem besten Freund John Teller und dessen Frau Gemma. Was für eine Perle.
An dem Tag, an dem John unglücklich zu Tode kam, war ihm klar, dass er diese Frau heiraten würde.
Denn eine Frau wie Gemma fand man kein zweites Mal. Eine so loyale und abgehärtete Frau, die mit dem Club so eng verbunden war wie sie, war das perfekte Gegenstück zu ihm als President. Gemma war die Mutter der Jungs. Nicht die Leibliche versteht sich, aber die, die auf den Zusammenhalt achtete und sich nebenbei noch um die Buchhaltung kümmerte.
Es war erstaunlich wie gefasst sie allem gegenüberstand, womit sie der Club konfrontierte. Immer mit offenen Augen und offenen Ohren unterwegs, hatte sie eine schützende Hand über ihrem Sohn Jackson.
Nachdem er Vice President des Clubs wurde, musste sie erst Recht auf ihn aufpassen. Viele der Entscheidungen die getroffen werden mussten, musste er natürlich mit entscheiden. Und ging etwas schief, war nicht nur Clay davon betroffen, sondern auch ihr impulsiver Sohn. Jax war ihr ganzer Stolz, ein richtiger Mann, der, ebenso wie sie, dem Club sehr loyal war.

Clay Morrow betrat das Büro, in dem Gemma gerade am Computer saß und lehnte sich mit hochgezogener Augenbraue in den Türrahmen.
"Was für ein Anblick", brummte er schmunzelnd und musterte seine Frau von oben bis unten. Sie trug eine hautenge Jeans, lederne Stiefel und ein weißes, weit ausgeschnittenes Top, das die lange, dünne Narbe zwischen ihrem Busen zum Vorschein brachte. Clay mochte es, wenn sie sich so offen zeigte, denn er wusste, dass sie nur ihm gehörte.
Schmunzelnd machte er einen Schritt auf sie zu und hielt ihr das Geldbündel hin.
"Hier, ist von Jax. Er hat mal wieder alles sauber abgewickelt, dein Sohn"
Gemma hob leicht das Kinn und sah ihn mit einem Blick der Selbstverständlichkeit an.
"Hast du etwas anderes von ihm erwartet?"
Clay schüttelte nur den Kopf und küsste seine Frau auf die Wange.
"Kümmer dich bitte darum, bis Bobby wieder da ist, ja?"
Sie nickte und steckte das Geld in die Schublade neben sich. "Alles klar, wird gemacht"
Gerade in dem Moment, als Clay das Büro wieder verlassen wollte, räusperte sich Gemma und hielt ihm ein Stück Papier hin.
"Der alte Leith hat vorhin angerufen", meinte sie und runzelte die Stirn. "Er hat da eine Bitte. Er meinte, wir sind ihm noch einen Gefallen schuldig"
Clay nahm das Papier in die Hand und drehte es um. Darauf war nur eine Handynummer gekritzelt. "Leith...du meinst Peter Leith? Der Kerl dem das Grundstück am Ende der Westroad gehört, der uns vierzig verdammt teure Waffen abgekauft hat?" er lachte kurz und tief. "Ja, dem schulden wir tatsächlich noch einen Gefallen. Der hat uns damals aus der Scheiße mit den Niners rausgekauft sozusagen." Er nickte leicht und schaute sich nochmals die Nummer an. "Ich ruf ihn gleich an"
"Alles klar, babe"
Clay drückte Gemma einen liebevollen Kuss auf ihre vollen Lippen und verschwand dann in den Club Raum hinter der Werkstatt. Seufzend zückte er ein einfach wirkendes Klapphandy aus der Hosentasche und tippte die Nummer hinein, die Gemma ihm aufgeschrieben hatte.

"Morrow hier. Peter, altes Haus, wie geht's dir?"

the Anarchy of the HeartWhere stories live. Discover now