IV

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“Langsam wird die Strategie alt“, flüsterte Alassen, doch das kleine Lächeln, das sich in sein Gesicht gestohlen hatte, verlieh der Aussage den notwendigen Gehalt an Humor, hatten sie doch bisher jeden Feind auf diese Weise geschlagen. Langsam schlich er hinter Tingilya her, die seine Bemerkung nur mit einem müden Lächeln kommentierte. Aiya, die hinter beiden folgte, rollte nur mit den Augen und scharrte ungeduldig mit den Füßen. Seit die drei Elben zu ihnen zurückgekehrt waren und von dem gefangenen Halbling erzählt hatten, war sie aus irgendeinem Grund ungeduldig und konnte es kaum erwarten, aus diesem Stollen herauszukommen. Nun hatten sie sich wie bereits so oft in zwei Gruppen aufgeteilt, um die Orks zu überraschen. Tingilya hatte von etwa fünfundzwanzig gesprochen, doch keiner von ihnen wusste, ob sich in diesem Labyrinth aus Stein noch mehr der Anhänger Morgoths befanden. Offenbar waren sie fast an der von den drei Elben beschriebenen Halle angekommen, denn Tingilya verlangsamte ihr Tempo zusehends.
“Dort vorne ist es“, flüsterte sie und deutete auf einen Knick, den der Gang etwa dreißig Meter vor ihnen machte. Ein stummes Nicken musste ihr als Antwort genügen, dann fuhren die Waffen aus den Scheiden. Während Aiya und Tingilya ihre Schwerter zogen, nahm Alassen einen Pfeil aus dem Köcher, den er auf seinem Rücken trug und legte ihn in den Bogen, den Thranduil ihm geschenkt hatte, ein. Anglachel hatte er seit einigen Wochen kaum noch benutzt, flößte ihm das Schwert doch etwas Angst ein, wenn er es führte. Doch nun stieg seine Konzentration wieder an. Vorsichtig schlichen die drei weiter, bis sie an dem Knick angekommen waren. Tingilya spähte um die Kurve. Der Raum war nach wie vor dicht bevölkert, gut zwei Dutzend Orks trieben sich darin herum. Bei genauerem Hinsehen entdeckte Tingilya auch den Hobbit, der zusammengerollt auf dem Boden lag, bewacht von zwei großen Orks. Leider lag er in der Ecke, die am weitesten von einem der drei Ausgänge entfernt war, doch dass dies kein einfacher Kampf werden würde, war ihnen ja bereits im Voraus klar gewesen. Mit größter Vorsicht streckte Tingilya ihren Kopf etwas um die Ecke, sodass sie Thranduil, dessen blondes Haar sie bereits am linken Eingang entdeckt hatte, ebenfalls sehen konnte. Es war soweit, der Angriff konnte beginnen. Ein kurzes Nicken zu den beiden anderen genügte und alle wussten, was zu tun war. Alassen trat vor Tingilya, die einen Schritt zurückwich und hob den Bogen. Noch hatte keiner der Orks die hinter dem Felsen hervorragende Pfeilspitze entdeckt, doch Alassen wusste, dass ihm nicht allzu viel Zeit blieb. Vorsichtig sah er sich nach einem geeigneten Ziel um, als sein Blick an einem großen Ork in der Mitte des Raumes hängenblieb. Offenbar war er der Anführer der gesamten Truppe, denn er gab Anweisungen und scheuchte seine “Maden“, wie er die ganze Zeit schrie, durch die Gegend. Alassen musste unfreiwillig lächeln. Er hatte sein Ziel gefunden. Vorsichtig zielte er und nur Sekunden später verließ der Pfeil die Sehne. Ein dumpfes Klopfen ertönte, als der Pfeil sich durch die keine Lücke in der Rüstung unter dem Arm tief in den Körper des Orks bohrte. Ein entsetzter Blick war das Letzte, was in seinen Augen lag, bevor er tot zu Boden sank. Einen Augenblick später lagen zwei weitere Orks tot auf dem Boden, Celeborn und Thranduil hatten ebenfalls Pfeile abgefeuert. Als die Orks begriffen, dass sie angegriffen wurden, hatten bereits drei weitere Pfeile ihr Ziel gefunden. Verwirrt rannten sie durcheinander, sammelten ihre Waffen ein und versuchten die Angreifer ausfindig zu machen. Sechs weitere Pfeile verließen die Sehnen, vier davon fanden ihr Ziel. Schon stürmten die ersten Angreifer auf den Platz, allen voran Durin und Théoden. Alassen behielt das Feld mit dem Bogen vom Eingang aus im Blick, während Thranduil, Celeborn, Tingilya und Aiya nun ebenfalls mit gezückten Waffen auf die sichtlich geschockten Orks zurannten. Der eigentliche Kampf begann, war jedoch schnell entschieden. Zu groß war die Verwirrung der Orks, als dass sie hier bestehen konnten. Schon waren nur noch vier von ihnen an den Waffen und der Boden war von Orkleichen und dunklem, fast schwarzem Blut gesäumt. Offenbar hatte diese nun eingesehen, dass dieser Kampf aussichtslos war und so versuchten sie, ihrem Schicksal zu entkommen. Einem der vier hieb Durin noch ins Bein, nur wenige Sekunden später rammte der Zwergenfürst ihm die Axt in den Schädel. Einen weiteren erledigte Aiya mit ihrem Wurfmesser und einem gekonnten Schlag, der den Kopf des Orks von dessen Körper löste. Auch der dritte Ork war nach kurzem Gefecht erledigt und als der letzte Ork bereits am Ausgang angekommen war, hielt ihn ein gut platzierter Pfeil von Alassen zurück. Langsam begab sich Celeborn zu dem zitternden Körper hin.
“Irgendwelche letzten Worte, Ork?“, fragte er verächtlich und drückte ihm seine Klinge in den Hals.
Der Ork hustete Blut, doch sein Gesicht war zu einem grimmigen Lächeln verzogen. “Diese Höhlen werden euer Grab, glob.“
Überrascht riss Celeborn die Augen auf. Nicht nur, dass dieser Ork ihn gerade als Dummkopf bezeichnet hatte, was meinte er damit, dass dies ihr Grab werden sollte?
“Was meinst du?“, fragte Celeborn mit zusammengebissenen Zähnen.
Ein kehliges Lachen, gefolgt von einem weiteren Hustenschwall verließ den Hals des Orks. “Der grat durbûrz ist hier und er wird euch alle vernichten.“
Der starke Anführer? Überrascht sah Celeborn auf den Ork hinab und lockerte seinen Griff mit dem Schwert. Ein Fehler, den er schon kurz darauf betreute. Der Ork stieß einen lauten Schrei aus, kein Wort, aber dafür ein Ton, so laut und durchdringend, dass man ihn wohl noch in Edoras gehört hatte. Zwei Sekunden später rollte sein Kopf über den Boden, doch Celeborn wusste, dass das nun zu spät kam. Sie hatten ein ernsthaftes Problem.
“Wie weit ist es bis zum Ausgang?“, fragte Théoden in die Runde, die nun ganz still geworden war.
“Vielleicht fünf Minuten, wenn wir uns beeilen“, antwortete Alassen mit fester Stimme, dann eilte er zu dem Hobbit hinüber.
“Er hat das Bewusstsein verloren“, erklärte er den anderen, als er auf den regungslosen Halbling hinabsah. Nur seine Brust hob und senkte sich in einem langsamen Rhythmus. “Wir müssen ihn tragen.“
Théoden war zu ihm getreten. “Gib ihn her“, sagte er und streckte Alassen seine kräftigen Arme entgegen. Vorsichtig hob Alassen den jungen Halbling an. Er war erstaunlich leicht, doch zugleich auch bleich und ausgezehrt. Es schien, als hätte dieser Hobbit eine lange und kräftezehrende Reise hinter sich.
“Das gehört wohl ihm“, sagte Aiya, die hinzugetreten war. In der Hand hielt sie ein kleines Schwert, eigentlich eher ein Messer, das allerdings in einer reich verzierten Scheide steckte. Vorsichtig zog Alassen, der den Hobbit inzwischen in Théodens Arme gelegt hatte, das Schwert hervor. Es war kaum verziert und wies auch keinerlei Scharten auf.
“Dies ist ein besonderes Schwert“, flüsterte Théoden. “Obwohl es schon unzählige Schlachten gesehen hat, sieht es aus wie neu.“
Ein tiefes Grummeln, das die ganze Halle erfüllte, riss sie aus ihren Gedanken.
“Was war das?“, fragte Tingilya mit sorgenvollem Blick.
“Ich denke nicht, dass wir das erfahren möchten“, meinte Thranduil. “Wenn es der starke Anführer ist, von dem dieser Ork gesprochen hat, ist es auf jeden Fall nichts, was uns freundlich gesonnen ist.“
Ein weiterer Schrei, dieses Mal jedoch deutlich höher, ließ sich aufschrecken.
“Die Orks kommen“, sagte Celeborn mit fester Stimme.
“Was? Wie kommt ihr denn darauf?“, fragte Durin etwas verwirrt. Offenbar ging ihm das hier etwas zu schnell.
“Ihr habt recht, Théoden, dies ist ein besonderes Schwert“, sagte Celeborn. “Es schimmert blau, wenn Orks in der Nähe sind.“ Celeborn deutete auf das Schwert, das inzwischen blau leuchtete.
“Vielleicht wäre es nun wirklich nicht verkehrt, nach dem Ausgang zu suchen“, sagte Théoden leicht nervös. Den Halbling hatte er inzwischen geschultert.
Alassen nickte und schluckte kurz. “Dann folgt mir“, sagte er und lief los.

Der letzte Silmaril II: Botschaft des SchicksalsWhere stories live. Discover now