71. ~ Im Auge des Todes

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~ Carlos ~

Ich konnte zwar nichts sehen und auch nichts hören, aber die Schmerzen waren noch immer da. Ich war nicht bewusstlos, es war nur so, dass sich all meine Sinne auf den Schmerz konzentrierten und ich deshalb wahrscheinlich nichts anderes mehr wahrnehmen konnte. Es fühlte sich an, als würde jemand mit tausenden Messerstichen auf mich einstechen. Ich wusste zwar innerlich, dass es nur ein Stich gewesen sein konnte, aber der Schmerz davon war unerträglich. Ich hatte keine Ahnung, ob ich schrie oder einfach nur apathisch auf dem Boden lag, denn der Schmerz war das einzige, was ich noch fühlen konnte.

Panisch drückte ich meine Hand auf die Stelle. Sie war komplett blutdurchtränkt, aber ich spürte, wie da immer mehr Blut war. Obwohl ich rein gar nichts sehen konnte, wusste ich, dass ich verbluten würde. Die Wunde musste so tief sein, dass sie nicht mehr von alleine aufhören würde zu bluten und auch meine klatschnasse Hand konnte da nicht mehr besonders viel ausrichten. Vor lauter Schock und Schmerz konnte ich nur noch stossweise atmen. Das war's dann wohl endgültig.

In diesem Augenblick wünschte ich mir sehnlichst, dass Eric nicht nur geblufft, sondern mir wirklich eine Heroinüberdosis verpasst hätte. Im Drogenrausch zu sterben war sicher einfacher und weniger schmerzvoll als das hier. Verzweifelt versuchte ich, wieder ein Bild von Lilly in meinen Kopf zu blenden, um neben dem Schmerz noch etwas anderes zu spüren und um nicht ganz so einsam sterben zu müssen. Aber diesmal wollte es einfach nicht klappen. Ich bekam rein gar nichts in meinen Kopf, zu sehr beherrschte der Schmerz meinen ganzen Körper.

Auch als ich versuchte, langsamer und flacher zu atmen, schaffte ich es nicht. Bei jedem panischen Atemzug krampfte sich mein ganzer Körper zusammen und liess immer wieder neue Schmerzwellen wie stechende Blitze durch meinen Körper schiessen. Eigentlich sollte ich einfach gar nicht mehr atmen, das wäre zumindest etwas weniger schmerzhaft gewesen, aber selbst das bekam ich nicht hin. Ich war komplett gefangen in dieser Höllenqual und konnte rein gar nichts dagegen tun, nur warten, bis es endlich vorbei war.

Verzweifelt sehnte ich dem Tod entgegen. Warum zu, Teufel ging das nicht schneller? Das war ja echt nicht auszuhalten! Quälend langsam verstrichen die Sekunden, während immer mehr Blut aus meiner Seite hervorschoss. Meine Klamotten fühlten sich komplett nass und glitschig an und neben mir auf dem Boden musste sich schon längst ein dunkelroter See gebildet haben. Zum Glück war es komplett dunkel. Ich hätte den Anblick des Blutes nicht ertragen, es reichte vollkommen, dass ich die glitschige Nässe spüren musste. Die Nässe, die mich wohl bald ins Jenseits befördern würde.

Langsam aber sicher spürte ich, wie mich selbst die Kraft verliess. Der Druck meiner Hand auf der blutigen Stelle liess immer wie mehr nach, bis meine Hand schliesslich einfach nur noch nutzlos auf meinem Bauch lag. Auch mein Atem wurde immer wie unregelmässiger und mein Kopf fühlte sich ziemlich benebelt an. Trotzdem liess der Schmerz kein Stück nach. Im Gegenteil, es fühlte sich sogar so an, als würde er mich Stück für Stück innerlich auffressen.

Ich wünschte mir nur noch, dass es endlich vorbei ging und ich von den Schmerzen erlöst wurde. Ich hatte immer geglaubt, dass das ganze Leben noch mal an einem vorbeiziehen würde, wenn man starb, so wie vorhin, aber jetzt war da einfach nur noch Leere und Dunkelheit in meinem Kopf. Und das Schlimmste dabei war, dass ich mich komplett alleine gelassen fühlte. Niemand war da, der zumindest neben mir kniete und meine Hand hielte. Ohne jegliche Unterstützung musste ich den Kampf mit dem Tod, den ich sowieso verlieren würde, alleine ausfechten.

Ich hätte nicht einmal im Traum gedacht, dass es so schnell vorbei sein konnte. Ich war schliesslich erst sechzehn und ich wollte mir gar nicht vorstellen, was ich noch alles hätte erleben können, wenn ich nicht hierhergekommen wäre. Aber ich hatte zumindest versuchen müssen, meine Geschwister zu retten. Der Gedanke, dass ich dies wenigstens bei Luiza geschafft hatte, beruhigte mich ein bisschen und ich konnte nur hoffen, dass Luca sie unversehrt hier rausgebracht hatte. Ansonsten wäre diese ganze Aktion hier komplett umsonst gewesen.

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