26. ~ Was jetzt?

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~ Lilly ~

<< Es tut mir Leid, aber so kann ich nicht mit dir zusammen sein >>, sagte ich mit fester Stimme, obwohl ich innerlich am Heulen war und starrte ihn hasserfüllt an.

Nachdem ich ihn lange genug hasserfüllt angestarrt hatte, drehte ich mich einfach um und rannte weg. Ich hatte keine Ahnung, wohin ich lief, aber es war mir scheissegal. Ich wollte einfach nur noch weg von dem Mörder meiner Mutter.

Ich konnte es immer noch nicht fassen, dass es ausgerechnet Carlos Vater war. Warum ausgerechnet der? Warum konnte es nicht einfach ein x-beliebiger Typ sein, mit dem ich nichts zu tun hatte? Und was ich noch weniger fassen konnte,  war, dass der Typ mich nicht einmal erkannt und mich sogar noch dumm angemacht hatte.

Aber ich war mir zu hundert Prozent sicher, dass er es war und ich ihn nicht mit irgendeinem anderen verwechselte. Diese glänzenden, grünen Augen würde ich unter tausenden wiedererkennen. Sogar in der Nacht, als meine Mutter ermordet wurde, hatte ich sie in der Dunkelheit erkennen können.

Damals hatte er mich direkt angestarrt, während er die Waffe auf mich gerichtet hatte. Ein eiskalter Schauer lief mir den Rücken hinunter, als ich an diese Nacht zurückdachte. Warum hatte das nur alles passieren müssen? Und warum hatte ausgerechnet Carlos Vater das getan?

Zitternd liess ich mich auf die Treppenstufen eines Hauseingangs nieder. Ich konnte das einfach nicht glauben, was gerade passiert war. Ich war gerade ernsthaft zum zweiten Mal dem Mörder meiner Mutter gegenübergestanden. Und dieser Typ hatte ernsthaft noch die Frechheit gehabt, mich anzumachen und Carlos sogar eine reinzuhauen.

Carlos tat mir irgendwie echt leid. Ich hatte ihn gerade ziemlich eiskalt abserviert. Er hatte es zwar nicht verdient, aber ich schaffte es doch nicht, mit dem Sohn eines Mörders zusammen zu sein. Ich wusste zwar, dass er nicht so war, wie sein Vater und mir niemals etwas zuleide getan hätte, aber trotzdem konnte ich das nicht.

Mit immer noch zitternden Fingern wischte ich mir die Tränen weg, die aus meinen Augen geströmt waren, sobald ich Carlos hatte stehen lassen. Dabei fiel mir auf, dass ich immer noch seinen Pulli trug. Ich roch daran und sog den Duft seines Parfüms in meine Nase, was jedoch dazu führte, dass meine Augen sich schon wieder mit Tränen füllten.

Ich hatte gerade ernsthaft den einzigen Menschen auf dieser Welt, der mich noch liebte und den ich liebte, in den Wind geschossen. Anscheinend hatte er keine Ahnung gehabt, was sein Vater getan hatte, denn sonst wäre er nicht so geschockt gewesen.

Wahrscheinlich war es auch schon öfters vorgekommen, dass sein Vater ihn geschlagen hatte, denn mir war schon ein paar Mal aufgefallen, dass er überall blaue Flecken hatte. Immer wenn ich ihn darauf angesprochen hatte, hatte er geschickt abgelenkt und das Thema gewechselt. Jetzt ergab das alles einen Sinn. Warum war ich nicht schon früher darauf gekommen, dass sein Vater ihn schlug?

Ich hätte ihm vielleicht helfen, oder zumindest für ihn da sein können. Stattdessen hatte ich in immer nur mit meinen eigenen Problemen vollgelabert und ihn nie gefragt, wie es ihm eigentlich ging. Je mehr ich darüber nachdachte, desto mehr kam ich mir vor wie die hinterletzte Hure. Besonders, dass ich ihn jetzt einfach hatte sitzen lassen. Für ihn war das bestimmt auch nicht einfach, wenn man einfach so an den Kopf geworfen bekam, dass der eigene Vater ein Mörder war.

Lange blieb ich einfach auf der Treppe sitzen. Was sollte ich jetzt nur tun? Ich konnte nicht zur Polizei gehen, denn die suchten mich ja immer noch. Die würden mir womöglich nicht mal glauben und mich einfach nach Brighton zu meinem Vater zurückschicken, und auf den konnte ich verzichten.

Ich hätte die Bullen zwar einfach anonym anrufen und es ihnen sagen können, aber irgendwie erschien mir das nicht als der richtige Weg. Die hätten mich wahrscheinlich nur für so eine verrückte Hure gehalten und mir kein Wort geglaubt. Ich musste einen anderen Weg finden, aber welchen?

Escape...Where stories live. Discover now