55. ~ "Wo ist Marc?"

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~ Carlos ~

<< Tja, damit hast du wohl nicht gerechnet, was? Aber wenn du schon in meinem Büro herumschnüffelt, solltest du auch damit rechnen, dass ich dich irgendwann finde >>, stiess Eric in verächtlichem Tonfall hervor und sah mich dabei so an, als würde er mit einem Geisteskranken reden.

Ich stiess hörbar die Luft aus, die ich, ohne es zu merken, angehalten hatte. Das konnte doch nicht dem sein Ernst sein, dass er wegen dieser Sache jetzt sowas abzog. << Wie hast du mich gefunden? >>, würgte ich nach einer Weile, in der er mich nur selbstsicher angegrinst hatte, im Flüsterton hervor. Vielleicht war diese Frage ein Fehler gewesen, denn er fing dabei an, nur noch selbstsicherer und blöder zu grinsen. Augenblicklich wurde mir wieder schlecht und ich war kurz davor, ihm einfach ins Gesicht zu kotzen.

<< Tja, wenn ich dich wäre, würde ich mal deinen Freundeskreis überprüfen. Möglicherweise gibt es da jemanden, der dich nicht so mag, wie du vielleicht denkst und für Kohle alles machen würde. >> Das überhebliche Grinsen wurde dabei so breit, dass ich mich echt wunderte, warum es überhaupt noch auf sein Gesicht passte. Das konnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Keiner meiner Freunde hätte auch nur den geringsten Grund gehabt, mich zu verraten, da war ich mir zu hundert Prozent sicher. Aber irgendwie musste er ja rausgekriegt haben, dass ich mich bei Luca versteckt hatte. Auch wenn ich es mir auf keinen Fall vorstellen konnte, musste ich mir selbst eingestehen, dass das eigentlich die einzige Möglichkeit war und dass Eric die Wahrheit sagte. Wie zur Hölle hätte er auch sonst rauskriegen sollen, wo ich mich verkrochen hatte?

<< Na, da staunst du, was? >>, fuhr er mich an, als ich nicht reagierte. Ich konnte diesem grässlichen, stechenden Blick einfach nicht mehr Stand halten, sodass ich meinen Blick senkte und auf meine Hände starrte. Dabei bekam ich den Schnitt, den ich mir vorhin zugezogen hatte zum ersten Mal im Schein der Taschenlampen zu Gesicht. Es musste wohl eine Glasscherbe gewesen sein, denn er war ziemlich lang und zog sich fast über meine gesamte Handfläche. Noch immer quoll etwas Blut heraus, er musste also ziemlich tief sein.

Eric, der wohl merkte, dass meine Konzentration nicht mehr auf ihm lag, packte mich unter dem Kinn an und zwang mich so, ihn wieder anzusehen. Verzweifelt versuchte ich, meinen Kopf zur Seite zu reissen, denn solch ein Ekelpaket musste ich mir echt nicht ansehen, aber ich hatte natürlich keine Chance gegen ihn. << Jetzt weisst du, wie es sich anfühlt, verraten zu werden, dreckiges Gefühl, was? >>

Das dreckige, ironische Lachen, das er dabei ausstiess, würde ich so schnell wohl nicht mehr vergessen. << Aber du kannst deinem Vater gerne ausrichten, dass ich mich genauso gefühlt habe, als unsere Geschäfte aufgeflogen sind und er sich einfach verpisst hat. >> Sein Gesicht verzerrte sich dabei so sehr, dass ich Angst hatte, dass er mir wieder eine reinhauen würde. Wollte dieser kranke Mensch jetzt ernsthaft hier mit mir über seine Gefühle reden?

Wage stahl sich eine Erinnerung in mein Bewusstsein. Hatte ich nicht, als ich mit Dad und seinen kriminellen Kumpels einen Überfall auf einem Schrottplatz durchgezogen hatte, in einem Kuvert, das ich in einem gestohlenen Wagen entdeckt hatte, eine Flugbestätigung nach Miami gefunden? Es war zwar etwas weit hergeholt, aber langsam begriff ich, warum Eric so angepisst war. Er hatte wohl vorgehabt, gemeinsam mit meinem Vater nach Miami zu flüchten, deshalb die Flugbestätigung, aber so wie ich meinen Vater kannte, hatte er ihm wohl die Flugtickets abgezockt und sich alleine aus dem Staub gemacht. Obwohl es mir ziemlich mies vorkam, konnte ich gut verstehen, warum Dad das getan hatte. Auf meiner Flucht hätte ich ebenso wenig einen Menschen wie Eric dabeihaben wollen, der brachte ja nur Probleme.

Was ich jedoch überhaupt nicht nachvollziehen konnte war, warum Eric mir das alles antat und seine Wut und Aggressionen nicht einfach an meinem Vater selbst ausliess. Ich senkte meinen Blick wieder auf meine zitternden Hände, als er weiterredete. Diesem ekligen Arschloch konnte ich einfach nicht in die Augen sehen. Ich war nicht in der Lage, ihm zuzuhören und begriff nicht wirklich, was er sagte. Zu sehr konzentrierte ich mich darauf, nicht zu kotzen. Erst als er mich an den Schultern packte und schüttelte, wurde mir bewusst, dass ich eigentlich hätte zuhören sollen.

Escape...Where stories live. Discover now