24 - Ablenkungen

4 1 0
                                    

Mittlerweile hatte ich die Hoffnung aufgegeben, eines Tages ein halbwegs vernünftiges Gespräch mit Josh zu führen und war gründlich sauer – auf ihn, auf mich, auf die Gesamtsituation. Welcher Typ sagte einem schon in einem Moment, wie viel man ihm bedeutete und im nächsten wurde man mit seiner aktuellen Freundin und unzähligen vergangenen Mädchengeschichten konfrontiert? Und wieso konnte ich nicht damit aufhören, mir ständig eine goldene Zukunft auszumalen, die ohnehin nicht in Erfüllung gehen würde? Hm, Zukunftsvisionst gesucht. In der Zeit, die ich schon hier wohnte, war mir noch keiner begegnet.

Jedes Mal, wenn ich mit ihm reden wollte, verschwand er mit irgendwelchen fadenscheinigen Ausreden, die immer lächerlicher wurden. Letztens erst hatte er behauptet, dass er Degen polieren müsste und deshalb keine Zeit für mich hätte – und das, wo doch jeder wusste, dass Professor Barnes diese Aufgabe mit einer Gründlichkeit, um nicht gar zu sagen, Leidenschaft verrichtete, die fast schon krankhaft war. Nun, jedem das seine.

Ich schüttelte diese Gedanken ab und versuchte mich stattdessen auf ein erfreulicheres Thema zu konzentrieren: Shoppen. Sorcha wollte mir das Paradies für alle Mädchen zeigen – oder zumindest für alle, die so verrückt nach Taschen voller neuer Kleider, Schmuck und Schuhe waren wie wir –, denn obwohl unsere Schränke noch bestens ausgestattet war, so durfte man doch nicht aus der Übung kommen und so eine Mädchennacht klang wirklich verlockend: durch die Stadt bummeln, schöne Kleider anprobieren, Schnäppchen machen, bei Cupcakes oder Crêpes in Ruhe quatschen. Ich war überrascht, wie gut Sorcha und ich uns verstanden und wie freundlich ich in ihre Clique aufgenommen wurde.

Bisher hatte ich nie schnell Freunde gefunden - ich brauchte immer eine halbe Ewigkeit, bis ich jemandem vertraute -, doch bei ihr hatte ich das Gefühl, sie schon seit Ewigkeiten zu kennen. Wir konnten über alles reden und egal, was für ein Problem ich hatte, ich konnte sie damit stundenlang nerven und am Ende würde sie sagen: Ich hab's! Oder so lange mit grübeln, bis ihr etwas einfiel. Aber manchmal hatte sie natürlich auch keine Lösung und dabei stellte ich immer wieder erstaunt fest, wie sehr es doch half, darüber zu reden, statt alles in sich einzuschließen. Ich bekam eine leise Vorahnung davon, was es hieß, wirklich eine beste Freundin zu haben und nicht nur eine, die sich so nannte.

Tief in meinen Gedanken versunken achtete ich nicht auf den Weg und – tollpatschig wie ich war, daran hatte sich leider nichts geändert, wenn man nicht die Umgebung im Blick behielt half auch das beste Gleichgewichtssinn nichts – lief ich geradewegs in jemanden hinein.

„Oh, tschuldigung", murmelte ich ohne aufzublicken und wollte schnell weiter, doch kühle Finger schlossen sich erstaunlich sanft um mein Handgelenk, sodass ich schließlich doch stehen blieb und endlich aufblickte, in klare grüne Augen, die zum Gesicht gehörten, das eben noch Gegenstand meiner Überlegungen gewesen war.

„Josh."

Ich war stolz, dass meine Stimme fest klang, obwohl ich innerlich total nervös war und jeden Augenblick damit rechnete, dass er so plötzlich verschwand, wie er aufgetaucht war. Es wäre nun wirklich nicht das erste Mal. Doch nichts dergleichen passierte, stattdessen: „Ich glaube, wir müssen reden."

Ich verabscheute diesen Satz. Denn in den meisten Fällen folgte darauf nichts Gutes. Bei ihm klang er nach einem: „Hör auf, mir hinterherzulaufen, ich will nichts von dir." Zumindest drängte sich mir dieser Eindruck auf. Dabei lief ich ihm höchstens in Gedanken hinterher. Noch nicht einmal mit den Augen war das möglich, da ich ihn vielleicht für eine Sekunde sah, bevor er sich wieder in Luft auflöste. Konnte man mir wirklich einen Vorwurf machen, dass ich mir am liebsten wie ein Kind, das schlechte Neuigkeiten nicht hören wollte, die Ohren zugehalten hätte?

Ich ließ mir jedoch nichts anmerken, setzte ein unbeteiligtes Gesicht auf – so gut das eben ging – und erwiderte möglichst kühl: „Das hab ich dir die letzten zehn Male, die wir uns gesehen haben auch schon gesagt."

My(stery) storyWhere stories live. Discover now