21 - (Nicht ganz so) besinnliche Weihnacht

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Die ganze Burg steckte bis zum Hals in den Weihnachtsvorbereitungen: unzählige Geschenke mussten noch verpackt oder sogar erst in der unterirdischen Nachbildung sämtlicher europäischer Metropolen gekauft werden – ich liebte die Ausflüge dorthin wie sonst kaum etwas, es war unglaublich, durch das nächtliche Paris zu bummeln, das nicht von Touristen übervölkert war, entspannte Spaziergänge durch Wien nur einige Kilometer weiter entfernt zu machen, die verschiedensten Sehenswürdigkeiten zu sehen –, Tannenbäume wurden gestutzt und geschmückt, silberne und goldene Lametta-Girlanden hingen über jedem Torbogen und an jeder Tür. Überall duftete es nach ofenfrischen Zimtsternen, Vanillekipferln und anderem Gebäck, das sich dann selbst die Erstarrten zu diesem Anlass genehmigten. Der Garten wurde auf Hochglanz gebracht, Weihnachtssterne wurden an jeder Ecke angepflanzt, ein Mädchen mit einer Wasseraffinität ließ eine glatte Eisfläche im Burghof entstehen, worauf später Schlittschuh gefahren werden konnte, ein anderes ließ an den ganzen Springbrunnen Wasserfontänen hoch spritzen, die sie zu kleinen Engelsstatuen formte und sie dann einfror. Ein Junge mit der Gabe des Wetterbeherrschens sorgte dafür, dass riesige Schneeflocken vom Himmel fielen, die die Mädchen anschließend zu umwerfenden Skulpturen formten. Die Bäume draußen waren alle mit einer pulverartigen Schicht Schnee bedeckt und an der äußeren Mauer hingen überall meterhohe Eiszapfen herab.

Da Vampire nicht froren, konnte man fantastische Kleider anziehen und im Freien Fotos machen. Zugegeben, ich hatte das ausgenutzt, mir ein rotes Sommerkleid angezogen, das ich teilweise sogar mit entworfen hatte, die Haare hochgesteckt und ein Bild nach dem anderen geschossen. Eines von Liz' unzähligen aufgetakelten Freundinnen, das jeden mit einem herablassenden Blick bedachte, solange es sich nicht um einen Mann mit düsterer Ausstrahlung, Modelmaßen und feurigen Augen handelte, sollte sich diversen Gerüchten nach nur in Unterwäsche in den Schnee gelegt haben, doch Gerüchte hatten nun mal die kleine Eigenart, dass sie nicht immer hundertprozentig der Wahrheit entsprachen. Trotzdem konnte ich mir nur allzu gut vorstellen, dass sie diese Art von Aufmerksamkeit genoss, vielleicht sogar die Gerüchteküche mit anheizte.

Innerhalb weniger Tage war hier alles zum Winterwunderland geworden. Es kam mir gar nicht so vor, als würde ich schon seit über drei Monaten hier leben, es war schnell zu meinem neuen Zuhause geworden. Wenn ich jetzt zurückdachte, kam mir alles gleichzeitig lange her und doch vor so kurzer Zeit vor. Als ich daran dachte, wie ich das erste Mal Blut getrunken hatte, das Steak mal nicht mitgezählt, schlich sich ein Grinsen auf mein Gesicht.

Es war beim Mittagessen gewesen, ich hatte tierischen Durst gehabt und ein Glas Wasser nach dem anderen hinunter gespült, auch wenn es nichts gebracht hatte. Charlie, der nach dem vierten offensichtlich genug davon hatte, hatte mir ein Glas mit roter Flüssigkeit vor die Nase geknallt und mir befohlen, es zu trinken.

„Ich trinke doch kein Blut", hatte ich angeekelt ausgerufen, woraufhin er nur genervt die Augen verdreht hatte. „Das ist Johannisbeersaft, du Genie."

Skeptisch hatte ich ihn angeschaut, doch meine trockene Kehle hatte sich schon entschieden. Natürlich war es kein Johannisbeersaft gewesen, es schmeckte himmlisch süß, fruchtig und erfrischend – besser als jedes Eis, dass ich je gegessen hatte.

Und natürlich war es Blut gewesen, was denn sonst?

Mittlerweile hatte ich mich an die Vorstellung gewöhnt, Blut zu trinken, auch wenn die Beschaffungs- und Erschaffungsmethode etwas gewöhnungsbedürftig war. In jedem größeren Krankenhaus mit einer gut ausgestatteten Blutbank wurden nach Möglichkeit Vampire hingeschickt – sei es als Putzhilfe, Nachtwächter oder auch Oberarzt –, die in Verbindung mit den zentralen Laboren standen, in denen Forscher vor einigen Jahren erst eine Möglichkeit entdeckt hatten, eine geringe Blutmenge künstlich so zu vermehren, dass ganze LKWs mit voller Ladung an sämtliche Zirkel verteilt werden konnten. Dabei hatte die Produktion vom Humaninsulin der Menschen ein ganzes Stück dazu beigetragen, dass die Forscher diesen Durchbruch erzielt hatten – für alle, die etwas mit Gentechnik anfangen konnten. Davor mussten massenhaft Blutkonserven aus Krankenhäusern gestohlen werden, was schnell dazu führte, dass die Menschen dort misstrauisch wurden – es sei denn, jemand mit einer betreffenden Gabe wurde eingesetzt, der dafür sorgte, dass nichts aufflog. Über die moralische Vertretbarkeit dieser ganzen Prozedur ließ sich wahrscheinlich einiges zu sagen, doch nun wurden immerhin um einiges weniger Blutkonserven entwendet. Evan meinte, dass es zusammenfassend ein Gemisch aus Chemie, Vampirmagie und Blut wäre, na guten Appetit, doch daran dachte natürlich niemand, wenn man es trank – ich hatte mir schließlich auch nie viele Gedanken über Konservierungsstoffe oder Farbstoffe gemacht.

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