11 - Der Mentor und das Hündchen

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Sorcha, die den ganzen Weg über schweigend neben uns mit hängenden Schultern hergetrottet war, nachdem sie meinen leicht vorwurfsvollen Blick gesehen hatte, hielt auf einmal an und packte mich am Arm.

„Bitte sei nicht sauer, okay? Das kam vielleicht härter heraus, als ich beabsichtigt habe. Ich weiß, dass ihr gut befreundet wart, aber hier hat er sich halt benommen wie ein Playboy. In dem halben Jahr, das er jetzt hier ist, hatte er locker vier oder fünf am Start, ich weiß nicht, wieso so viele auf ihn reinfallen. Ich hätte es dir schon früher sagen sollen, aber nachdem du mir die ganze Geschichte gestern erzählt hast, wollte ich dich nicht direkt enttäuschen oder so. Und vielleicht habe ich auch gedacht, dass er bei dir anders wäre, weil ihr euch schon so lange kennt."

Sorcha sah mich so an, als erwartete sie halb, dass ich mich schreiend auf sie stürzen würde, sie kaute nervös an ihrer Lippe und ich sah ihr an, dass es ihr wirklich leid tat. Sie hatte mir wohl wirklich einen Gefallen tun wollen, als sie mir seine Mädchengeschichten verschwiegen hat.

Etwas unbeholfen umarmte ich sie. „Du brauchst dich doch nicht zu entschuldigen, ich bin nicht sauer auf dich, eher auf mich selbst, dass ich ihn trotz allem, was er getan hat und was ich über ihn erfahren habe, immer noch irgendwie mag. Außerdem könnte ich doch nicht unsere Freundschaft beenden, bevor sie angefangen hat, oder?"

Sie entspannte sich sichtlich und lächelte mich dankbar an.

„Weißt du was, Noëlle? Ich glaube, unsere Freundschaft hat schon angefangen", meinte sie kichernd.

Ich wusste nicht wieso, aber irgendetwas daran war so komisch, dass auch ich anfing zu kichern und es dauerte nicht lange, bis wir in lautes Gelächter ausbrachen. Jedes Mal, wenn wir uns ansahen, mussten wir noch mehr lachen und ich fühlte mich direkt besser.

Ein Räuspern unterbrach uns: „Die Damen, der Unterricht fängt gleich an. Hättet ihr die Güte, nicht auf dem Flur zu gackern wie die Hühner, sondern euch stattdessen auf eure Plätze zu begeben?"

Der Sprecher – ein hochgewachsener Mann Ende zwanzig oder sagen wir mal mit dem Aussehen eines endzwanzigjährigen Mannes mit pechschwarzem Haar und knallblauen Augen – sah uns halb amüsiert, halb entnervt an.

„Oh, Entschuldigung", stotterte ich, „ist hier der Englischunterricht?"

"Indeed", antwortete er ernst.

Sorcha verdrehte – immer noch lachend – die Augen: „Ach komm, stell dich nicht so an, Vic. Noëlle, das ist Victor, mein Mentor", dann kicherte sie von neuem los, „das hat sich gereimt."

Victor schaute sie missbilligend an und bemerkte mit den Augen rollend: „Man könnte denken, dass du gerade erst eingeschult wurdest. Und für die nächsten zwei Stunden Mister Barnes, wenn ich bitten darf", doch dabei lächelte er leicht. „Jetzt begebt euch zu euren Plätzen, damit ich anfangen kann. Sorcha, ich weiß, dass du fließend Englisch sprichst. Was heckst du jetzt wieder aus?"

Unschuldig blickte sie ihn aus großen Augen an. „Aber nein, Sir, ich finde ihren Unterricht nur so überaus spannend und unterhaltsam."

Er schnaubte und wir betraten den Raum. Ich hatte das Gefühl, eine riesige Kuschelecke zu betreten – der ganze Raum war mit kleinen Sesseln, Hockern, Sitzsäcken und Sofas jeder Art und Größe bedeckt. Dazwischen ein paar Schüler, die neugierig aufsahen, als wir eintraten. Ich fragte mich, ob es in der ganzen Burg einen Raum gab, der wirklich wie ein Klassenzimmer eingerichtet war, mit Stühlen, Tischen, Tafeln und allem drum und dran. Mister Barnes setzte sich auf ein Sofa in der Mitte des Raums und pfiff durchdringend. Augenblicklich kehrte Ruhe ein.

„Vielen Dank Ladies and Gentlemen. Ich würde gerne anfangen. Wie ihr seht, haben wir einen Neuzugang, ein herzliches Willkommen für Noëlle bitte."

My(stery) storyWhere stories live. Discover now