13 - Eine Gabe, aber nicht meine

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„So Noëlle, dann wollen wir mal. Ich werde mein Bestes geben, dass du dich nicht wie im Unterricht fühlst, wovon du mittlerweile genug hast?", fragte sie zwinkernd.

Ach ja, es ging hier um meine Gabe, nicht ihre.

„Und ich dachte, das war's mit der Schule", seufzte ich.

Sie zog eine Augenbraue hoch. „So schlimm? Wen hattest du denn heute?"

„Nein, Professor Barnes ist ganz okay, aber Annamaria, du weißt schon...", erwiderte ich.

„Jaja, der gute alte Victor", nickte sie.

„Kann es irgendwie sein, dass du hier alle kennst?", fragte ich neugierig.

„Die Burg ist ja nicht so groß, ich bin hier aufgewachsen und so viele Bewohner sind hier auch nicht (ihre Auffassung des Wortes viel unterschied sich wohl deutlich von meiner). Und da wir sehr lange leben, hat man viel Zeit, alle kennenzulernen. Aber Victor ist der Mann meiner Schwester. Du weißt schon, die, die Cedric und mich mal eingesperrt hat", antwortete sie, beim letzten Satz grinsend.

Ich schüttelte den Kopf über so viele Beziehungen. „Wahrscheinlich eröffnest du mir gleich, dass Lord Lucius der beste Freund deines Onkels ist oder so."

Sie tat so, als müsste sie angestrengt nachdenken, dann: „Nein, er hatte mal eine Affäre mit meiner Großmutter. Spaß, war nur ein Witz", fügte sie nach einem Blick auf mein schockiertes Gesicht schnell hinzu.

„Fangen wir an. Ist dir in letzte Zeit irgendwas passiert, was du dir nicht nur damit erklären konntest, dass sich dein menschlicher Körper wandelt?", fragte mich Penelope, woraufhin ich mich wie beim Psychiater fühlte – nicht, dass ich schon mal da war, aber ich hatte es mir immer so vorgestellt – und nicht, dass ich mir so etwas öfters vorstelle, aber, ach, ihr wisst, was ich damit sagen wollte, oder?

Mir fiel mein Traum wieder ein, den ich ihr auch erzählte.

Stirnrunzelnd überlegte sie. „Und du bist dir sicher, dass die Sonne schien?"

Ich nickte und fragte mich, ob das jetzt wirklich das Wichtigste war, aber naja, sie musste es wissen. Penelope schwieg und tippte sich gedankenverloren mit einem Stift gegen ihr Kinn, von dem ich nicht wusste, woher er auf einmal hergekommen war. Jetzt legte sie auch noch einen Stapel Blätter auf den Tisch und sagte: „Ich weiß, du hast ihn mir schon erzählt, aber vielleicht ist es einfacher für uns, uns mit dem Traum zu beschäftigen, wenn du ihn aufschreibst."

Als ich fertig war, sah sie lange auf das Blatt (woher ist es überhaupt gekommen?), dann fragte sie mich noch ein paar mehr Fragen, die meiner Meinung nach recht überflüssig waren: Hatte ich echt geschlafen oder war das eher ein Wachtraum gewesen? Hat der Traum lange oder kurz gedauert? Sah Josh genauso aus wie in echt? Waren noch andere Personen bei uns gewesen? Die ganzen Einzelheiten halt, die sich doch keiner merkte – zumindest ich nicht. Je mehr ich mich zu erinnern versuche, desto weniger kam mir in den Sinn. Am Ende war ich mir nicht mal mehr sicher, ob wir wirklich am Strand waren oder es doch ein Schwimmbad war. Und war nicht alles am See statt auf einer Wiese gewesen? Mir schwirrte der Kopf.

Penelope konnte es mir offensichtlich ansehen, denn sie legte die Blätter zusammen und sagte: „Ich glaube, das reicht für heute erst mal. Ich hätte da eine Vermutung, was deine Gabe angeht, aber um sicherzugehen bitte ich dich, deine Träume von jetzt an aufzuschreiben, an alles, woran du dich erinnern kannst, wie unwichtig dir das auch erscheint."

Ich schaute wohl nicht ganz so begeistert, denn sie sah mich ernst an und sagte schon fast feierlich: „Wenn ich Recht habe – und das habe ich in den meisten Fällen, dann ist deine Gabe sehr außergewöhnlich und selten, deshalb auch sehr wertvoll. Wenn du erst einmal weißt, wie du sie kontrollieren kannst, dann eröffnen sich dir Wege zu großartigen Taten."

Das klang ja alles schön und gut. „Aber was ist denn – höchstwahrscheinlich – meine Gabe?", wollte ich wissen.

Bedauernd schüttelte Penelope den Kopf: „Tut mir leid, ich will erst sichergehen, damit du nicht enttäuscht bist, falls du doch nicht diese Gabe hast, verstehst du?"

Ja, ich verstand. Was aber noch lange nicht hieß, dass ich damit zufrieden war.

„In zwei bis drei Tagen wird es bestimmt feststehen", meinte sie aufmunternd.

Da ich ohnehin nicht mehr erfahren würde, wechselte ich das Thema. „Was ist eigentlich deine Gabe?", woraufhin sie schelmisch zu grinsen anfing und antwortete: „Tja, das musst du erraten."

Sie schloss kurz die Augen, dann erschien unter meinem erstaunten Blick eine kleine Tube Handcreme in ihrer Hand.

„Kannst du Dinge erschaffen?", fragte ich verblüfft.

„Nein, nicht ganz. Das wäre aber auch eine sehr mächtige Gabe, die in dem Ausmaß bestimmt seit über mehreren hunderten von Jahren nicht mehr vorgekommen ist, wenn es denn jemals überhaupt so etwas gab."

Sie konzentrierte sich wieder und die Handcreme verschwand.

Grübelnd sah ich sie an. „Ich komme nicht drauf."

„Mach deinen Schrank auf und schaue ganz genau rein."

Verwirrt folgte ich ihren Anweisungen. Einen Moment später hielt sie ein wunderschönes Ballkleid in der Hand – das Kleid, welches jetzt im Kleiderschrank nicht mehr zu sehen war.

„Okay, okay, ich hab's. Du kannst Sachen teleportieren oder so etwas", rief ich aufgeregt.

„Ja", sie grinste nochmal und das Kleid war wieder im Schrank, ohne dass sie sich vom Fleck gerührt hatte. Im Handbuch standen ja viele unglaubliche Dinge, aber sie mit eigenen Augen zu sehen war etwas ganz anderes. Ich wollte sie noch mit 10000 von Fragen löchern, aber ein Blick auf die Uhr zeigte mir, dass es schon kurz vor drei war.

Schnell schrieb mir Penelope ihre Nummer mit dem teleportierten Stift auf das teleportierte Blatt auf, damit ich sie erreichen konnte, wann immer ich wollte und verkündete mir die beste Nachricht, die ich heute gehört hatte: „Morgen ist Sonntag, also ein ganz und gar unterrichtsfreier Tag."

Und mit diesem Tag dazwischen erschien mir der Unterricht gar nicht mehr so schlimm, vor allem, als ich die nächste Neuigkeit hörte: „Der Unterricht geht immer nur bis zur Mittagspause, danach hast du AG's, die du dir selbst aussuchen kannst, deine Freunde werden dir sagen können, was für welche Möglichkeiten es gibt."

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