3 - Untote aus Ferienlagern, naturgeboren oder wandelbar...?

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Nach dem Aufwachen – als Vampir schlief man anscheinend wirklich viel – war ich ziemlich aufgeregt. Es passierte schließlich nicht jeden Tag, dass man von einem Untoten zur neuen Heimat gebracht wurde.

Als es klingelte, war ich schon bereit, hatte mich von meiner Familie verabschiedet – ja, Mom, ich melde mich bei euch, sobald ich kann, Valerie, komm bloß nicht auf die Idee, auch ein Vampir werden zu wollen, ich passe auf mich auf, klar Dad – wobei wir alle einige Tränen vergossen hatten und stand mit dem Koffer an der Tür. Um Punkt zwölf Uhr klingelte es, doch vor der Tür stand kein alter Vampir mit blasser Haut, schwarzem Umhang und Blutresten am Mund. Na schön, das wäre wohl auch etwas zu viel aus dem Kostümfundus des letzten Jahrhunderts gewesen.

Stattdessen: „Charlie? Was machst du denn hier?"

Charlie Devine hatte ich im Sommer in einem Ferienlager kennengelernt. Zusammen mit etwa zwanzig anderen Jugendlichen haben wir wochenlang unsere Zeit am Strand verbracht, aber ich hatte nie viel mit ihm zu tun gehabt. Er war zwei Jahre älter als ich und hatte nie mehr als ein paar Begrüßungsworte an mich gerichtet, wenn überhaupt. Eigentlich sah er nicht schlecht aus, auch wenn er wirklich etwas mehr Sonne hätte vertragen können. Trotz der Wochen am Strand war er immer noch etwas blass.

„Noëlle? Kommst du jetzt?", riss er mich aus meinen Gedanken.

„Was?"

Oh verdammt. Hoffentlich hatte er nicht mitbekommen, wie ich ihn angestarrt habe. Woher kam er überhaupt aus heiterem Himmel?

„Wohin? Und was machst du hier? Woher weißt du eigentlich, wo ich wohne?"

Er starrte mich an, als hätte ich Aliensprache geredet. Bei meinem derzeitigen Wissensstand konnte ich ihre Existenz nicht völlig ausschließen.

„Ich weiß, du solltest um zwölf Uhr Mittag hier an der Haustür sein, weil dich ein Vampir abholen soll. Habe ich etwas verpasst?", fragte er bereits langsam ungeduldig werdend. Mir fiel fast die Kinnlade herunter.

„Warte mal. Woher weißt du davon? Und hast du gerade echt Vampir gesagt?", verlangte ich nach einer Erklärung.

Charlie sah jetzt wirklich entnervt aus. „Ja, Vampir, Geschöpf der Nacht, blutsaugendes Monster, blasses, untotes Wesen, dass nicht ganz untot ist, Vampire können sterben, such dir was aus. Wie auch immer, ich habe nicht den ganzen Tag Zeit, den Babysitter für dich zu spielen. Muss ich dich echt zur Burg von Lord Lucius schleppen oder steigst du freiwillig ein?" Damit deutete er auf eine schwarze Luxuslimosine.

„Ach ja, falls du zu blöd bist, um das zu begreifen",  jetzt sprach er jedes einzelne Wort betonend wie zu einem Kleinkind, „Ich bin ein Vampir. Du wirst auch einer. Ich hole dich ab. Ich werde dich zu deinem neuen Zuhause bringen."

Langsam verstand ich...nichts.

Charlie sollte ein Vampir sein? Das konnte doch nicht möglich sein. Er war tagsüber putzmunter gewesen und in der Sonne hatte ich ihn schon zigtausende Male gesehen. War denn irgendetwas vom Vampirmythos wahr? Ich war verwirrt, fühlte mich dumm, gedemütigt, unwissend, wurde jedoch langsam wütend. Was konnte ich dafür, wenn in dem Brief so wenige Informationen enthalten waren? Und Charlie war einfach nur widerlich herablassend  und eingebildet. Ich hoffte, dass nicht alle Vampire so waren.

„Schön", sagte ich „ich bin bereit, worauf wartest du?"

Kurz sah er verblüfft aus, doch er hatte sich viel zu schnell wieder unter Kontrolle und grinste spöttisch. „Na also, geht doch."

Er führte mich zu der Limousine und hielt mir die Tür auf.

„Dürfte ich Sie bitten, Platz zu nehmen, Mademoiselle?", fragte er, immer noch mit diesem Grinsen im Gesicht.

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