Kapitel 35

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Eine ganze Weile standen wir da und weinten einfach. Nur langsam konnten wir beide uns wieder beruhigen. »Wir bekommen das hin, Lotta. Ich verspreche dir, dass ich dich immer unterstützen werde und dich nie wieder alleine lasse.« Dankend küsste sie mich. »Möchtest du, dass ich bleibe?«, fragte ich zögerlich und sie erwiderte: »Das fände ich schön.«

Am Nachmittag kam ein anderer Arzt, der sich mit Dr. Leiphold vorstellte, vorbei und setzte uns in Kenntnis über den weiteren Verlauf. Er sprach von professioneller Hilfe, die Lotta jedoch ablehnte. Außerdem teilte er uns mit, dass Lotta noch einige Tage im Krankenhaus bleiben musste, aber das war zu erwarten. Als er das Zimmer wieder verließ, fragte ich sie leise: »Meinst du nicht, es wäre vielleicht doch gut, wenn du mit jemandem sprichst über die letzten Tage?« Sie runzelte leicht die Stirn. »Nein. Ich weiß, dass es ein wenig Zeit braucht, um das zu verarbeiten, aber es ist in Ordnung. Natürlich könnte ich losweinen, wenn ich daran denke, aber ich muss nach vorn schauen. In unsere Zukunft. Irgendwann möchte ich mit dir Kinder«, verkündete sie und ich erstarrte. Sie wollte tatsächlich mit mir Kinder? »Warum schaust du so geschockt?«, hakte sie vorsichtig nach. »Du möchtest mit mir Kinder?«, hauchte ich ihr zu. Sie nickte. »Selbstverständlich möchte ich das. Deshalb wirst du jetzt nach Hause gehen. Die Prüfungen stehen vor der Tür. Dann wirst du dich an deinen Schreibtisch setzen und lernen, hörst du? Dann gibst du dein Bestes und im Oktober fängst du dann dein Studium an. Und nach dem Studium können wir dann gern noch einmal über Kinder sprechen.« Nun mussten wir beide grinsen. »Die Vorstellung ist unglaublich«, antwortete ich und sie erwiderte: »Ja, das ist sie.« Dann machte ich mich tatsächlich auf den Weg. Sie hatte recht, ich musste mich um meinen Abschluss kümmern. Aber bevor ich ging, musste ich sie noch etwas fragen. »Hast du wirklich nicht gemerkt, dass du schwanger bist?« Ihr Gesichtsausdruck veränderte sich. »Nein, überhaupt nicht. Früher gehörte ich immer zu den Menschen, die sich nicht vorstellen konnten, dass man es nicht merkt und jetzt gehöre ich ebenfalls dazu.« Ich presste meine Lippen aufeinander und nuschelte: »Hm, ok.« Dann fiel die Tür ins Schloss.

Tagelang lernte ich, wiederholte den Stoff und konzentrierte mich nur noch darauf. Zwei Tage vor der Prüfung war Lotta schon längst wieder zu Hause, aber arbeiten durfte sie noch nicht wieder. Wir hatten uns bewusst dagegen entschieden, uns zu sehen. Das hätte mich nur abgelenkt, aber nun saß der Stoff tief und fest verankert in meinem Kopf. Ich konnte ihn im Schlaf auswendig. Wir waren bei ihr verabredet und sie wollte mich noch ein letztes Mal abfragen. Einen Tag vor der Prüfung lernen kam für mich nicht in Frage. Diesen wollte ich nutzen, um mich noch einmal komplett zu entspannen.

Als ich bei ihr klingelte, kribbelte es in meinem Bauch und als das Surren der Tür einsetzte, begann mein Herz wild zu klopfen. Dann öffnete sie die Tür und wir fielen uns in die Arme. »Endlich«, sagte ich freudig. »Es ist so schön, dich zu sehen.« Ungefähr zwei Stunden gingen wir noch einmal gemeinsam den Stoff durch, dann nahm ich ihr die Karteikarten aus der Hand. »Ich glaube, ich bin gut genug vorbereitet«, stellte ich fest und sie nickte zufrieden. »Und da ich ja schon mal hier bin, könnten wir die Zeit auch sinnvoll nutzen«, meinte ich und rückte näher an sie heran. Wir küssten uns. Die Zeit blieb stehen. Dann fing sie an mich auszuziehen. War sie dafür wirklich bereit? »Bist du dir sicher?«, fragte ich nachdenklich und sie nickte heftig. »Ja, ich habe dich so vermisst«, flüsterte sie mir erregt zu. Ich hatte Lotta nun schon so oft nackt gesehen, aber ich konnte einfach nie genug von diesem Anblick bekommen. Ich küsste ihren Hals, ihre Schulter, ihren Bauch. Dann fanden unsere Lippen wieder zueinander. Lautes Aufstöhnen dröhnte durch das Schlafzimmer, bis wir schließlich beide den Höhepunkt erreichten und uns zufrieden aneinander kuschelten. Unsere Hände waren ineinander verschränkt.

Wir kochten zusammen Abendbrot. Also Lotta kochte, ich kümmerte mich um die Getränke und deckte den Tisch. Ich fühlte mich unheimlich wohl in ihrer Wohnung und Nähe. Beim Essen saßen wir uns gegenüber. Mir brannte schon seit Tagen eine Frage auf der Zunge, aber ich wusste nicht, wie ich sie geschickt stellen sollte, deshalb fragte ich ganz beiläufig: »Was ist eigentlich mit Tom?« Sie hörte auf zu essen, sagte dann aber schließlich verächtlich: »Er wird dafür zur Rechenschaft gezogen. Ich habe ihn auch für das Stalking angezeigt. Er bekommt, was er verdient.« Dann aß sie weiter und wir sprachen nie wieder über ihn.

»Ich will noch gar nicht gehen«, jammerte ich, aber sie schubste mich förmlich aus ihrer Wohnung mit einem breiten Lächeln im Gesicht. »Du wirst deine Prüfungen erfolgreich schreiben und dann sehen wir uns wieder, ok?« Ich wollte protestieren, aber sie schnitt mir das Wort ab: »Keine Widerrede.« Sie gab mir noch einen langen und zärtlichen Kuss, dann schloss sie die Tür.

Die Prüfungen liefen sehr gut. Ich hatte mich super vorbereitet. Dass ich bestehen würde, daran hatte ich absolut keinen Zweifel. Für mich stellte sich eher die Frage, wie ich bestehen würde. Konnte ich meinen Schnitt halten? Trotz des stressigen Jahres schrieb ich gute Noten. Aber hatte es gereicht? Ich musste abwarten. Jetzt musste ich im Juni nur noch die mündlichen Prüfungen überstehen und dann war ich fertig mit der Schule. Dann konnten wir endlich unsere Beziehung öffentlich machen. Wenn ich nur daran dachte, wurde mir ganz warm ums Herz.

Nach der letzten Prüfung fuhr ich zu Lotta. Ich wusste, dass sie heute schon früher Schluss hatte. Beim Supermarkt hatte ich noch schnell eine Flasche Sekt gekauft, damit vor wenigstens schon mal auf die schriftlichen Prüfungen anstoßen konnten, aber als sie mir die Tür öffnete, wusste ich, dass etwas anders war. »Ist etwas passiert?«, fragte ich deshalb und sie zuckte mit den Schultern. »Wir sprechen nachher gleich darüber, aber lasse dich erst einmal drücken.« Sie zog mich in ihre Wohnung und ich nahm den vertrauten Geruch wahr. »Den Rest schaffst du auch noch«, sprach sie mir gut zu und küsste mich. Wir gingen in die Küche, holte zwei Sektgläser und fragte mich über die Prüfungen aus, aber dafür hatte ich keinen Kopf. Ich wollte endlich wissen, was hier los war. »Lotta«, unterbrach ich sie etwas forsch. »Könnten wir jetzt bitte zur Sache kommen?« Sie hantierte in der Küche herum, hielt aber in diesem Moment inne. »Ja, natürlich. Irgendwann muss ich es dir sowieso sagen.« Sie wirkte bedrückt und sehr unsicher, als sie sich setzte. »Was willst du mir sagen?« Sie atmete tief durch. »Emma kam heute zu mir nach Hause anscheinend, denn dieser Brief lag bei mir im Briefkasten.« Lotta zog in aus ihrer Tasche und schob ihn mir zu. Emma war meine Mitschülerin, mit der ich nicht befreundet war. Wir kamen zwar gut miteinander aus, aber das war es auch schon. »Was steht da drin?«, fragte ich und runzelte leicht irritiert die Stirn. »Lies selbst.«

Unknown. || gxgWo Geschichten leben. Entdecke jetzt