Kapitel 19

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»Elli, bist du im Bad?«, fragte Jonas besorgt und klopfte erneut an der Tür. Lotta sah mich mit weit aufgerissenen Augen an und formte mit ihrem Mund still die Worte: »Was sollen wir jetzt tun?« Ich überlegte, dann kam mir die Idee. »Ja, bin ich. Mir wurde ein wenig übel, aber es geht schon wieder«, antwortete ich ihm und hoffte, dass er die Nervosität in meiner Stimme nicht bemerkte. Ich öffnete die Tür und verließ das Bad, Lotta folgte mir. Jonas blickte uns etwas skeptisch an und schnell umarmte ich ihn und wünschte ihm ein gesundes neues Jahr. Dann gingen wir zu den anderen nach draußen. »Wo hast du gesteckt?«, fragten Kati und meine Eltern gleichzeitig und umarmten mich. »Mir war schlecht und Frau Lindberger war bei mir. Ich brauchte wohl nur einen Moment Ruhe, mir geht es schon wieder gut.« Niemand schöpfte Verdacht und darüber waren wir sehr froh. Dann ergriff Lotta das Wort: »Es war ein wirklich schöner Abend. Vielen Dank, dass ich hier sein durfte. Ich gehe jetzt aber wohl besser mal nach Hause, ich bin ziemlich müde.« Nein, dachte ich. Sie sollte doch noch nicht gehen. Vor einigen Minuten war alles noch so perfekt gewesen und nun wollte sie verschwinden? Ich konnte sie nicht aufhalten, deshalb ergriff ich die Initiative und schlug ihr vor, sie noch ein Stück zu begleiten. 

»Ich kann auch mitkommen«, mischte sich Jonas ein. »Dann musst du nicht wieder alleine zurücklaufen.« Ich winkte ab. »Ist nicht nötig, ich bin schon groß.« Und mit diesen Worten drehte ich mich um und Lotta und ich verließen das Grundstück. Schweigend gingen wir nebeneinander her. Niemand wollte zuerst etwas sagen. Dann sagte Lotta schließlich: »Ich hatte übrigens das Gefühl, dass Jonas heute den ganzen Abend deine Nähe gesucht hat.« War sie etwa eifersüchtig? »Da hat dein Gefühl dich nicht enttäuscht. Jonas hat mir gesagt, dass er sich in mich verliebt hat.« Sie blieb stehen. Schnell redete ich weiter: »Ich habe ihm aber deutlich klargemacht, dass ich kein Interesse habe und wir wollen weiterhin befreundet bleiben. Er ist sicherlich nur ein bisschen verknallt.« Gedankenverloren ging sie weiter und biss sich immer wieder auf die Lippe. 

»Kannst du damit bitte aufhören? Die brauche ich noch«, sagte ich und lachte. Sie sah mich fragend an. Ich zeigte mit meinem Finger auf ihre Lippen und dann fiel es ihr selbst auf und sie hörte damit auf. »Wie weit willst du mich eigentlich bringen? Wir sind ja gleich bei mir«, meinte sie. Die Zeit verging rasend schnell. »Ich bringe dich nach Hause. So weit ist es ja nicht.« Wir wohnten ungefähr 15 Minuten Fußweg auseinander. 

Als wir bei ihr zu Hause ankamen, blieb sie vor der Tür stehen. Anscheinend war sie unschlüssig, was sie nun tun sollte. Deshalb fragte ich: »Darf ich vielleicht noch für einen Moment mit nach oben kommen?« Ich suchte Augenkontakt, aber sie starrte auf den Boden. »Hältst du das für eine gute Idee?«, entgegnete sie und hob ihren Kopf, sodass wir uns nun ansahen. Ich verspürte schon wieder dieses starke Bedürfnis; ich wollte sie küssen. »Ja, halte ich.« Dann schloss sie die Tür auf und im Hausflur drückte ich sie an die Wand. »Oh, was machst du nur mit mir?«, fragte sie flüsternd. »Das gleiche könnte ich dich auch fragen«, sagte ich und sie seufzte glücklich.

Wir brauchten eine Weile bis zu ihrer Wohnung, da wir nicht mit dem Küssen aufhören wollten. Dann standen wir vor der Tür. Ich wollte nicht gehen, aber ich wusste, dass ich musste. Ich wollte ihr so vieles sagen, aber die Worte wollten nicht über meine Lippen kommen, die sie gerade noch so leidenschaftlich geküsst hatte. Zaghaft sagte ich dann aber: »Du bist das Beste, was mir hätte passieren können. Das heute Nacht; das war besonders. Ich werde das nie vergessen. Niemals.« Sie nahm mein Gesicht in ihre Hände. Ich konnte ihren heißen Atem auf meiner Haut spüren. Das Gefühl war unbeschreiblich und mein Herz legte einen Salto hin. »Ich werde das auch nie vergessen.« Dann küsste sie mich ein letztes Mal, schloss ihre Wohnung auf, drehte sich nochmal kurz um und dann war sie verschwunden. 

Als ich wieder zu Hause war, kam Jonas auf mich zu. »Du warst aber ganz schön lange weg«, bemerkte er etwas spitz. »Wir haben uns noch kurz unterhalten«, rechtfertigte ich mich. »Lass uns tanzen«, forderte er mich auf und weil ich ihn nicht verletzen wollte, stimmte ich zu, obwohl meine Gedanken noch immer bei Lotta waren und ich sie schon wieder schrecklich vermisste. Wir tanzten zu drei Liedern und dann holten wir uns beide noch ein Bier aus dem Kühlschrank und setzten uns. Alle anderen waren gerade auf der Tanzfläche. Wir hatten die Möbel im Wohnzimmer zur Seite gerückt und so hatten wir genügend Platz für alle, denn der Raum war riesig. 

»Wir haben schon lange nichts mehr zusammen unternommen«, sagte er verlegen. »Ich weiß. Es tut mir leid. Ich hatte nur die letzten Monate viel mit mir selbst zu tun, aber wir können gern mal wieder etwas unternehmen.« Er grinste mich an und sah mir in die Augen. Einen Moment zu lange, ich kannte diesen Blick. Ich wusste, was er für mich empfand und dass er mich jetzt am liebsten küssen würde. Deshalb schaute ich den Tanzenden zu. Im Blickwinkel nahm ich eine Veränderung seiner Haltung wahr. Irritiert sah ich nach rechts. Er war bleich im Gesicht. »Was ist los?«, fragte ich ihn entgeistert. Sein Blick war unergründlich. »Was ist das für eine Kette?« Was meinte er? Von welcher Kette sprach er? Dann fiel es mir ein. Er meinte meine Kette, die ich von Lotta zu Weihnachten geschenkt bekommen hatte. »Von wem ist die?«, hakte er nach. »Die habe ich von meiner Oma bekommen«, log ich und hoffte, dass ich möglichst gelangweilt dabei aussah. Er trank einen kräftigen Schluck Bier, sagte nur »aha« und stand auf. Den restlichen Abend sah ich ihn nicht mehr, denn er hatte die Party verlassen und sich nicht mal verabschiedet. Er hatte mir nicht geglaubt. Das wusste ich. Jonas kannte mich einfach zu gut und ich war eine miserable Lügnerin. Ich musste auf jeden Fall nochmal mit ihm reden. Schließlich ging ihn das eigentlich auch gar nichts an, dachte ich trotzig und gesellte mich zu den Tanzenden. Das letzte Mal sah ich um 04:03 Uhr auf die Uhr und kurze Zeit später schlief ich ein. 

Erst am frühen Nachmittag erwachte ich und als ich nach unten ging, war von der Party nichts mehr zu sehen. Alles war aufgeräumt und die Möbel wieder am ursprünglichen Platz. »Warum habt ihr mich nicht geweckt? Ich hätte doch geholfen«, stöhnte ich und fühlte mich schlecht, denn schließlich waren auch meine Freunde hier gewesen. »Alles gut, Liebling«, sagte mein Papa und grinste mich an. »Wirklich.«

Den restlichen Tag verbrachte ich zum größten Teil im Bett. Morgen würde die Schule wieder losgehen und meine Motivation hielt sich in Grenzen. Es ging so langsam auf die Prüfungen zu und ich hatte mich noch immer nicht für einen Studiengang entschieden. Eigentlich wollte ich in einem anderen Bundesland studieren, aber dann kam Lotta in mein Leben. Das hatte meine Sichtweise verändert. Ich wollte nicht von ihr getrennt sein. Das würde ich nicht über mein Herz bringen. Vor allem, weil wir uns in einigen Monaten nicht mehr verstecken mussten. Der Gedanke daran ließ mich lächeln. Was für eine herrliche Vorstellung, dachte ich und angelte mir mein Handy vom Nachtschrank. Ich öffnete unseren Chat und schickte ihr folgende Nachricht: »Ich will, dass du ein Teil meines Lebens bleibst. Jetzt. In acht Wochen. In einem Jahr. Für immer.« Kurze Zeit später kam ihre Antwort. »Da hast du aber Glück, das will ich nämlich auch.«

Unknown. || gxgWhere stories live. Discover now