Kapitel 34

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»Was meinen Sie damit?«, fragte Lotta fassungslos. »Sie waren schwanger. Wussten Sie das etwa nicht?«, fragte Dr. Habicht erstaunt. Sie schüttelte wild den Kopf. Mir wurde übel. Ich konnte den Gedanken nicht ertragen, dass Lotta von diesem kranken Typen ein Baby erwartet hätte. Es wollte nicht in meinen Kopf gehen. Ich musste schlucken. Völlig in Gedanken versunken ließ ich ihre Hand los. Sie griff erneut danach, aber ich konnte es nicht zulassen. Ihre Nähe tat mir weh. »Tut mir leid«, flüsterte ich heiser und verließ fluchtartig das Zimmer. Ich hörte Lotta noch meinen Namen rufen, aber ich hielt es kaum eine Sekunde länger bei ihr aus. Es nahm mir die Luft zum Atmen. Ich rannte die Gänge entlang zurück in mein Zimmer. Was sollte ich tun? Meine Eltern waren nicht zu sehen. Ich schnappte mir meine Sachen, zog sie schnell über und lief die Treppe nach unten zum Ausgang. 

Ich verfluchte mich selbst dafür, dass ich sie in dieser schwierigen Situation alleine gelassen hatte. Aber sie musste mich auch verstehen, für mich war das auch nicht einfach. Der Schock saß tief. Es war bereits dunkel. Was hatte meine Mama gesagt? Zwei Tage hatte ich geschlafen? Also war heute Freitag. Wohin sollte ich? Was sollte ich tun? Wer konnte mir helfen? Zu viele Fragen, auf die ich keine Antwort hatte. Nach Hause konnte ich nicht, denn meine Eltern würden mich wieder zurück ins Krankenhaus bringen. Zu Kati? Nein, da würden meine Eltern zuerst nachfragen. Ich hatte nicht mal mein Handy dabei. Ich wusste ja nicht mal, ob es überhaupt noch funktionierte. Dann sah ich sie. Meine Lieblingsbar. Ich steuerte direkt darauf zu, aber dann fiel mir ein, dass ich kein Geld dabei hatte. Vielleicht hatte ich Glück und Robert hatte Dienst. Er kellnerte dort und wir kannten uns relativ gut, bei ihm hatte ich schon des Öfteren etwas anschreiben lassen. Ich öffnete die Tür, die mir unendlich schwer vor kam und tatsächlich; ich hatte Glück.

Als er mich sah, lächelte er mich an. »Hey, kann ich was anschreiben lassen?«, fragte ich ihn leise, damit die anderen Gäste es nicht hörten. Etwas misstrauisch sah er mich an, aber antwortete dann: »Klar, weißt du doch. Aber sag mal, ist alles in Ordnung bei dir?« Ich nickte und bestellte mir einen Drink. Dann noch einen und noch einen. »Ich glaube, du hast für heute genug«, stellte Robert nüchtern fest. »Das glaube ich nicht«, erwiderte ich lallend. In meinem Kopf drehte sich alles. Ich bekam schlecht Luft und torkelte letztendlich doch nach draußen. Es war sehr kalt und ich hatte keine Jacke dabei. Ich hatte so großes Gefühlschaos. Was wäre, wenn er uns nicht angefahren hätte? Hätte sie das Kind behalten? Was wäre mit unserer Beziehung gewesen? An einer Kreuzung blieb ich stehen. Der Alkohol vernebelte meine Sinne, aber ich war noch klar genug, um den Weg nach Hause zu finden. Schon wieder benahm ich mich absolut kindisch. Was war nur in mich gefahren?

Ich fasste einen Entschluss. Morgen würde ich bei Lotta vorbeischauen und mich aufrichtig bei ihr entschuldigen, aber nun musste ich erstmal wieder ausnüchtern. Plötzlich wurde mir richtig übel, ich blieb stehen und übergab mich über einem Busch. Dann lief ich weiter und erreichte endlich mein Zuhause. Im Wohnzimmer brannte noch Licht. Ich klopfte und binnen weniger Sekunden wurde die Tür aufgerissen. »Anke, sie ist es!«, rief mein Papa und schloss mich in seine Arme. »Gott sei Dank geht es dir gut.« Ich fing bitterlich an zu weinen. Er zog mich mit ins warme Wohnzimmer und ich sah den erleichterten Blick meiner Mama durch meinen Tränenschleier. »Hey, alles ist gut«, versuchten mich beide zu beruhigen und ganz allmählich klappte es auch. Wir setzten uns. »Wir haben gehört, was passiert ist. Möchtest du darüber reden?«, fragte meine Mama vorsichtig. Ich schüttelte bloß den Kopf. »Ich möchte jetzt am liebsten einfach nur ins Bett, wenn das in Ordnung ist. Ich habe mich heute total daneben benommen, morgen werde ich zu Lotta ins Krankenhaus fahren.« Dann ging ich hoch in mein Zimmer und schlief sofort ein. Alkohol und Medikamente waren wohl keine gute Zusammenstellung.

Mit starken Kopfschmerzen wurde ich am nächsten Morgen wach. Ich hatte es nicht anders verdient, dachte ich, fasste mir an die Schläfen und massierte diese ein wenig. Ich war noch immer völlig durchgefroren und die Erinnerungen nach dem Krankenhaus sickerten nur langsam zu mir durch. Der Blick auf die Uhr verriet mir, dass es bereits fast Mittag war. Wenn ich nur an Essen dachte, rebellierte mein Magen. Aber duschen musste ich ganz dringend, denn ich roch wie eine Schnapsfabrik und meine Haare klebten.

Nachdem dies erledigt war, ging ich nach unten. Meine Eltern waren natürlich schon wach und sahen mich besorgt an. Mein Papa räusperte sich. »Wir glauben, es wäre besser, wenn du heute zu Hause bleibst und nicht zu Lotta fährst.« Entgeistert schaute ich ihn an. »Ist das dein Ernst?« Er nickte nur. »Du hast genug durchgemacht, finden wir. Das ist eine Sache, die sie vielleicht selbst erst klären muss«, meinte er knapp. »Sie ist meine Freundin! Denkst du, ich lasse sie einfach so im Stich?«, erwiderte ich wütend und meine Augen füllten sich mit Tränen. »Ich liebe sie und will für sie da sein, versteht ihr das denn nicht?« Plötzlich wurden seine Gesichtszüge wieder weicher und wärmer. »Doch, natürlich verstehen wir das. Aber du bist unsere Tochter. Wir wollen nur, dass es dir gut geht.« Ich wollte mich nicht weiter damit auseinandersetzen, deshalb fragte ich: »Kannst du mich bitte ins Krankenhaus fahren? Ich sollte mich wohl noch nicht hinter das Steuer setzen.« Er nickte mit dem Wissen, dass diese Diskussion unnötig war für mich. »Ja. Ja, natürlich.« Dann machten wir uns auf den Weg und er hielt auf dem Parkplatz an. »Du musst nicht warten, ich komme nachher schon alleine nach Hause.« Mit gemischten Gefühlen sah er mich an. »Sicher?« Ich stieg aus und bevor ich die Tür zuschlagen konnte, erwiderte ich: »Sicher.«

Ihr Zimmer fand ich natürlich auf Anhieb. Einige Zeit blieb ich vor der geschlossenen Tür stehen und fragte mich, was ich sagen sollte. Mir fielen keine passenden Worte ein, deshalb klopfte ich und ein leises »ja« wurde gerufen. Lotta sah schlecht aus. Nicht, weil sie vor Kurzem einen Autounfall hatte, sondern ihre letzte Nacht anscheinend sehr lang war. Wir blickten uns beide in die Augen. Ich stand wie angewurzelt auf diesem hässlichen Krankenhausfußboden und konnte nichts sagen. Keine Worte der Welt hätten gereicht, um ihr klarzumachen, wie sehr es mich beschäftigte. Dann stand sie langsam auf und kam auf mich zu. Auch ich konnte mich nun endlich wieder bewegen. Es war, als würden wir uns beide magnetisch anziehen.

»Lotta, es tut mir so schrecklich leid. Ich mache mir so heftige Vorwürfe. Ich war komplett überfordert mit der Situation, ich.. ich weiß auch nicht. Warum muss das mit uns nur so kompliziert sein?« Sie sagte nichts, nahm mich nur in ihre Arme. »Wenn ich das wüsste«, seufzte sie nach einer langen Pause. Dann lösten wir uns voneinander. »Kannst du mir das verzeihen?«, fragte ich und mein Puls beschleunigte sich, weil ich Angst vor der Antwort hatte. »Mensch, Elli. Natürlich kann ich das. Ich lag die ganze letzte Nacht wach und habe nachgedacht. Es ist doch völlig verständlich, dass das ein riesiger Schock war. Nicht nur für dich, auch für mich. Ich wusste nichts von der Schwangerschaft, wir haben immer verhütet. Dr. Habicht hat mir gesagt, wer der Fahrer war.« Traurigkeit und gleichzeitig Grimmigkeit zeichneten sich in ihrem Gesicht ab. Sie musste schlucken. Man sah ihr an, dass die Wunden noch frisch waren. So ein einschneidendes Erlebnis vergaß man nicht von heute auf morgen. »Ich kann gar nicht glauben, dass ich schwanger war und noch dazu von Tom.« Ihre Stimme war brüchig. »Hättest du das Baby behalten?«, fragte ich vorsichtig. Wieder diese unerträgliche Stille, die mich verrückt machte. »Ich weiß es nicht«, flüsterte sie. Dann fingen wir beide an zu weinen. 

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