Kapitel 28- Das Gehemnis um Alec

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Scars Sicht: Es war kalt, endgültig Dezember, und die Heizung war allem Anschein nach schon wieder kaputt.
Jedenfalls war es in unserem Zimmer kein bisschen wärmer, seit ich sie heute morgen beim Aufstehen, vor 8 Stunden, auf höchste Stufe gestellt hatte.
Fröstelnd nahm ich meine volle Teetasse vom Schreibtisch und nutzte sie als Handwärmer. Ob Alec auch Heizungen repartieren konnte? Das was Tanner neulich gemacht hatte hatte jedenfalls nicht lange gehalten.
Im Fernsehen redeten sie von einer Unwetterwarnung, die ganz Conneticut betraf, hatte Emma mir heute Morgen erzählt, und die ganze Zeit hatte es geschüttet wie aus Kübeln.
Da waren mir die Schneeflocken von gestern eindeutig lieber.

Glücklich darüber, dass ich heute wenigstens keine weiteren Kurse hatte, und es mir daher erstmal in meinem Zimmer gemütlich machen könnte (Emma wollte nachher vorbei kommen, und vielleicht würde ich am Abend etwas mit Alec unternehmen aber bis dahin hatte ich ein paar Stunden für mich.)

Irgendwo mussten wir doch noch eine Extra-Decke haben? Oder kuschelige Socken? V hatte bestimmt kuschelige Socken...

Ich öffnete die unterste Schublade ihrer Kommode.
Fehlanzeige, das waren alte Zeitschriften.
Die Zweitunterste vielleicht?
Oh, Kerzen.
Eine ganze Zivilisation von Duftkerzen befand sich in dieser Schublade!
Und fast alle rochen nach... Waschmittel?
Mir viel wieder ein, dass V schon immer ein Faible für Duftkerzen gehabt hatte.
Vielleicht könnte ich ja damit Wärme erzeugen? Oder falls nicht würde es wenigstens angenehm riechen.
Ich nahm mir also probehalber eine der weißen Kerzen heraus und zündete sie an, bevor ich mich weiter auf die Suche nach Socken machte.
In der dritten Schublade waren Uni-Utensilien, in der vierten Schminke und in der fünften hatte ich die Hoffnung auf Vs Kuschelsocken aufgegeben, da ich von der obersten bereits wusste dass sie Snacks enthielt.

Ich hatte recht: statt Socken enthielt die zweitoberste Fotos.
Ich runzelte die Stirn. Die Bilder flogen völlig lose in der Schublade herum, anstatt ordentlich in einer Mappe oder einem Umschlag zu sein, aber das war nicht das irritierende an ihnen.
Das irritierende war die V, die darauf zu sehen war.
Ihre Haare waren in einem kurzen, unordentlichen Bob gehalten, wodurch sie lockiger waren als normalerweise, sie trug eine schwarze Jeans mit Löchern an den Knien, ein rot-schwarz-kariertes Flanellhemd und klassische schwarze DocMartens.
Auf ihren sonst höchstens mit Wimperntusche geschminkten Augen hatte sie Eyeliner aufgetragen, und irgendwie sah sie müde aus.
Hatte V eine Punk Phase gehabt? Hatte ich besagte Punk Phase verpasst? Was waren diese Bilder?

Irgendwo in mir gab es eine leise Stimme die sagte, dass diese Fotos vermutlich privat waren, mich nichts angingen, dass ich sie in der Schublade lassen und die Schublade schließen sollte. Vs Kerzen anzuzünden während sie weg war war eine ganz andere Sache als durch ihre Fotos zu gucken, die sie mir nie gezeigt hatte.
Wie das Engelchen auf der Schulter in einem Comic, ganz nach Sigmund Freuds Über-Ich.
Aber V war meine beste Freundin seit ewigen Zeiten - was könnte sie vor mir schon für Geheimnisse haben?

Ich hörte also auf das imaginäre Teufelchen und holte den Stapel Fotos heraus.
Auf dem nächsten Bild konnte man den Hintergrund erkennen, und da wurde es mir klar. Das waren Fotos aus London.
Das hätte mir eigentlich gleich einfallen können.
Mit einem merkwürdigen Gefühl im Bauch sah ich das nächste Foto an.
Es war von einer Straße, mit vielen Läden und bunt verzierten alten Häuserwänden darüber. Camden. Da wollte ich unbedingt hin, wenn ich irgendwann mal nach London kam. Aber mit Alec vielleicht schon bald?

Es folgten mehr Fotos von V, und ich hatte mich immer noch nicht wirklich an ihre Erscheinung gewöhnt. Normalerweise trug sie weniger extreme Farben, wo war das weinrot und dunkelblau geblieben? Vielleicht hatte sie zu ihrer Zeit in England einfach Veränderung gebraucht...

Erst nach 3 weiteren Fotos aus verschiedenen Winkeln von V in Camden stellte sich mir die Frage, wer die Bilder eigentlich gemacht hatte.
Wenn ich im Nachhinein an das dachte, was V mir am Telefon erzählt hatte, während sie in England war, hatte ich bis jetzt gedacht, da sei kaum etwas wahres dran gewesen, abgesehen davon, dass sie in ihrer ausgedachten Version ein Mädchen namens Clara im Internat kennengelernt und sich mit ihr angefreundet hatte, welches sich nach der Nacht, in der V mir die Wahrheit gesagt hatte, natürlich sofort als Claire herausgestellt hatte.
Hatte Claire die Fotos gemacht? Wieso hatte die CIA es überhaupt erlaubt, dass V und möglicherweise Claire das Gelände verlassen und durch Camden spazieren?
Ich hatte so viele Fragen, ich hoffe inständig auf Antworten in den weiteren Fotos.
Häuser, fremde Menschen, V von hinten, oh eine DocMartens Dekoration, V im Profil, Alec.

Alec???
Ohne Zweifel, das war er.
Die unordentlichen schwarzen Haare trug er hier etwas kürzer, statt seinem Mantel eine Lederjacke und seine Haut war nicht ganz so blass wie ich sie kannte, aber es war unverkennbar.
Das mir nur zu gut bekannte verführerische Lächeln, was bis zu seinen Augen reichte blickte mich aus dem Foto heraus an.

London, eine Stadt mit was, 8 bis 9 Millionen Menschen - und Alec hatte V kennengelernt in dem einen Jahr, was sie dort verbracht hatte? Und jetzt war er hier in Yale? Das konnte doch kein Zufall sein? Aber wieso hatte er nie reagiert wenn ich von V erzählt hatte?

Hektisch blätterte ich die Fotos durch, als könnten sie mir eine Erklärung geben, aber das nächste Bild, auf dem Alec zu sehen war, warf nur noch mehr Fragen auf. Denn nicht nur Alec war darauf zu sehen - auch V.
Die beiden hatten vermutlich einen Fremden gebeten, ein Foto von Ihnen zu machen, damit sie auch zu zweit auf einem drauf waren.
Zu zweit...
Alec hatte den Arm um V gelegt, und sie, etwas kleiner als er, lachte glücklich zu ihm hin.
Die beiden waren sich nah gewesen, sehr nah. Nicht Freunde-nah, nicht wie Tanner und ich... nein, die beiden waren ein Liebespaar gewesen.
Geschockt ließ ich die Fotos sinken.
Mein Gehirn konnte nicht begreifen, was ich gesehen hatte, konnte die Puzzleteile zu keiner schlüssigen Erklärung zusammensetzen.
Warum hatte V nicht reagiert als ich ihr von Alec erzählt hatte?
Obwohl... hatte ich das überhaupt?
Naja... Scalec hatte ich jedenfalls erwähnt heute.
Aber noch viel sonderbarer war, dass Alec nie etwas gesagt hatte. Vielleicht gab es mehrere Menschen mit dem Spitznamen V und er war nicht auf die Idee gekommen, dass ich von der V gesprochen hatte, mit der er mal zusammen gewesen war? Vielleicht hatte er einen Zwillingsbruder? Von dem... er auch nie erzählt hatte?
Völlig verwirrt eilten meine Finger über mein Handy und wählten Vs Nummer.
Sie musste mir das jetzt erklären.
Das Freizeichen ertönte, ertönte nochmal, ertönte nochmal... niemand ging ran. Wahrscheinlich war sie mit Tanner irgendwo, sie hatte ja gesagt, sie müsse jetzt los.
Als ich ihre Stimme letztendlich als Anrufbeantworter zu hören bekam, beschloss ich, nichts draufzusprechen, sondern es später noch einmal zu versuchen.
Dann redete ich halt zuerst mit Alec.
Eine Viertelstunde später stand ich ihm in der Bibliothek gegenüber und hielt das Foto kommentarlos vor seine Nase.
Ich hatte ihm eine kurze SMS mit dem Inhalt 'Bibliothek, in 15 Minuten. Wir müssen reden.' geschrieben, und jetzt müsste vor allem er reden.
"Eine Erklärung wäre nett.", war alles was ich ihm sagte, mehr war nicht nötig, denn die Überraschung und der Schock auf seinem Gesicht sagten alles.
"Scarlett, woher--?"
"Es spielt keine Rolle. Warum hast du mir nichts gesagt?"
Er blickte mich sprachlos an, und ich glaubte, einen Hauch von Entsetzen in seinen Augen zu sehen.
"Du warst mit meiner besten Freundin zusammen, V. Und du hast es nie für nötig gehalten, das zu erwähnen? Bist du wegen ihr hier? Willst du sie zurück und hast nur was mit ihr angefangen um an sie ranzukommen?"
Überhaupt, wie konnte V in ihrer CIA Zeit mit einem Typen zusammen gewesen sein? Das Foto sah aus wie ein unbeschwertes Urlaubsfoto und ich verfluchte erneut, wie wenig ich über den wahren Verlauf des letzten Jahres wusste.
Alec schien einen Satz formen zu wollen, aber sich nicht ganz daran zu erinnern, wie das funktionierte.
"Scarlett---"
"Was, Alec?"
"Es ist nicht so wie du denkst."
Ich zog herausfordernd die Augenbrauen hoch.
"V und ich waren zusammen, ja. Aber... es hat nicht gut geendet zwischen uns."
Nicht gut geendet?
"Was soll das heißen?", harkte ich skeptisch nach.
"Wir haben... einfach nicht zusammengepasst. Es gibt nicht gerade angenehme Erinnerungen über sie, deswegen habe ich so getan, als würde ich sie nicht kennen, wenn du von ihr erzählt hast."
Nicht gerade angenehme Erinnerungen? Ich fragte mich, ob es zu privat wäre, noch weiter nachzufragen. Vermutlich schon... aber das war alles reichlich kryptisch.
Am besten, ich würde mich V später darüber reden.
"Und dass ich hier in Yale bin hat wirklich nicht im mindesten mit ihr zu tun. Ich habe schon lange vorgehabt, ein Auslandssemester hier zu machen. Und was das zwischen uns betrifft", er kam auf mich zu und gab mir einen leichten Kuss auf die Wange, woraufhin mein Körper sich verkrampfte, "das kannst du dir hoffentlich denken."
Ich atmete tief aus und ging einen Schritt zur Seite.
Er würde mich nicht einfach mit einem Kuss ruhig stellen können bei solch einer wichtigen Angelegenheit.
"Aber Alec, V ist meine beste Freundin und was immer zwischen euch vorgefallen ist, ist nicht meine Sache. Du wirst sie ab und an sehen, das ist unvermeidlich. Und solltest du damit aus welchen Gründen auch immer nicht klarkommen, kann das mit uns nicht funktionieren."
Ich knetete mit den Händen an den Ecken des Fotos herum, ließ es von einer Hand in die andere wandern, in nervöser Erwartung auf seine Antwort.
"Scarlett, das ist doch völlig selbstverständlich! Von meiner Seite aus wird es da keine Probleme geben, das verspreche ich dir."
Und damit streckte er seine Hand aus, als wolle er darauf schwören.
Von seiner Seite aus?
Und was war mit Vs Seite?
"Okay.", antwortete ich schließlich und nahm seine Hand.
Als nächstes würde ich dann doch erstmal rausfinden, was V dazu zu sagen hatte.

Vertraut ihr Alec noch und ward ihr überrascht?

Bis sie stirbt Where stories live. Discover now