HATE ME

37 - Cassie

Ich bemerke nur am Rand, dass alle klatschen und Lucy wie wild brüllt.
Mein Blick liegt auf Leo, der mich genauso dämlich angrinst, wie ich ihn angrinse und auf mich zukommt, um mich - heute schon zum zweiten Mal - herunter zu heben.

Er legt seine Hände um meine Hüfte und holt mich von der Bühne als würde ich nichts wiegen, doch er lässt mich nicht los. Selbst als meine Füße schon den Boden berühren, zieht er mich nur noch enger an sich.
Unter all dem Gebrülle (die Leute haben wohl jetzt gemerkt, dass ich von Leo gesungen habe) höre ich kaum, was er sagt. "Dito."
Ich muss grinsen, noch mehr als sowieso schon.

"So leicht kommst du nicht davon, Leo. Du musst es schon sagen."
Er lässt ein ganz kleines bisschen von mir ab, nur soweit, dass ich ihm ins Gesicht sehen kann.
Er lächelt, aber dann wird sein Blick ernst.
"Ich bin verliebt in dich, Cassie. Du machst mich absolut wahnsinnig."
Ich muss lachen. "Dito" gebe ich zurück und er küsst mich.

Ich übertreibe hier nicht: die Menge eskaliert. Ich höre Klatschen, Jubel und entsetztes Kreischen. Letzteres vermutlich von all jenen Frauen, die in nächster Zeit mit Leo ins Bett wollten.

"Ladies und Gentleman, ich präsentiere: zwei, die es nach mehr als einem Monat endlich geschafft haben, sich ihre Gefühle füreinander einzugestehen. Glückwunsch."
Wir werfen Cole einen Musste-das-sein-Blick zu, aber er redet schon weiter.
"Und als nächstes singt Tiffany. Naja, versuch lieber gar nicht, Cassie's Performance zu übertrumpfen, Tiff."

Alle starren uns an. Das ist keine Übertreibung: alle.
Und was mich daran wirklich schockt, ist; es ist mir vollkommen egal.
Alles woran ich denken kann, ist Leo. Die Art, wie er gerade seine Arme um mich legt und sein Atem an meinem Hals.
"Ich bin so verliebt in dich, verdammte Scheiße."
"Wow, sehr romantisch" lache ich.
"Ich versuche gar nicht, romantisch zu sein."
"Das würde dir auch nicht stehen."

Ich ziehe die Nase kraus bei dem Gedanken an Leo mit glatt gegelten Haaren und Rosen in der Hand. Ich hasse Rosen.
Nein, es ist mir lieber, ist bleibt genau so, wie er ist.
"Wir müssen schnell hier weg, denn ich habe vor, dich um den Verstand zu küssen."
Ich denke wieder daran, dass er aber fahren muss und ärgere mich zum ersten Mal, dass meine Freunde hier sind. Und seine.

Urplötzlich steht Jess neben uns.
"Ich fahre die anderen. Ich habe eh noch nichts getrunken und Cole meint, er hat seinen Wagen hier. Geht ihr nach Hause."
Sie zwinkert uns zu. Jess ist eben eine verdammt gute Freundin.
"Danke!" sage ich und nehme sie kurz in den Arm. Ich sehe mich um und will Lu und Anne zum Abschied winken, aber Lucy steht grinsend bei Noah und Anne scheint mit Alex zu streiten ... na klasse.
Bevor wir den Bahnhof verlassen, verbeuge ich mich kurz und grinse diejenigen an, die mich oder uns noch immer anstarren.
Dann verschwinden wir.

Auf dem Weg zu Leo's Haus müssen wir praktisch durch die komplette Stadt fahren. Ich kann die ganze Zeit über meinen Blick nicht von ihm lösen.
"Wenn du mich weiterhin so anstarrst, muss ich gleich rechts ran fahren, Prinzessin" stößt er hervor.
Ich würde ja, aber ich kann nicht und ich will nicht.
Dieser Junge mag mich. Mich!
Obwohl  ich total durchgedreht und schonungslos ehrlich zu ihm bin und außerdem fast meine eigene Schwester umgebracht hätte.

Er kennt mich so gut und er mag mich trotzdem. Wie kann das sein, hm?
Jungs stehen normalerweise nicht auf ehrliche Mädchen. Sie wollen hübsche kleine Lügnerinnen, die sie nach dem bedeutungslosen Sex im Zimmer ihrer Eltern direkt wieder vergessen. Leo war auch so. Ich weiß das ganz genau, weil ich vier Jahre lang mit ihm in eine Klasse gegangen bin.
Aber in all der Zeit haben wir kaum ein Wort miteinander gewechselt und wenn doch, dann haben wir uns bloß angefaucht.

Und heute Abend stand ich vor ihm und habe für ihn gesungen (was ich normalerweise nie mache. Ich singe prinzipiell nur unter der Dusche. Eigentlich). Ich habe ihm gesagt, dass ich mich in ihn verliebt habe und er empfindet das gleiche für mich.