1 - Cassie

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"Scheiß auf Kerle!"
Lucy steht auf dem Bett, die nackten Füße gefährlich nah an der Kante in Anbetracht der Tatsache, dass sie schon ein bisschen wankt.
Meine rothaarige Freundin hält die mit einer Mischung aus Captain Morgan und Cola gefüllte Flasche in die Luft als wäre sie ein Prophet.
Anne prostet ihr zu, Jess seufzt resigniert.
"Wir brauchen keine Kerle!"
"Nein!"
"Und wen wir ganz besonders nicht brauchen, das ist ..."
Es wird gefährlich ruhig und schaue in den kleinen Spiegel des Kosmetikschranks, um festzustellen, dass alle Blicke auf mir liegen.
Ich ziehe meinen Lidstrich fertig, erhebe mich von dem Hocker und hebe nun ebenfalls meinen Becher, der mit Wodka und 7UP so gutgefüllt ist, dass er beinahe überschwappt. Auch ich habe diesen Becher heute Abend bereits einige Male nachgefüllt, wie mir ins Gedächtnis gerufen wird, als der Raum ein wenig wankt.

Ich versuche mich an einem Schulterzucken, grinse und ergänze ihren Satz.
"Pete".
"Ganz genau, Süße. Los. Sag es!" fordert mich Lucy auf. Anne gibt Geräusche von sich, die mich vielleicht motivieren sollen, die allerdings eher nach einem hungrigen Tier klingen.
Ich seufze und kann es mir nicht verkneifen, die Augen zu verdrehen, bevor ich dann sage: "Scheiß auf Pete!"
Und alle brüllen "Scheiß auf Pete!" Selbst Jess.
Damit war's das für Pete. Nach diesem kurzen Intermezzo in Lucy's Zimmer wird in unserer Gruppe nie mehr ein Wort über ihn fallen - ein Ritual, dass sich über die Jahre eingeschlichen und sich als sehr wirkungsvoll erwiesen hat. Hauptsächlich geht es dabei allerdings nicht um meine Verflossenen.  Aber heute ist eine Ausnahme. Und Pete hat es verdient, dass wir auf sein Abdanken trinken.

Lucy springt von ihrem Bett und grinst.
"Also dann, meine Lieben - Zeit, die Stadt unsicher zu machen."
Die Stadt unsicher machen? Mein Gott, es wird Zeit, dass du Filme aus diesem Jahrzehnt schaust."
Lucy bedenkt Anne einen genervten Blick, die aus einer Flasche trinkt, welche zweifellos keine alkoholfreien Substanzen enthält.
Ich schnüre meine pinken Chucks zu, stecke das Handy zu dem Flachmann und meinen restlichen Party-Utensilien in meine Handtasche und stehe auf.
Das Kleid, das ich heute trage, ragt um mich herum auf. Es ist mit Tüll gestützt und für meine Verhältnisse ziemlich kurz. Aber es schien mir doch angemessen für diesen Abend - abgesehen davon trage ich immer eine kurze Sporthose unter all meinen Kleidern - nur für den Fall.

Wir klettern aus dem Fenster, alle nacheinander. Nicht dass wir das müssten: wenn Lucy's Eltern überhaupt mal zu Hause sind, interessiert es sie reichlich wenig, was ihre Tochter treibt.
Dazu kommt noch, dass wir vor kurzem unseren Schulabschluss gemacht haben und seither ohnehin kaum jemand danach fragt, wie wir unsere Zeit verbringen.
Aus Lucy's Fenster in die Dunkelheit und die bevorstehende Partynacht zu klettern ist allerdings auch so ein Ritual, von dem wir uns nicht trennen können.

Wir landen nacheinander im Gras, wohl darauf bedacht, unsere Getränke nicht zu verschütten.
"Wie lange brauchen die Jungs noch?" fragt Jess, die immer friert. Egal ob es Mitte Januar ist oder Mitte Juli. Schon hat sie die Arme um ihren Oberkörper geschlungen. Dabei trägt sie bereits eine lange Hose und eine Strickjacke über ihrem Top. Jess sieht immer perfekt aus, egal, wann man sie trifft.
Würde man sie um halb vier Uhr nachts aus dem Schlaf reißen, würde sie vermutlich trotzdem aussehen als wäre sie bereit für ein Cover-Shooting. Sie hat einfach diese natürliche Schönheit.
Gleichzeitig ist sie die Introvertierte in unserer Gruppe. Jess interessiert sich für Menschen - dafür wie sie funktionieren, was sie denken und fühlen... aber sie beobachtet sie lieber als ein Teil der Geschichte zu sein.

Anne schaut auf ihre Uhr. "Kurz nach elf."
"Wen hast du dir denn heute bestellt, Lu?" frage ich grinsend.
Sie lacht. "Oh, ihr werdet euch umschauen. Ich hab uns die beste Partybegleitung organisiert, die zu finden war."
Ich halte nichts von Partybegleitungen und sie weiß es. Trotzdem lädt sie dauernd irgendwelche Typen ein, unter dem Vorwand, Jess - oder mich - verkuppeln zu wollen. Stattdessen sucht sie sich am Anfang des Abends den bestaussehenden Kerl aus und hat keine Augen mehr für uns.
Obwohl sie immer wieder gerne die Scheiß-auf-Männer-Ansprache hält, ist sie diejenige, die sich nur allzu gerne von einem hübschen Gesicht um den Finger wickeln lässt. Nicht zu selten ist sie selbst diejenige, die um den Finger wickelt.
Abgesehen davon ist Lucy mit Abstand diejenige, der es am meisten darauf ankommt, was andere von ihr halten. Sie hat diese Illusion von als ikonische Mädels-Gruppe, zu der alle aufschauen. Der Wahrheit entspricht das definitiv nicht, aber wir lassen sie in dem Glauben - auch wenn das bedeutet, ständig in der Gesellschaft von Menschen zu sein, die sie als Sozialstatus-Fahrstuhl ins Dachgeschoss betrachtet. Und ich kann es wirklich kaum erwarten herauszufinden, mit wem wir heute die Ehre haben.

HATE METahanan ng mga kuwento. Tumuklas ngayon