31 - Cassie

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"Glaubst du, es ist wichtig, was zwischen uns ist?" Leo sieht mich zweifelnd an und von einem Moment auf den anderen fällt jegliche Last von meinen Schultern.
Ich weiß, dass ich mit ihm reden kann.
Ich weiß, dass er mich besser kennt als die meisten anderen.
Er ist hier. Alles ist gut.

"Natürlich ist es wichtig, du Arsch" bringe ich hervor und muss lächeln.
Das haben wir es. Der dramatische Moment ist vorbei. Wir können einfach wieder wir selbst sein.
Leo zieht eine Augenbraue hoch.
"Die ganzen Bücher, die ich gelesen habe ... sie haben alle diesen Moment, wo der Kerl sagt Es ist doch egal, wie wir es nennen. Wir müssen uns nicht in eine Schublade stecken lassen. Aber ich sage dir jetzt mal, wie es wirklich ist. Ich will auch keine verdammte Schublade, ich nehme gerne den kompletten Schrank. Aber ich lasse mich nicht auf irgend so 'ne Lari-Fari Wir vögeln halt so rum und legen uns auf nichts fest - Nummer ein."

Leo sieht mich erstaunt an und ich kann selbst nicht fassen, dass die Worte meinen Mund verlassen.

"Ich hatte das jetzt lange genug, okay? Ich hab geglaubt, du wärst einfach irgendein Arsch wie jeder andere. Dass ich mich mit dir ablenken könnte und weiter nichts. Aber so einfach ist das nicht. Ich mag dich. Auch wenn ich nicht weiß, wie das passiert ist oder was zur Hölle mit mir los ist, aber ich mag dich. Und ich denke ... ich denke, ich komme nicht damit klar, wenn du mit anderen Mädchen schläfst. Wenn du das willst - okay, tu es. Aber dann müssen wir das hier beenden."
Ich mache eine vage Bewegung zwischen uns und starre in ein fassungsloses Gesicht.

"Warum können Frauen nicht immer so schonungslos ehrlich sein?"
Ich zucke die Schultern.
Okay, ich habe also alles gesagt, was mir so durch den Kopf ging. Das war nicht alles, was ich zu sagen habe, aber immerhin schon mal ein Teil.
Jetzt werden wir sehen, was Leo damit anfängt.

"Nur um das klarzustellen: Ich habe mit keinem anderen Mädchen geschlafen seit ich was mit dir habe."
"Okay, und ich erwarte ja auch gar nicht von dir, dass du dich nicht mehr mit anderen triffst, aber- Moment. Was?"
Habe ich mich da gerade verhört?

"Es ist die Wahrheit. Du bist die einzige, mit der ich schlafe. Seit einem Monat."
"Aber du hast doch-"
"Habe ich dich jemals angelogen?"
Ich habe ihm diese Frage gestern selbst gestellt und er musste sie genauso beantworten wie ich jetzt: "Nein, nie."

Leo nickt zufrieden. "Siehst du? Demnach kannst du darauf vertrauen, dass ich dich auch in dieser Sache nicht anlüge."

Mein Gehirn arbeitet langsam.
Leo Johnson. Der Leo Johnson, der eigenen Angaben zufolge mit fast zweihundert Mädchen geschlafen hat, will mir ernsthaft erzählen, ich bin die Einzige - die Einzige -, mit der er im letzten Monat Sex hatte?
Niemand anderes?
Keine anderen Mädchen?
Nichts?

"Was ist mit den ganzen Partys?" frage ich verwirrt.
"Was soll damit sein? Dass ich feiern gehe heißt nicht, dass ich irgendein Mädchen vögeln muss."
Ich denke an unser Gespräch in Alex' Auto zurück und ziehe die Augenbrauen hoch.

"Okay, ja, wahrscheinlich hast du recht. Aber es ist die Wahrheit. Ich hab nicht mal eine andere geküsst. Das ist ..."
"Unrealistisch" werfe ich ein.
"Ein echter Rekord" sagt er und sieht mich mit zusammen gekniffenen Augen an.

"Warum?"
Leo sieht mich an, als hätte ich ihn gefragt, warum der Mond leuchtet also stelle ich die Frage einfach nochmal.
"Warum hast du mit keinem anderen Mädchen geschlafen? Oder nicht mal ein anderes Mädchen geküsst? Wir haben nie gesagt, dass das verboten wäre. Es hieß nur: Sobald sich jemand in einen anderen verliebt..."

"Hast du mit einem anderen Kerl geschlafen?"
Leos Augen werden plötzlich noch dunkler als normalerweise und er sieht ziemlich angespannt aus.
Ist er eifersüchtig? Kann doch gar nicht sein oder etwa doch?

"Nein, hab ich nicht" sage ich, grinsend darüber, dass er so aufgewühlt scheint.
"Aber du hast meine Frage nicht beantwortet."

Er fährt sich durch die Haare und fixiert meine Augen. Dann breitet sich auf seinem Gesicht ein Ausdruck aus, der wirkt, als wolle er sagen Das liegt doch auf der Hand.
Ich ziehe wieder fragend die Augenbrauen hoch.

"Du bist nicht meine Freundin" stellt er fest. Ich nicke.
"Aber ich habe noch nie mit einer Frau mehr als einmal geschlafen und, um ehrlich zu sein, kommt das, was wir haben, einer Beziehung am nächsten. Und ich ..."
Plötzlich wirkt er nervös.
Halt, Moment, kurz zurückspulen bitte.
Leo Johnson wirkt nicht nervös! Er ist breiter als ein Türsteher und kann Leute schon mit seinem Gesichtsausdruck die Knochen brechen. Er ist der Mittelpunkt jeder Party. Er bekommt jedes Mädchen. Er ist nie nervös.

Aber jetzt sitzt er direkt vor mir, in meinem Bett, in pult an seiner Nagelhaut herum. Selbst im Mondlicht scheinen seine Bauchmuskeln (er muss die nämlich nicht extra anspannen, damit sie gut aussehen) und seine Haare stehen in alle Richtungen ab. Obwohl er praktisch riesig und furchteinflößend ist, sieht er einfach nur niedlich aus.

Er sieht aus wie der kleine Junge, der er mal war. Ich habe im Wohnzimmer ein Bild von ihm und seiner Familie gesehen. Auf dem Bild sind sie scheinbar auf einem Wanderausflug und Leo ist, schätze ich, sieben oder acht Jahre alt. Er sieht bezaubernd aus und das tut er immer noch.

"Ich halte eine Menge von Ehre und Loyalität und sowas und da dachte ich ... also ich dachte, dass es einfach nicht richtig wäre, mit anderen Mädchen zu schlafen. Und abgesehen davon wollte ich das auch gar nicht."

Den letzten Satz spricht er so schnell und leise aus, dass ich ihn fast überhört hätte, aber er war da. Ich weiß es genau.

Ich habe alle Staffeln Grey's Anatomy gesehen und wie die meisten Fans behaupte ich von mir, im Zweifelsfall einen Bypass legen zu können. Diese Serie zu schauen macht einen praktisch zum Arzt.
Aber ich habe noch nie gehört, dass jemandem das Herz explodiert ist. Dabei bin ich mir ziemlich sicher, dass das gerade passiert.

"Du hast dir Gedanken um meine Gefühle macht, obwohl du mich nicht leiden konntest?" frage ich grinsend.
"Das habe ich nicht-"
"Darauf läuft es aber hinaus. Ehre und Loyalität - ich weiß, dass du so denkst. Aber wem gegenüber bist du denn ehrenhaft und loyal?"
Er sieht mich an. "Dir."
Ich muss lächeln.

Über mein ganzes Gesicht erstreckt sich ein idiotisches Grinsen, das ich nicht kontrollieren kann.

"Okay, also können wir es jetzt sagen, oder reden wir noch weiter um den heißen Brei herum?"
"Sag es" fordere ich ihn auf.
Er seufzt. "Cassie Dawn, ich mag dich mehr als gut für uns beide ist."
Ich lache.
"Ach ja? Woher willst du denn wissen, was gut für mich ist?"
"Oh, Prinzessin, wir sind uns beide darüber im Klaren, dass ich genau weiß, was gut für dich ist."

In mir wird alles warm und beginnt zu kribbeln.
"Jetzt du" sagt Leo.
Ich verdrehe die Augen.
"Okay, okay. Ich mag dich mehr als ursprünglich angenommen und irgendwie macht mich das ganz wahnsinnig."
Da, ich habe es gesagt.

Leo zieht mich in seine Arme und deckt mich zu. Ich atme seinen Geruch ein, so frisch und vertraut und irgendwie ... einfach Leo.
"Und was passiert jetzt?" frage ich leise in den Raum.
"Na, jetzt machen so weiter wie immer, nur mit dem Unterschied, dass wir die Wahrheit kennen und ich dir in der Öffentlichkeit auf den Arsch hauen darf."

Ich verdrehe die Augen, aber ich kann es einfach nicht ändern. Meine Mundwinkel ziehen sich unwillkürlich nach oben.

HATE MEWhere stories live. Discover now