Kapitel 03 ❀ lettre de paris

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ALIÉNOR

„Ein Brief aus Versailles ist heute Nachmittag eingetroffen", sprach meine Mutter und blickte angespannt in die Runde, um unsere Reaktionen wahrzunehmen. Verwundert legte mein Vater sein Silberbesteck zur Seite, und auch ich wechselte einen überraschten Blick mit meinen Geschwistern. „Was ist Versailles, Maman?", wollte meine jüngste Schwester wissen.

„Versailles ist ein großer Palast in der Nähe von Paris. Dort wohnt der mächtigste Mann Europas, der Kaiser von Frankreich mit seinem Hofstaat", erklärte meiner Mutter ihr liebevoll.

„Und der prächtigste Palast noch dazu", brummte mein Vater, dessen Unmut ich erst nicht ganz nachvollziehen konnte. „Wer schreibt uns denn?"

„Das Schreiben ist von meiner lieben Cousine Marie-Thérèse", fuhr sie fort, als ich sie aufgeregt unterbrach: „Von der Kaiserin?" Leicht genervt aufgrund der Unterbrechung ihrer Rede, verdrehte sie ihre Augen.
„Von der Mutter des Kaisers, die ,Madame' von Frankreich, Aliénor", verbesserte sie mich. „Um ihren Sohn Louis-Antoine geht es nun."

Sie warf Brienne einen wohlwollenden Blick zu und biss sich träumerisch auf die Lippe. „Wie ihr alle wisst, ist er schon über 20 Jahre alt und somit schon längst heiratsfähig."

„Komm auf den Punkt, Liebes", forderte mein Vater sie ungeduldig heraus und klopfte mit den Fingern ein paar Mal auf den Tisch.

„Jaja, sei doch nicht immer so ungeduldig", fauchte meine Mutter genervt zurück, wobei ich kurz lächeln musste. Meine Eltern waren so unterschiedlich und ergänzten sich doch so gut. Ihre Heirat hatte damals tatsächlich auch nicht nur aus monarchischen Gründen, sondern da sie sich wirklich liebten stattgefunden. Das war nur selten unter Adeligen der Fall.

„Also... wo war ich? Ach ja, Louis XVII. sucht eine Frau. Und da hat meine Cousine, die bis jetzt noch mächtigste Frau im ganzen Land ist, beschlossen, dass Marie Brienne – unsere Brienne – die Gemahlin meines Neffes werden soll!"
Verwirrt runzelte ich die Stirn und schaute erst zu ihrer ältesten Tochter, die vor Glück nur so strahlte, weiter zu meinem Vater, wessen Augen zu kleinen Schlitzen verengt waren und wieder zu meiner Mutter, die freudestrahlend in die Hand klatschte: „Ist das nicht großartig?"

„Hm", grunzte mein Vater und nahm einen großen Schluck von seinem Wein. „Meine Tochter soll die Gemahlin von so einem aufgeblasenen Muttersöhnchen werden?"

„Louis!", rief meine Mutter über den Tisch und hob mahnend den Finger. „Vergiss nicht, dass du immer noch von meiner Cousine und von dem Kaiser sprichst!"

„Trotzdem sind die mir unsympathisch! Außer François, der war immer großartig", lachte mein Vater und erinnerte sich wahrscheinlich gerade an die letzten Treffen mit unserer Familie in Marseille, in Südfrankreich.

François war der Vater von meinem Cousin zweiten Gerades und somit der Ehemann seiner Mutter Marie-Thérèse. Mein Onkel war stets ein totaler Sonnenschein gewesen, und hatte uns ständig von verrückten Geschichten aus damahiligen Zeiten erzählt. Ob die stimmten – das wusste nur er selbst und der liebe Gott. Leider war er vor einigen Jahren verstorben, und Louis-Antoine konnte seinem Großvater auf den Thron Frankreichs folgen.

„Kann gar nicht verstehen, warum er sich damals deine Cousine geangelt hat... die ist ja so kalt wie 'nen Eisblock."

„Warte erstmal, bis die Majestäten zu uns kommen und uns besuchen!", fauchte meine Mutter erneut, die es nicht leiden konnte, wenn man ihre Verwandtschaft verurteilte. Normalerweise war das normal, dass man so reagierte, doch würde ich Papa immer zustimmen, wenn es um unsere Tante ging, denn diese war mir wirklich nie als eine lockere oder herzliche Person in Erinnerung geblieben.

„Der Kaiser und seine Mutter kommen uns besuchen?", fragte ich dazwischen und wippte aufregt auf meinem Stuhl hin und her.

„Ja", erwiderte meine Mutter gedehnt und strich mir eine blonde Sträne aus dem Gesicht. „Sie werden auf der Geburtstagsfeier von Brienne am morgigen Abend erscheinen."

„Dann kommt Rafael ja auch mit", hauchte ich mit großen Augen, wobei Charles sich augenblicklich räusperte.

„Das kann gut sein", lächelte sie und schaute erneut zu meinem Vater, welcher sich besorgt die Schläfe rieb. „Nun gut", meinte dieser schließlich und ein Seufzer verließ seine Lippen. „Vielleicht hast du ja Recht, Liebes und unser Seine Majestät hat sich ganz und gar verändert. Glauben tu ich's aber erst, wenn ich es sehe."

„Wenn Louis-Antoine Gefallen an Marie Brienne findet, werden sie natürlich heiraten", warf meine Mutter ein. „Das ist schon so gut wie beschlossene Sache. Falls die Madame von Frankreich wünscht, dass ihr Sohn deine älteste Tochter ehelicht, wirst du doch nicht die Hochzeit verweigern, Louis, donc vraiment!"

„Marie, jetzt beruhige dich doch. Wir werden ja sehen, was passiert", wich Papa aus. „Möglicherweise findet unsere Brienne ihren neuen Gemahl ja auch schrecklich."

„Nein, niemals", mischte sich nun Brienne ein und schüttelte vehement mit dem Kopf, was mein Vater erst kritisch beäugte, dann jedoch erneut seufzend mit dem Kopf schüttelte.

Es wurde stiller am Tisch, da das Thema über die Heiratspläne erstmal beendet war. Ich meinerseits sah diese Neuigkeit unterschiedlich: Einmal empfand ich es als einen eigenartigen Gedanken zu wissen, dass Brienne möglicherweise bald schon nicht mehr bei uns wohnen und wir uns kaum noch sehen würden. Auch könnte es doch sein, dass sie sich zu früh freute, und am Ende das Leben in einem so großen Palast, von allen Leuten beäugt hasste wie die Pest.

Andererseits schien sie nichts mehr zu wollen, als diesen Posten und sie wirkte jetzt schon verliebt in unseren Vetter, obwohl sie kaum mehr mit ihm geredet hatte in den letzten paar Jahren.

Als mir jedoch erneut in den Sinn kam, dass ich Rafael wiedertreffen würde, begann ich ununterbrochen zu schmunzeln.
Ich konnte mich noch genau an sein Lächeln erinnern, die dunklen Haaren, die er sich immer lässig zurückstrich und seine blauen Augen, die mich Tag für Tag in einen Bann zogen, den ich nicht beschreiben konnte.

Er war einfach unglaublich und unsere Zeit zusammen hatte ich niemals vergessen. Wir verstanden uns einfach blendend und ließen dem anderen genügend Freiraum. Außerdem gab er mir das, was mir sonst kein Heiratskandidat wohl ermöglichen könnte: Abenteuer, Abwechslung und Freiheit.

Natürlich freute ich mich auch meinen Cousin (und baldigen Schwager, wenn die Dinge so laufen würden, wie meine Mutter und Brienne es sich wünschten) kennenzulernen. Aber zum ehrlich zu sein, interessierte er mich wenig.
Er war sicherlich langweilig und saß den ganzen Tag nur auf seinem Thron oder in seinem Büro, und kümmerte sich um langweilige, geschäftliche Dinge.

Und wenn er so wie Tante Marie-Thérèse war, konnte ich ihn so oder so gleich vergessen.






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Übersetzungen

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( TITEL ) Brief aus Paris
( donc vraiment! ) also wirklich!

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PRINCESS OF ROSES  ᵗᵉⁱˡ ᵉⁱⁿˢWhere stories live. Discover now