Kapitel 18 _ Antworten und neue Fragen

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Die folgenden Wochen verliefen ereignislos. Jede freie Minute verbrachten die vier in der Bibliothek, wo sie neben ihren Hausaufgaben auch weiterhin die Bücher durchsuchten. Jetzt bereute es Lyssa, dass sie in den Ferien nicht mehr daran gedacht hatte, in der hauseigenen Bibliothek nachzusehen, wo sie sich um einiges besser auskannte als hier. Aber da sie daran nichts mehr ändern konnte, verdrängte sie diesen Gedanken schnell wieder und konzentrierte sich ganz auf Hogwarts.
Eines Abends, Lyssa hatte es sich mit einem Buch bequem gemacht während Ron und Hermine Schach spielten, kam Harry völlig verstört vom Quidditch-Training zurück. "Snape macht beim nächsten Spiel den Schiedsrichter", verkündete er flüsternd. Lyssa runzelte die Stirn. Dass Hauslehrer Schiedsrichter sein durften, sofern das eigene Haus nicht spielte, war ihr zwar bekannt, aber dass Snape Ambitionen in diese Richtung hatte, war ihr völlig neu.
Ihre Gedanken wurden von Neville gestört, der gerade durch das Porträtloch kletterte. Oder eher, fiel. Seine Beine waren, eindeutig der Beinklammer-Fluch, zusammengeklemmt und so wie er schwitzte, schien er schon eine ganz schöne Strecke hüpfend zurückgelegt zu haben. Um sie herum brach leises Gelächter aus, aber Lyssa zog lieber ihren Zauberstab und sprach den Gegenspruch. Neville zitterte, als er sich hochrappelte und sich auf einen Sessel fallen ließ.
"Was ist passiert?", wollte Hermine wissen.
"Malfoy", antwortete Neville. "Ich hab ihn vor der Bibliothek getroffen. Er sagte, er würde jemanden suchen, bei dem er diesen Fluch üben könnte."
Gegen ihren Willen musste Lyssa grinsen, das sah ihrem Bruder ähnlich. Aber ausgerechnet bei Neville? Lyssa musste dringend nochmal mit ihm sprechen, was sein Verhalten gegenüber ihren Freunden betraf.
Die anderen überhäuften Neville mit Ratschlägen, aber Lyssa, die nicht wirklich wusste, was sie sagen sollte, kramte lieber eine Handvoll Schokofrösche aus einer ihrer Umhangtaschen und reichte sie Neville.
"Danke", murmelte der schwach, steckte sich einen Frosch in den Mund und gab Lyssa die Karte. Sie sah auf den Text, wie immer seit sie lesen konnte. Ein Name sprang ihr sofort ins Auge. "Leute, das werdet ihr nicht glauben!", flüsterte sie aufgeregt und las vor: "Professor Dumbledores Ruhm beruht vor allem auf Sieg über den schwarzen Magier Grindelwald im Jahre 1945, auf der Entdeckung der sechs Anwendungen für Drachenmilch und auf seinem Werk über Alchemie, verfasst zusammen mit seinem Partner Nicolas Flamel."
Hermine sprang auf. "Wartet hier", sagte sie aufgeregt und rannte die Treppe zu ihrem Schlafsaal hinauf. Kurz darauf kam sie schon wieder zurück, ein dickes Buch in der Hand. "Ich hab einfach nicht daran gedacht, hier drin nachzuschauen. Das hab ich schon vor Wochen aus der Bibliothek ausgeliehen, ein bisschen leichte Lektüre." Mit einem hörbaren Knall legte Hermine den dicken Wälzer auf den kleinen Tisch.
"Leicht?", sagte Ron ungläubig, doch mit einer schnellen Handbewegung wies Hermine ihn an, still zu sein, während sie hastig die Seiten umblätterte.
Lyssa widmete sich wieder ihrer eigenen Lektüre 'Der Heilzauber Episkey und seine Möglichkeiten'. Erst, als Hermine wieder das Sprechen anfing, sah Lyssa auf.
"Nicholas Flamel ist der einzige bekannte Hersteller des Steins der Weisen!", flüsterte Hermine aufgeregt. Lyssa klappte ihr Buch zu.
"Ist nicht wahr?!", sagte sie, im selben Moment fragten Harry und Ron synchron: "Des was?"
Lyssa verdrehte die Augen. "Ach nun hört mal, lest ihr beiden eigentlich nie?", sprach Hermine ihre Gedanken aus und schob das Buch zu den Jungs.

Als sie ins Bett gingen, waren alle vier überzeugt davon, dass der dreiköpfige Hund Flamels Stein bewachte. Aber Lyssa zweifelte noch immer daran, dass ausgerechnet Snape ihn stehlen wollen würde. Für einen Meister der Zaubertränke gab es andere Wege, sein Leben zu verlängern. Und Gold schien dem Professor nie so wichtig gewesen zu sein wie beispielsweise ihrem Vater.

Der Tag des Quidditch-Spiels rückte unaufhaltsam näher. Jetzt, da sie wussten, wer Flamel war, verwendeten Hermine, Ron und Lyssa die Zeit, während der Harry beim Training war, nicht mehr dazu, Bücher zu durchforsten. Stattdessen hatten sie angefangen, den Beinklammer-Fluch zu üben.
Lyssa war die erste, die ihn perfekt hinbekam. Ron sah sie daraufhin mit einem wirklich komischen Blick an, den sie erst nicht deuten konnte. "War ja klar", sagte er schließlich, "liegt dir im Blut, das mit den Flüchen." Hermine ging dazwischen, bevor Lyssa aufbegehren konnte, aber von da an übte Lyssa lieber mit Hermine alleine. Die beiden gingen nach ein paar Übungsstunden sogar noch weiter und übten zusätzlich noch 'Petrificus totalus', den Ganzkörperklammer-Fluch.

Endlich war es soweit. Punkt 11 Uhr hatte sich die ganze Schule am Quidditch-Feld versammelt. Snape in seiner rein schwarzen Aufmachung wirkte seltsam fehl am Platz und sah dazu noch ziemlich wütend drein. Gerade als die Mannschaften auf das Spielfeld liefen, deutete Ron auf die gegenüberliegende Seite. Dort, zwischen den anderen Lehrern, saß Dumbledore höchstpersönlich und beobachtete, wie die Spieler starteten.
Die laute Stimme ihres Bruders ließ Lyssa herum fahren. Sie hatte gar nicht bemerkt, dass Draco sich gemeinsam mit Crabbe und Goyle in die Reihe hinter ihr gesetzt hatten. "Wisst ihr eigentlich, wie sie Leute für die Gryffindor-Mannschaft aussuchen?", sagte er gerade. Lyssa sah ihn warnend an, aber er ließ sich davon nicht beirren. "Sie nehmen Leute, die ihnen leid tun. Seht mal, da ist Potter, der keine Eltern hat, dann die Weasleys, die kein Geld haben - du solltest auch in der Mannschaft sein, Longbottom, du hast kein Hirn."
Neville wurde rot, drehte sich auf seinem Platz herum und sah Draco direkt an. Lyssa war beeindruckt, das hatte er noch nie getan. "Ich bin ein Dutzend von deinesgleichen wert, Malfoy", sagte Neville stockend, aber mit Mut in der Stimme.
Lyssa, die Ärger kommen sah, stand auf, warf ihrem Bruder noch einen kurzen Blick zu – bitte lass meine Freunde in Ruhe – und ging dann zu den Treppen, um von dort aus den Rest des Spieles zu beobachten.
Harry hatte zu einem Sturzflug angesetzt, er raste direkt auf Snape zu, der in letzter Sekunde ausweichen konnte. Nur einen Moment später hatte Harry seinen Besen wieder in die Waagrechte gebracht, in der einen Hand hielt er nach nicht einmal fünf Minuten Spielzeit den Schnatz. Lyssa stimmte in die Jubelrufe der Zuschauer mit ein und ließ sich von einer Gruppe Drittklässler mitziehen, zurück in den Gryffindor-Turm.

Als das Team endlich auch in den Turm kam, war die Party schon in vollem Gange. Fred und George verschwanden noch einmal und kamen kurz darauf zurück, in den Händen stapelweise Kuchen und Dutzende Flaschen in ihren Umhangtaschen. Nur einer fehlte noch.
"Wisst ihr, wo Harry steckt?", wandte Lyssa sich an Hermine und Ron, die erst jetzt zurück in den Turm kamen.
"Wieso? Ist er noch nicht hier?" Hermine klang aufrichtig besorgt.
Lyssa schüttelte den Kopf. "Wo wart ihr, wenn nicht bei ihm?", wollte sie wissen.
Die beiden drucksten ein bisschen herum, bevor Ron mit der Sprache raus rückte. "Im Krankenflügel. Ich hab mich mit Malfoy geprügelt. Und Neville hat es ganz alleine mit Crabbe und Goyle aufgenommen. Na ja, versucht. Er ist noch bewusstlos, aber er wird wieder." Ron hatte wenigstens den Anstand, etwas beschämt auszusehen. Lyssa war dennoch entsetzt. Wie konnte dieser Rotschopf es wagen, ihren Bruder anzugreifen? Und wieso konnte Draco nicht einfach ihre Freunde in Ruhe lassen? Unsicher, auf wen der beiden, Draco oder Ron, sie mehr Wut verspürte, wandte sich Lyssa dem dringenderen Problem zu. "Wir müssen Harry suchen!"

Sie fanden ihn auf halbem Weg nach unten. Harry war außer Atem und sah für einen Sieg ziemlich finster drein.
"Harry, wo hast du gesteckt?", keifte Hermine, aber Lyssa konnte hören, dass sie erleichtert war, ihn zu sehen.
"Wir haben gewonnen! Du hast gewonnen! Wir haben gewonnen!", rief Ron und klatschte Harry auf den Rücken. "Und ich hab Malfoy ein blaues Auge verpasst und Neville hat versucht, es allein mit Crabbe und Goyle aufzunehmen. Er ist immer noch bewusstlos, aber Madam Pomfrey sagt, es wird schon wieder - redet die ganze Zeit davon, es Slytherin zu zeigen! Im Gemeinschaftsraum warten alle auf dich - wir machen ein Fest, Fred und George haben ein bisschen Kuchen und was zu trinken aus der Küche organisiert."
Harry schien diese Neuigkeiten nicht richtig wahr zu nehmen. "Ist alles in Ordnung?", fragte Lyssa zaghaft. Wieso nur freute er sich nicht über den Sieg?
"Suchen wir uns ein Zimmer, wo wir alleine sind. Ich hab euch was zu erzählen, das werdet ihr nicht glauben", sagte Harry nur und führte sie in eines der leeren Klassenzimmer. Dann fing er an zu erzählen: "Ich wollte gerade meinen Besen aufräumen, da hab ich Snape gesehen, wie er zum verbotenen Wald ging. Ich bin ihm nach geflogen und hab ihn dann auf einer Lichtung entdeckt. Quirrell war bei ihm. Snape hat ihn gefragt, ob er schon weiß, wie er an Fluffy vorbei kommt. Er hat Quirrell gedroht, ich glaube er will ihn zwingen, ihm zu helfen. Und er hat etwas über Quirrells 'Hokuspokus' gesagt. Ich wette, es gibt noch mehr, was den Stein bewacht. Zaubersprüche wahrscheinlich. Und Quirrell wird einige Gegenflüche zum Schutz gegen die schwarze Magie ausgesprochen haben, die Snape durchbrechen muss."
"Du meinst also, der Stein ist nur sicher, solange Snape Quirrell nicht das Rückgrat bricht?", fragte Hermine bestürzt.
"Nächsten Dienstag ist er weg", war Rons einziger Kommentar dazu.
Aber Lyssa war sich da nicht so sicher. Sie glaubte kaum, dass Quirrell in der Lage war, einen ordentlichen Gegenfluch auszuführen, was sie im Unterricht lernten war lächerlich, selbst für die erste Klasse. Snape dagegen war sehr wohl in der Lage, starke Magie zu wirken, schließlich gehörte er derselben Organisation an wie auch ihr Vater. Außerdem, wieso sollte er nicht einfach einen Zaubertrank verwenden, um Quirrell zur Mitarbeit zu bewegen. Das wäre doch viel einfacher als irgendwelche Drohungen auszusprechen.

Lyssa - Eine Malfoy in Gryffindor - Band 1Where stories live. Discover now