Kapitel 5 _ Warten

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Quietschend blieb der Zug stehen und die Schüler drängelten durch die engen Türen nach draußen. 'Hogsmeade' stand auf einem großen Schild in der Mitte des langen, nur spärlich beleuchteten Bahnsteiges. "Erstklässler! Erstklässler hier rüber!" Lyssa folgte der Stimme, deren Besitzer sie als Hagrid erkannte. Er strahlte über das ganze Gesicht, als er die Gruppe Kinder musterte, die sich um ihn versammelt hatte. "Nu mal los, mir nach - noch mehr Erstklässler da? Passt auf, wo ihr hintretet! Erstklässler mir nach!"
Er ging einen steilen Pfad hinunter, den Lyssa wohl selbst nie gefunden hätte. Jetzt war die Lampe, die er trug, die einzige Lichtquelle. Der Weg war rutschig, dunkel und wurde immer noch steiler. Hin und wieder hörte sie ein Schluchzen, konnte aber nicht zuordnen, von welchem ihrer neuen Mitschüler es kam.
"Augenblick noch und ihr seht zum ersten Mal in eurem Leben Hogwarts", rief Hagrid. 'Zum ersten Mal in echt', verbesserte Lyssa in Gedanken, natürlich kannte sie Fotos, Zeichnungen und Beschreibungen. "Nur noch um diese Biegung hier."
"Oooooh!", hörte Lyssa überall um sich her und auch der Blonden blieb vor Staunen der Mund offen stehen. Das Schloss war noch viel prachtvoller als sie es je erwartet hätte.
"Nicht mehr als vier in einem Boot!", riss Hagrids Stimme sie in die Wirklichkeit zurück. Gemeinsam mit Draco, Crabbe und Goyle kletterte sie in eines der kleinen Boote, die am Rande des Großen Sees bereit lagen. Auf eine Befehl von Hagrid hin setzten die Boote sich in Bewegung und hielten nach einer für Lyssas Gefühl viel zu langen Fahrt endlich in einem kleinen unterirdischen Hafen. Sie hoffte, dass sie in Zukunft einen anderen Weg zum Schloss nehmen dürfte, so wie die älteren Schüler es offenbar auch taten, da keiner von ihnen die Erstklässler begleitet hatte. Boot fahren würde auf jeden Fall nie zu ihren Lieblingsreisemöglichkeiten gehören. Nur darauf bedacht, ihr karges Mittagsmahl nicht wieder nach draußen zu befördern, ignorierte sie die anderen Erstklässler und achtete erst wieder auf das Geschehen, als Hagrid stehen blieb und gegen das gigantische Schlosstor klopfte.

"Die Erstklässler, Professor McGonagall", sagte Hagrid, als eine schwarzhaarige Hexe mit smaragdgrünem Umhang das Tor öffnete. Ihr Gesichtsausdruck blieb streng, als sie sich bedankte und schweigend folgten die Schüler ihr durch die große Eingangshalle. Lyssa konnte Stimmen aus der angrenzenden Halle hören, für die anderen Schüler gab es offenbar tatsächlich eine schnellere Transportmöglichkeit als die kleinen Boote, und ihre Aufregung wuchs noch etwas weiter. Professor McGonagall führte die Gruppe in eine kleine Kammer und Lyssa drängte sich dicht an ihren Bruder. Auch die anderen Schüler standen viel enger zusammen, als nötig gewesen wäre, wie ihr beruhigt auffiel. Sie war also ganz offensichtlich nicht die einzige, die nervös war. Nur mit halbem Ohr verfolgte sie die Erklärung der Professorin, die Einzelheiten kannte sie schon aus Erzählungen ihrer Eltern. Draco regte sich kurz, als Slytherin erwähnt wurde, er sah kurz zu Crabbe und Goyle, die beide grinsten.
"Ich schlage vor, dass ihr die Zeit nutzt und euch beim Warten so gut wie möglich zurecht macht", beendete die Hexe ihre Rede, musterte einen Augenblick den Krötenjungen und den Weasley. Lyssa bemerkte, dass Harry Potter angefangen hatte, seine Haare auf seinen Kopf zu drücken, ein aussichtsloses Unterfangen wie ihr schien. Lyssa strich ihren Umhang glatt und zog ihren Pferdeschwanz fest, dann widmete sie sich wieder ihren Beobachtungen. "Bitte bleibt ruhig, während ihr wartet." Und weg war die Professorin, zurück blieb ein Haufen Kinder, die jetzt noch nervöser wirkten.
"Wie legen sie denn fest, in welche Häuser wir kommen?", hörte sie Harry Potter fragen, aber bevor sie zu einer Antwort ansetzen konnte, sprach schon der Weasley. "Es ist eine Art Prüfung, glaube ich. Fred meinte, es tut sehr weh, aber ich glaube, das war nur ein Witz." Gerade noch so konnte Lyssa ein Kichern unterdrücken. Ja, es war bestimmt sehr schmerzhaft, einen Hut aufzuziehen. Den ängstlichen Gesichtern nach zu urteilen, glaubten aber viele den Worten dieses Freds. Die braunhaarige Hermine Granger war die einzige, die etwas sagte. Sie flüsterte alle Zaubersprüche vor sich her, die in den Schulbüchern standen und Lyssa verdrehte die Augen. "Als ob die hier ein Schlammblut zaubern lassen, bevor ihr gezeigt wird, wie sie den Zauberstab überhaupt halten muss", flüsterte Draco ihr ins Ohr und jetzt musste Lyssa tatsächlich lachen. Zu einer Antwort kam sie aber nicht, neben ihr fingen einige Schüler plötzlich an zu schreien. Verwirrt drehte sie sich zur Seite und ihr Blick fiel auf einen Haufen Geister, die durch die Wand herein geschwebt kamen.
"Vergeben und vergessen, würde ich sagen, wir sollten ihm noch eine zweite Chance geben", sagte einer von ihren mit ruhiger Stimme. Der Beschreibung ihrer Eltern nach musste es sich bei diesem Geist um den fetten Mönch aus Hufflepuff handeln. "Mein lieber Bruder, haben wir Peeves nicht alle Chancen gegeben, die ihm zustehen?", antwortete ihm ein anderer, aufgrund seiner Halskrause schloss Lyssa, dass es sich um den Fast-kopflosen Nick aus Gryffindor handeln musste. Als ob er ihren Blick gespürt hätte, unterbrach er sich mitten im Satz. "Ach du meine Güte, was macht ihr denn alle hier?" Lyssa probierte sich an einem Lächeln, aber eine Antwort traute sie sich dann doch nicht zu geben. "Neue Schüler, werdet gleich ausgewählt, nicht wahr?" Das Mädchen nickte, ein paar taten es ihr gleich. Der fette Mönch lächelte gutherzig: "Hoffe, wir sehen uns in Hufflepuff! Mein altes Haus, wisst ihr."
Ein leichtes Zittern neben ihr verriet Lyssa, dass Draco sich schwer bemühte, nicht zu lachen und auch sie musste sich anstrengen, ihren freundlichen Gesichtsausdruck zu behalten. Hufflepuff war jetzt wirklich überhaupt nicht das Haus, auf das sie scharf war.
"Verzieht euch jetzt, die Einführungsfeier beginnt." Unbemerkt war Professor McGonagall zurückgekommen und wandte sich, nachdem die Geister hinaus geschwebt waren, den Erstklässlern zu. "Und ihr stellt euch der Reihe nach auf und folgt mir." Lyssa lief hinter Draco her und im Gänsemarsch betraten die Schüler die Große Halle. Mit schnellem Schritt führte Professor McGonagall sie zwischen zwei der langen Tafeln hindurch zum Lehrertisch und ließ sie sich dann dort in einer Reihe aufstellen.

Möglichst unauffällig sah Lyssa sich um. Alle starrten sie an. Na ja, vielleicht nicht sie persönlich, aber alle Blicke lagen auf der Gruppe Erstklässler. Lyssa schluckte, sie hasste es, beobachtet zu werden. Sie spürte, wie sich ihr Herzschlag beschleunigte, spürte, wie Panik in ihr aufstieg. Am liebsten hätte sie jetzt nach der Hand ihres Bruders gegriffen, aber sie wusste, Draco würde sie dann als Baby bezeichnen. Als weinerliches, ängstliches Baby, wie so oft. Und den Gefallen wollte sie ihm nicht tun.
Lyssas Blick wanderte zur Decke und offenbar war sie nicht die einzige, die von dem dunklen Sternenhimmel fasziniert war. "Sie ist so verzaubert, dass sie wie der Himmel draußen aussieht, ich hab darüber in der Geschichte Hogwarts' gelesen", hörte sie Hermine Granger flüstern. Lyssa war erstaunt. Sie wusste, dass dieses Buch nicht sehr oft gelesen wurde, den meisten war es einfach zu dick und vor allem Erstklässler wussten oft nicht, dass es solch ein Werk gab. Und jetzt sprach ausgerechnet eine Muggelgeborene von dem Inhalt dieses wunderbaren Werkes.

Professor McGonagall stellte einen Stuhl vor die Erstklässler und legte einen Spitzhut darauf. 'Dass der sprechende Hut so schäbig aussah, hat Mutter wohl vergessen zu erwähnen', schoss es Lyssa durch den Kopf, als sich bei dem Hut ein Riss öffnete und er anfing zu singen.
Als er fertig war, verbeugte er sich vor jedem der vier Tische und schien dann zu warten. Lyssa hörte, wie jemand flüsterte, aber in ihren Ohren rauschte es.
Die große Hexe trat nach vorne, eine Pergamentrolle in den Händen. "Wenn ich euch aufrufe, setzt ihr den Hut auf und nehmt auf dem Stuhl Platz, damit euer Haus bestimmt werden kann."

Lyssa - Eine Malfoy in Gryffindor - Band 1حيث تعيش القصص. اكتشف الآن