Kapitel 100

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Kapitel 100

~ Marcos Sicht ~

Nie ist es leicht von jemanden Abschied zu nehmen, auch wenn du die Person nicht dein ganzes Leben kennst. Aber es sind nicht die Jahre die zählen, sondern die Momente die du mit der Person erlebt hast. Und jeder einzelne Moment, egal ob gut oder schlecht, bleibt immer in deinem Gedächtnis- immer in deinem Herzen.
Ich hasse es Abschied zu nehmen. Zwei meiner besten Freunde- einfach weg. Ja, Robin lebt. Aber für die anderen ist er gestorben. Und nun Marcel. Wieso ist das eigentlich immer so schwer zu verstehen und zu verarbeiten? Wieso müssen wir da immer durch? Reicht es nicht irgendwann mal? Reicht es nicht, dass wir immer so verletzt werden, in dem uns Menschen die wir lieben genommen werden.
   Ich blickte zu meiner Frau, die auf den kleinen See herunter blickte. Ich stand hinter hier und unsere Kinder trauten sich nicht ganz an die Klippe heran. Das Rauschen des Wasserfalls, der neben uns in den See krachte, übertönte alles. Kane der irgendwas vor sich hin murmelte. May zuckte und umklammerte fest die Urne. Das Zucken verriet, dass sie wieder am weinen war. Ich wischte mir die nachkommenden Tränen aus den Augen weg und drehte mich zu meinen Kindern. Mina weinte ebenfalls, während Kane einfach nur auf seinem Handy blickte.
"Uhm, hier ist die Playlist von Marcel", meinte mein Sohn. "Hab ein Lied gefunden, was irgendwie hier zu passt."
"Hören wir gleich", sagte ich. "Will jemand noch was sagen? Auch wenn es nicht gerade leicht ist?"
"Keine so schlechte Idee", meinte Mina. "Vielleicht erzählt jemand von seinem besten Moment mit Marcel?"
May drehte sich zu uns und stellte die Urne auf einen Felsen ab, wo auch schon ein Foto von Marcel stand.
"Wer fängt an?", fragte May und setzte sich vor dem Bilderrahmen und der Urne. Ich setzte mich neben ihr und unser Sohn setzte sich ebenfalls hin.
"Darf ich anfangen?", fragte Mina.
"Aber natürlich, darfst du das", nickte ich und wir blickten zu ihr.
"Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Auch wenn ich 13 bin, haben wir schon eine Menge scheiße erlebt. Positiv gemerkt. Aber an eins, werde ich mich immer erinnern. Ihr wart die ganze Zeit wegen Kane im Krankenhaus, wegen seinen Nieren und Marcel hat auf mich aufgepasst. Da war ich 7 oder so.  Naja, auf jeden Fall waren wir gelangweilt und haben dann im Internet geschaut, was in Dortmund los war. Nichts was von Interesse war. Wir sind dann nach Ikea gefahren. Nicht für irgendwelche Möbel. Sondern für die Hotdogs und das Kinderparadies. Klar, ich durfte rein. Und Marcel? Der hatte sich einfach reingeschlichen, nachdem ich geheult hatte, damit ich für Ablenkung sorgen konnte. Lange hat es nicht gehalten und wir wurden rausgeschmissen. Wir sind dann zu den Schränken gegangen und haben uns dort drinnen versteckt. Wenn jemand kam und die Türen öffnete, haben wir gefragt ob sie nach Narnia wollen. Ich hab einen auf Maze Runner gemacht. Letztlich sind wir ganz aus Ikea rausgeflogen, nachdem ich mich unter dem Saucenspender der Hotdogs die Sauce reingepfiffen hatte. Ich weiß, für die anderen ist das ziemlich langweilig. Aber für mich, war es einer der schönsten Erlebnisse mit Marcel. Es können eben nur die Kleinigkeiten, die schön sind und in deinem Kopf bleiben. Und ich werde dich niemals vergessen, Marcel."
Mina setzte sich hin und Kane stand auf.
"Na gut. Wo soll ich anfangen. Marcel und ich hatten schon ziemlich viel erlebt. Mehr als Mina und Marcel."
"Hör auf zu Ärgern", sagte ich streng.
"Sorry", sagte Kane und redete weiter. "An einer Sache, werde ich mich immer erinnern und dafür bin ich Marcel heute noch - mit einem dicken Grinsen - dankbar. In der sechsten war ich mal in ein Mädchen verknallt. Das Problem, die war bei allen beliebt, da sie ziemlich unfair gegenüber anderen mit ihrer Hühnerclique war. Mobbing und der Mist. Von Dad kam der Einfall, dass ich der einen Liebesbrief schreiben soll. Hab ich getan- ging dann aber nach hinten los. Die hat mich vor der ganzen Schule bloßgestellt, weil ich richtig kitschig geschrieben hatte. Das war natürlich nicht toll. Mama wollte Randale machen. Hielt sich aber zurück. Marcel ließ das aber nicht auf sich sitzen. Er suchte sich die Hühner aus, die mich verarscht hatten und spielte ihnen Streiche. Angefangen bei einen der Mitläuferinnen. Anna. Die sammelt Highheels. Irgendwie waren die dann alle am Hacken abgebrochen. Der Einbrecher wurde nie gefunden. Dann bei Merve. Ah. Merve. Typische Türkin. Hauptsache Shi-Sha. Der Vater betrieb nen Laden dafür. Mystischerweise bestanden die ganzen Tabaks dann nur noch aus Kuhfladen. Lisa. Das war die in die ich mal verschossen war. Die fuhr gerne Fahrrad. Und auch hier passierte mystischerweise  Etwas. In ihrem Helm befand sich Sekundenkleber. Tut ein wenig weh, wenn man den Helm wieder absetzt."
"Das war die mit der Kurzhaarfrisur?", fragte ich.
"Die hatte eine Glatze", meinte meine Frau.
"Ja. Ein bisschen Glatze", nickte Kane. "Das war für mich ein Erlebnis, dass ich immer auf Marcel zählen kann. Das konnte ich immer. Das konnten wir immer. Das können wir sicherlich noch. Jetzt passt er nämlich von da oben auf uns auf und teilt dort aus."
"Wenn jemand der uns unrecht getan hat beim Scheißen vom Blitz getroffen wurde, wissen wir, dass es Marcel war", sagte May.
Wir lachten leise. "Ja stimmt. Ich bin fertig. Mom, würdest du uns die Ehre erweisen."
May stand auf und stellte sich an den Platz, wo Kane vorher gestanden hatte. Ich schaute mich ein wenig um, da May noch nichts am sagen war. Sie schien zu überlegen wie sie anfing. Ich riss die Augen auf, als ich zwischen den Bäumen Robin stehen sah. Was machte er hier? Ist der bekloppt? Der kann hier doch nicht einfach auftauchen. Was ist, wenn ihn die Kinder sehen? Er winkte mir zu und schmunzelte leicht. Meine Hand die auf dem Felsen lag, hob ich an und winkte unauffällig zurück.
Dann blickte ich wieder zu May, die anfing zu reden.
"Marcel und ich kannten uns schon seitdem wir Babys sind. Und wir haben auch ziemlich viel erlebt. Gutes und auch schlechtes. Trotzdem haben wir uns immer zusammengerauft. Wie Geschwister. Es gibt viel zu erzählen über ihn, deshalb halte ich mich trotzdem kurz. Es tut momentan einfach noch weh, Erinnerungen abzurufen. Ich bin da ein wenig empfindlich. Damals, als wir zehn waren. Da hast du mir etwas gesagt. Das habe ich immer noch im Kopf." Sie machte eine Pause. "Du bist mein bester Freund und du bringst mich jeden Tag zum Lächeln. Es gibt so viele Gründe, wieso du mein bester Freund bist, aber der wichtigste von allen ist, dass du mich niemals verlassen wirst. Werde ich dich nicht Marcel. Und du mich auch nicht." Wieder hielt sie inne. "Marcel, du hast mich nie aufgegeben. In meinen schlechten und meinen guten Phasen warst du immer an meiner Seite. Du bist immer noch hier. Immer für mich da. So wie ich für dich da sein werde. Für immer, natürlich. Das hatte ich dir versprochen. Und versprechen breche ich nie. Auch wenn du jetzt von dort oben runter schaust, sollst du wissen, dass du fehlst. Sehr sogar." May blickte zu mir. "Magst du?"
Ich nickte und stand auf. Ich drückte meine Frau kurz, ehe sie sich neben unseren Kindern setzte.
"Es ist ein ziemlicher Riss in unserer Familie entstanden und es wird nicht mehr so sein, wie früher, als du noch bei uns warst. Der kleine laufende Furz mit dem Strahlemann-Lächeln ist weg. Meine kleine Nervensäge, die mich nur mit irgendwelchen Sprüchen zum Lachen brachte. Ach wenn die Witze ziemlich flach waren. Ich wollte dir eigentlich nur mal Danke sagen. Danke, dass ich dein bester Freund sein durfte. Danke, dass du mich deiner besten Freundin vorgestellt hast, Danke fürs zusammenbringen. Ohne dich und deine Hartnäckigkeit uns wieder zusammenzubringen, wären wir jetzt nicht hier, nicht verheiratet und hätten keine zwei Töchter. Wir hatten uns damals einfach nicht getraut. Naja. Man siehts wie es geendet ist. Ich glaube neben May habe ich noch dich geheiratet, auch wenns wegen einer Sache nicht einfach war. Du weißt welche. Ich hasse es Abschied zu nehmen. Abschied von deiner Lasagne, deiner Pizza und dich. Danke dafür, dass du mich aufgebaut hast, wenn eine Verletzung mich ausgeschaltet hat. Danke, dass du mir die Angst von Vater-sein genommen hast. Danke, dass du immer für mich da warst und noch da sein wirst. Ich hab dich lieb."

Schweigend schnappte May sich die Urne und öffnete diese. Ich fuhr zusammen, als ein Lied ertönte. Ich blickte zu Kane. Dieser hielt sein Handy in der Hand und stellte die Musik lauter.
"Take it back. I would take it back. For just another minute. Just another Chance with you. Give it up. I would give everything up. Every last breath, every first taste for you..."
Ja das Lied passte irgendwie. Und ja, dass Lied brachte mich sofort zum heulen.
   Es hatte irgendwas magisches  an sich, als die Asche meines besten Freundes über den Wasserfall von dem Wind weggetragen wurde. Die Asche tanzte im Wind, so wie es Marcel sicherlich wollte. Tanzend seine letzte Ruhe zu bekommen. Nachdem die Aschewolke verschwunden war, zog ich meinen Sohn und meine Frau zu mir in die Arme. Mina brauchte ich nicht zu mir ziehen, da sie sich schon an mich herangeklammert hat und ihr Gesicht gegen meine Brust drücke.
"Ich werde ihn so vermissen", wimmerte sie.
Ich blickte wieder zu den  Bäumen, wo ich vor gut zehn Minuten noch Robin gesehen hatte, aber dieser war verschwunden. Einzig allein Marcel stand da und blickte grinsend zu uns. Es war sein aufmunterndes Grinsen, was er uns immer zu warf, wenn es einem nicht gut ging. Und es ging uns allen mehr als beschissen.
Marcel machte das Victory-Zeichen, welches ein Insider zwischen uns beiden war. Ich machte das Zeichen sofort zurück und lächelte, was nicht so einfach war, wenn man schon am weinen war.
"Pass gut auf May auf und auf die Kinder", hörte ich ihn sagen. Er bewegte zwar nicht die Lippen, aber es war seine Stimme. Als würde er direkt hinter mir stehen. Ich warf einen Blick hinter mir. Nichts. Dann schaute ich wieder nach vorne und direkt zu Marcel, der immer noch zwischen den Bäumen stand.
Und dann, dann verblasste er immer mehr, bis für einen Augenblick ein heller Lichtstrahl zwischen den Bäumen erleuchtete.
Das wars jetzt also? Jetzt war er für immer weg?
Und mit einem Windeszug löste sich auch dieser weißmilchige Strahl in Luft auf.
"Wir werden ihn alle vermissen", flüsterte ich und wischte mir die Tränen aus dem Gesicht.
Meine Frau blickte zu mir. Was war mit ihr. Sie weinte nicht. Nein, sie lächelte. Lächelte voller Zuversicht. Es war dasselbe Lächeln wie bei Marcel. Das Lächeln, dass alles bald wieder gut wird. Das der bittersüße Schmerz bald verfliegen wird und wir nicht mehr wegen der Trauer um Marcel weinten, sondern vor Glück, dass wir diesen tollen Menschen, als Freund gehabt haben. Und immer noch haben werden. Denn ich war mir sicher, dass er jetzt von oben auf uns aufpasst und uns einen Tritt in den Arsch verpasst, wenn wir nicht wie gewohnt funktionierten.

*** Ende ***

{2}»RE(US)❤️« [Marco Reus FF] ✔️.  Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt