67. Verräter

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Ich war so enttäuscht und angepisst von Tobis Reaktion, dass wir bis zu der Pause kein Wort mehr miteinander sprachen. Jetzt, nachdem es endlich gegongt hatte, hatte ich mich in irgendeine Ecke verzogen, darauf bedacht, meine ehemaligen Freunde keines Blickes zu würdigen. Jedes Mal, wenn sich Schritte mir näherten, spannte mein Körper sich unkontrolliert an und lockerte sich erst wieder, wenn die Personen an mir vorbei gegangen waren. Obwohl es mir wie eine Ewigkeit vorkam, stand ich noch nicht einmal fünf Minuten hier, als erneut jemand auf mich zukam, aber dieses Mal nicht weiter ging, sondern sich wortlos neben mich stellte. Ohne aufzusehen versuchte ich alarmiert, den Geruch aus meiner Umgebung zu erkennen, jedoch schien es ein Beta oder Omega zu sein, der hier neben mir stand, denn ich roch keinen Alpha in meiner Nähe. Und tatsächlich, als ich vorsichtig aufsah, konnte ich Mik erkennen, der schweigend neben mir stand und in die Ferne zu schauen schien. Keiner von uns beiden sagte ein Wort und so schwiegen wir eine ganze Weile lang, bis ich aus dem Augenwinkel sah, dass der Beta in Richtung des Pausenhofes nickte, der sich vor uns erstreckte.

»Max beobachtet dich schon die ganze Zeit.«, erklärte er schlicht, woraufhin ich nickte.

»Bist du deswegen hier? Um mir zu helfen?«

»Auch.«

Damit kehrte wieder Ruhe ein, die erst unterbrochen wurde, als ich Max' Geruch wahrnahm, der direkt auf mich zukam. Sanft stieß ich Mik den Ellenbogen in die Seite, der aus seinen Gedanken hochfuhr und einen Schritt vor mich trat. Vor uns standen die Personen, die ich über alles hasste und die mir schon so oft das Leben zur Hölle gemacht hatten. Max, Nils, Louis und hinter ihm, zu meinem Entsetzen aber nicht zu meinem Verwundern, Dennis mit gesenktem Blick. Ich konnte spüren, wie Mik dicht vor mir zitterte und suchte nach seiner Hand, um sie einmal kurz beruhigend zu drücken.

»Stegi, Stegi, Stegi.«

Max' Tonfall klang tadelnd und ich musste mich bemühen, ihm nicht vor die Füße zu spucken.

»Ich hoffe, du hast es genossen, unerreichbar für uns alle zu sein. Denn diese Zeit hat ja jetzt ihr Ende. Und das alles wegen einem dummen Fehler von meinem noch viel dümmeren Bruder. Warst du traurig? Warst du enttäuscht? Oder einfach nur wütend? Du hast das halbe Haus zusammen geschrien, also sag schon. Woran lag es? War es Wut?«

In mir brodelte es und so brachte ich nicht mehr als ein wutverzehrtes »Verpiss dich« hervor. Max lachte nur, bevor er einen Schritt auf mich zuging. Mik baute sich noch mehr vor mir auf, wurde aber bloß von Max auf die Seite gezerrt und von Nils an die Wand gedrückt. Nein, sie sollten zumindest ihn in Ruhe lassen! Während die anderen beiden auf mich zukamen und Dennis bloß mit immer noch gesenktem Blick verloren herumstand, spuckte ich Max direkt vor die Füße. Fast rechnete ich schon damit, als keine zwei Sekunden später mein Kopf zur Seite geschleudert wurde und meine Backe schmerzhaft brannte. Max' Faust landete in meinem Magen und bloß seine andere Hand an meinem Kragen hielt mich davon ab, schmerzgekrümmt in mich zusammen zu sacken. Da war es wieder, das altbekannte Gefühl. Die Hilflosigkeit, wenn die Alpha sich in der Gruppe über mich hermachten und der Wunsch, einfach nur weg von hier zu können. Miks wutentbrannten Schrei nahm ich nur am Rande wahr, während erneut Max' Faust und dann sein Knie in meiner Magengegend landeten. Dieses Mal hielt seine Hand mich nicht mehr auf den Beinen und ich sackte auf die Knie, während ich mit aller Kraft versuchte, Schmerzensschreie zu unterdrücken. Kaum berührten meine Beine den Boden, spürte ich einen starken Zug in meinen Haaren und richtete mich gezwungenermaßen danach auf, bis ich mit durchgestrecktem Rücken auf dem Boden kauerte und meinen Kopf in einer schmerzhaft überdehnten Form im Nacken hielt. Miks Schreie im Hintergrund waren verstummt und nur noch ersticktes Murmeln war zu hören, während Louis dem Beta mit einer Hand den Mund zuhielt. Die andere Hand des Alphas hatte sich um Miks Kehle gelegt, schien aber soweit ich es mitbekam, nicht so stark zuzudrücken, dass der Schwarzhaarige zu ersticken drohte. Ob Dennis wohl einfach zugesehen hätte, wie sein bester Freund von zwei Alpha erwürgt worden wäre? In seiner momentanen Einstellung traute ich ihm fast alles zu, aber das ...? Ich kam aber auch nicht dazu, mir weiterhin Gedanken darüber zu machen, denn im nächsten Moment spürte ich Max' Geruch dicht neben mir und seinen warmen Atem mein Ohr streifen, während er mir leise Wörter zuraunte.

»Keiner mehr da, der dich beschützt. Na, was ist geworden aus deinem Helden Tim? Ist er doch nicht so strahlend, wie du gedacht hast? Ist er vielleicht gar kein Held? Hat er dich verarscht? Hast du dich von ihm reinlegen lassen? Bist du wie so eine billige Omega-Schlampe auf den nächstbesten Alpha hereingefallen? Weißt du, wofür Omega-Schlampen da sind?«

Jedes Wort von Max trieb mir Tränen in die Augen und ich drängte sie immer wieder zurück, um nicht vor dem Alpha loszuheulen. Achtlos ließ er mich auf den Boden fallen, wo er immer und immer wieder auf mich eintrat, bis er endlich von mir abließ und ich mich vor Schmerzen wimmernd zusammenrollte.

»Auf ein mal gar kein so großes Maul mehr?«, lachte er höhnisch und seine Freunde stiegen mit ein. Mik wurde inzwischen von den zwei Alpha jeweils an einem Arm festgehalten und all seine Versuche, sich loszureißen, waren zwecklos. Dafür schimpfte er in einer Tour auf Dennis ein, der ganz klein geworden war. Zwar hatte ich das Gefühl, der braunhaarige Beta würde es bereuen und das unregelmäßige Zucken seiner Schulter ließ mich kurz in Betracht ziehen, ob er weinte, aber dennoch zeigte er keinerlei Widerstand, als Louis besitzergreifend seinen Arm um die Schultern des braunen Wuschelkopfs legte, Mik demonstrativ angrinste und ihn mit sich wegzog. Dennoch war ich mir sicher, dass er Miks »elendiger Verräter« noch gehört hatte, das der Schwarzhaarige seinem ehemals besten Freund hinterher zischte. Kaum waren die vier verschwunden, kam der Beta mit schnellen Schritten auf mich zu und kniete sich vor mich. Als er vorsichtig seine Hand auf meine Schulter legte, zuckte ich ängstlich zurück und eine weitere Träne rann über meine Wangen, während immer mehr Erinnerungen mich überrollten.

Daunted and Broken ~ #Stexpert ~ #Kostory ~ #VenationWo Geschichten leben. Entdecke jetzt