Kapitel 28

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Ich hasse mich selbst dafür. Ich hasse mich dafür, dass ich ihn verletzen werde. Ich gebe ihm nicht die Möglichkeit zu entscheiden. Ich entscheide für ihn, für mich – für uns. Wahrscheinlich werde ich mir das niemals verzeihen können. Aber ich könnte es mir auch dann niemals verzeihen, wenn ich später sehen würde, dass er unglücklich ist. Niemals werde ich seinem Glück im Weg stehen, deshalb beende ich es, bevor es zu spät ist.

Mergim holt mich wie üblich ab. Wir gehen spazieren und die Nervosität steigt mit jedem Schritt. Ein Wunder, dass mich meine Beine überhaupt noch halten können. Er ist ziemlich ruhig. Vielleicht merkt er, dass irgendwas nicht stimmt. Wir halten bei einer Sitzbank an und setzen uns. Sie Sonne spiegelt sich auf dem Wasser des Zürichsees. Es ist eigentlich zu schön. Doch dieser Traum wird gleich in 1000 Stücke zerbrechen. Meine Hände zittern und ich war in meinem Leben noch nie so aufgeregt wie jetzt gerade. Ich weiss auch gar nicht wie ich anfangen soll. Mir ist zum Heulen zu mute, aber das kann ich jetzt nicht. Schwäche zeigen. Das darf ich nicht. «Mergim hör zu. Ich glaube, dass das mit uns ein Fehler ist. Ich empfinde nicht mehr das gleiche wie am Anfang. Irgendwie haben sich meine Gefühle verändert...» Ich beisse mir auf die Lippen, als ich diese Worte sage. Ein Kloss bildet sich in meinem Hals. Oh mein Gott ich heule fast. Mergim's Blick scheint mich zu durchbohren. Er sagt nichts. Einfach nichts. «Deshalb sollten wir lieber getrennte Wege gehen» fahre ich fort. Nach wie vor – reaktionslos. Einfach nichts. Als hätte er von der einen Sekunde auf die andere seine Gefühle ausgelöscht. Was habe ich bloss getan?!

Minuten lang schaut er mich nur an. Ich kann ihm dabei nicht länger in die Augen schauen. Traurig wende ich meinen Blick ab. Nach einer Weile sagt er dann auch etwas. «Gut. Wenn du das so willst.» Ist das alles? Gibt er so schnell auf? Ehrlich gesagt enttäuscht mich das. Ich hätte mehr erwartet. Was habe ich denn erwartet? Dass er mich anbettelt, dass ich bleibe? Dass er mir seine Liebe gesteht? Dass er mir hinterherrennt? Was habe ich erwartet? Das? Will ich das? Nein! Ja! Ich weiss es nicht. Ich weiss gar nichts mehr. Mein Kopf scheint zu platzen und mein Herz schmerzt so sehr. Mit aller Kraft versuche ich meine Tränen zurück zu halten. Noch nie, wirklich noch nie in meinem Leben ist mir etwas so schwer gefallen. Diese Entscheidung hat mich gekillt und nicht nur mich, sondern auch Mergim. Ich bin so dumm. Einfach nur dumm. Mergim steht auf und gibt mir noch eine kleine Schachtel. «Das kannst du behalten oder wegschmeissen. Das habe ich dir gekauft, damit du weisst, dass wir zusammengehören» An seiner Stimme erkenne ich, dass ihm diese Worte sehr schwer fallen. Er geht ohne ein weiteres Wort zu sagen. Ohne 'Auf Wiedersehen' zu sagen. Einfach ohne nichts. Womöglich will er mich auch gar nicht mehr sehen. Wozu auch? Ich habe ihn so sehr verletzt. Ich öffne die Schachtel und sehe ein silbernes Armkettchen. Als ich die Kette herausnehme, sehe ich, dass es eine Gravur hat. 'Dorentina & Mergim' und auf der Rückseite unser Verlobungsdatum. Mir laufen die Tränen. Was habe ich bloss getan?

Es vergehen Wochen. Er hat sich nicht gemeldet und ich mich auch nicht. Meine Eltern sind ausgerastet, als ich es ihnen gesagt habe. Natürlich hat diese Info schnell die Runde gemacht und eine Zeit lang habe ich mich dabei unwohl gefühlt überhaupt aus dem Haus zu gehen. Die Blicke der Leute konnte ich nicht ertragen. Ich habe schon genug Schuldgefühle – mehr davon brauche ich echt nicht. Manchmal stalke ich sein Profil. So werde ich ihn nie vergessen können, aber es beruhigt mich zu wissen, dass er keine andere Frau hat. Ich bin eifersüchtig, ich weiss. Die Armkette habe ich immer bei mir. Ich trage sie sogar, natürlich so, dass es meine Eltern nicht sehen. Ich vermisse Mergim. Die Zeit ohne ihn scheint still zu stehen. Meine Leistungen in der Schule haben sich drastisch verschlechtert. Wenn ich so weiter mache, kann ich mein Studium gleich abbrechen.
Langsam habe ich mich an den Gedanken gewöhnt, dass ich nie heiraten werde. Dieses Schicksal wünsche ich keinem. Meine Eltern stressen mich aber jeden Tag. Such einen. Such einen. Manchmal habe ich das Gefühl, dass sie nie verstanden haben, dass ich Mergim geliebt habe. Dass ich ihn immer noch liebe, wissen sie erst recht nicht. Sie sollen mich einfach in Ruhe lassen mit diesem ganzen Beziehungsscheiss. Ich will damit nichts zu tun haben. Mir reicht es und um ehrlich zu sein kann ich gar nicht mehr. Am selben Abend schreibt mir Anita bei WhatsApp. 'Hey bist du da?' 'Ja, wieso?' schreibe ich sofort. Kaum habe ich die Nachricht gesendet, schickt mir Anita ein Bild. Als ich den Screenshot vergrössere, sehe ich Mergim. Mergim mit einer anderen Frau. Nicht Mergim hat dieses Bild hochgeladen bei Facebook, sondern diese Frau. Arjanita Beqiraj.

SchicksalsschlägeWhere stories live. Discover now