Kapitel 10

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Tief in meinem Herzen weiss ich, dass er sich überwinden musste um mir das mitzuteilen. Ich schätze es sehr, dass er ehrlich zu mir ist und mir sowas anvertraut. Ich bin mir sogar sicher, dass er nicht jedem davon erzählt. Somit bin ich nicht einfach irgendwer für ihn, sondern mehr. Mehr als eine Fremde. Mehr als eine Bekannte. Mehr als eine Freundin. 'Ist in Ordnung' schreibe ich ihm. 'Ich verstehe dich und vergiss nicht mit mir kannst du über alles reden und danke, dass du mir vertraust' schreibe ich ihm anschliessend. Ich bemerke, dass ihm ein Stein vom Herzen gefallen ist. Wahrscheinlich wollte er es mir schon lange sagen, nur wusste er nicht wie ich darauf reagieren würde. Ehrlich gesagt, stecke ich das ziemlich locker weg. Der Gedanke, dass meine Eltern es nicht so einfach wegstecken würden, verdränge ich. Ich bin mir sogar ziemlich sicher, dass sie Mergim nicht akzeptieren werden. Sie werden behaupten, dass der Apfel nicht weit vom Stamm fällt und dass er bestimmt kein Stück besser ist als sein Vater. Es wird ein Kampf, ich sehe es jetzt schon kommen.

Meine Ferien sind schnell vorbeigegangen. Kaum war ich in Prishtina, schon bin ich wieder in Zürich. Mergim wird noch eine Woche in Kosovo sein. Solange habe ich Zeit mich auf unser 1. Treffen vorzubereiten. Die Aufregung steigt von Tag zu Tag. Wir haben beide keine Ahnung worauf wir uns da einlassen. Es bleibt spannend.

Nächte lang bleibt er wach um mit mir zu schreiben. Ich schimpfe immer mit ihm, weil er dann tagsüber nur am Schlafen ist. Er soll die Zeit in Istog geniessen und nicht nur schlafen. Schliesslich ist Familie doch alles! Wir sind sogar an dem Punkt angelangt, an dem wir über Kinder reden. Er möchte unbedingt einen Sohn und 2 Töchter. Natürlich soll der Sohn älter sein. Er muss sich schliesslich um seine kleinen Schwestern kümmern. Mergim schickt mir sogar Babyfotos. 'Schau, die könnte unser Kind sein. Sie hat meine Augen und deine Lippen' Ein kleines Mädchen ist zu sehen. Ihre Augen strahlen in der Sonne – grün. Ihr kleiner Mund und ihre vollen Lippen. Sie sieht wie ein Engel aus. Soso, denke ich mir. Er hat also grüne Augen. Woher soll er denn bitte wissen, was für Lippen ich habe. Haha. So ein Dummkopf. Mergim scheint Kinder zu lieben, was mich umso mehr erfreut. Ich muss zugeben, ich habe mich etwas in ihn verliebt. Sein Aussehen ist mir nicht wichtig. Es ist viel mehr sein Charakter, das mich fasziniert. Wie er mit mir redet und umgeht, sowas ist heutzutage nicht mehr selbstverständlich. Ich bin sehr froh darüber ihn kennengelernt zu haben. Wir schreiben nun schon seit Wochen zusammen und das ununterbrochen Tag und Nacht. Ich habe das Gefühl, dass ich ihn schon seit Jahren kennen würde. Dieses Gefühl kann ich nicht mal richtig in Worte fassen. Es fühlt sich einfach schön an.

Der Tag kommt näher und näher. In wenigen Tagen würden wir uns sehen. 'Mergim um welche Zeit fliegst du am Montag?' schreibe ich ihm. Im Verlauf vom Tag, war er online, hat aber die Nachricht nicht gelesen. Okay, vielleicht ist er unterwegs oder so. Das kann ja passieren. Er hat bestimmt keine Zeit. Nach weiteren Tagen hat er immer noch nicht zurückgeschrieben. Die Nachricht hat er aber gelesen. Komisch, was ist bloss los? 'Hey was machst du?' schreibe ich ihm wieder bei WhatsApp. Nichts. Stunden vergehen und es kommt nichts. Ich weiss nicht einmal, ob die Nachricht angekommen ist.

Es ist Sonntag. Mergim würde morgen zurück in die Schweiz kommen. Zurückgeschrieben hat er immer noch nicht. Langsam mache ich mir Sorgen. Wieso meldet er sich nicht? Vielleicht ist ihm was passiert? Mir wird bewusst, dass ich ihn doch nicht so gut kenne wie ich gedacht habe. Ich weiss nicht mal, wenn ich kontaktieren kann um nach ihm zu fragen. Mir bleibt nichts Anderes übrig als zu warten. «Tina mach dir keine Sorgen, vielleicht ist nur sein Handy kaputt oder er hat kein Internet.» Anita versucht mich zu trösten. «Ja. Du hast bestimmt Recht.»

Montag. Den ganzen Tag habe ich auf eine Antwort von Mergim gewartet. Einfach nichts. Irgendwann am Abend hat es mir gereicht. Ich rufe ihn an. Es klingelt mehrmals, aber es geht niemand ran. So, immerhin ist sein Handy nicht kaputt. Also wird es wohl andere Gründe geben warum er sich nicht meldet. Aber welche?

Kurz vor dem Schlafengehen versuche ich ihn noch einmal anzurufen, als plötzlich jemand ans Telefon geht. Niemand spricht. «Hallo? Mergim?» «Ja was ist?» Ich höre Mergims Stimme. Aber er ist so komisch. «Ich bin's Tina. Wo bist du?» «Zuhause, wo soll ich sonst sein?!» kommt eine kalte Antwort von ihm. Ich erkenne ihn kaum wieder. Bin ehrlich gesagt sprachlos. Ich suche nach Worten. «Wieso hast du dich nicht gemeldet?» frage ich ihn. Es herrscht Stille. Nach einigen Minuten kommt seine Antwort: «Weisst du was Tina? Vergessen wir es einfach, okay? Das war alles eine scheiss Idee. Ich habe kein Bock mehr darauf! Lösch meine Nummer!» und bevor ich noch etwas sagen kann, legt er auf. Minuten lang habe ich das Handy betrachtet. Ich habe mich wie in einem Film gefühlt. Wie in einem Traum – einem Alptraum. Ich verstehe die Welt nicht mehr.

SchicksalsschlägeWhere stories live. Discover now