Kapitel 20

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«Äh niemandem. Ich schreibe niemandem» bringe ich stotternd heraus. «Da bin ich ja beruhigt» grinst Mergim. Irgendwie scheint er nur am Lachen zu sein. Das kann ich überhaupt nicht einordnen. «Wohin willst du gehen?» fragt er. «Ja, irgendwo hier in der Stadt» «Gut. Fahren wir lieber» «Okay» sage ich. Er läuft los und ich folge ihm. Ich weiss nicht worüber ich mit ihm reden soll. Mir fällt auf, dass er noch breiter ist, als ich gedacht habe. Er hat an den Seiten etwas kürzere Haare als oben. Und dazu hat er noch einen 3-Tage-Bart, der sehr gepflegt aussieht. Er trägt eine blaue Jeans und eine Jacke mit Pelzkragen. Seine Sneakers sehen ziemlich teuer aus. Genauso wie der Rest seiner Bekleidung.
Nach ein paar Minuten bleibt er stehen. Er öffnet die Tür eines Autos und hält sie mir auf. «Ein Maserati?» «Du kennst dich mit Autos aus, was?» «Kein BMW oder Mercedes?» «Nee, aus dem Alter bin ich raus.» Will er mich gerade beleidigen? Mercedes ist meine Lieblingsautomarke. Trotzdem muss ich sagen, dass das Auto Bombe aussieht. Es ist mattschwarz und sehr sportlich.
Er steigt ein und wir fahren los. Mergim scheint sich in Zürich bestens auszukennen. Ich frage mich, ob er viele Frauen aus Zürich kennt. Naja. Ich verdränge meine Gedanken schnell wieder. «Wir fahren zu einem schönen Kaffee hier in der Nähe. Es liegt am See und gehört einem Freund von mir» sagt Mergim. Okay. Ein Kaffee am Zürichsee? Läuft bei ihm, würde ich mal sagen.

Kurze Zeit später kommen wir auch schon an. Mergim parkiert und bevor er mir die Tür aufmachen kann, öffne ich sie selber und steige aus. Draussen ist es ziemlich kalt, also gehen wir rein. Mergim grüsst seinen Freund, der uns gleich zu einem Tisch führt. «Sag mal, hast du Hunger?» fragt er auf einmal. «Äh nein. Du?» «Ja später vielleicht. Momentan nicht.» Wir setzen uns, also kann das Gespräch ja losgehen.

«Wie geht's dir?» «Gut. Danke und dir? Geht's dir besser seit deinem Unfall?» «Ja viel besser, danke» «Wie läuft's bei der Arbeit?» «Sehr gut.» «Und bei dir? Hast du die Schule schon fertig?» «Ja. Habe aber zuerst gearbeitet bevor ich mein Studium angefangen habe.» «Shum mir, veq vazhdo.» (Sehr gut, mach nur weiter so) «Ja muss doch» Mir fällt gerade ein Paar auf, dass 2 Tische weiter sitzt. Ich schaue sie an und merke, wie mich Mergim anschaut. «Ist was?» «Nein» lacht er «du schaust nur so ernst. An was denkst du?» Er schaut mich mit einem intensiven Blick an. Seine grünen Augen scheinen mich zu durchbohren. «Ach nichts» «Komm sag schon. Deshalb haben wir uns ja getroffen – um zu reden. Also schiess los» Ich schaue ihn an. «Bereust du es?» «Was denn?» fragt er überrascht. «Bereust du es mich kennenglernt zu haben? Deine Zeit verschwendet zu haben?» «Wie kommst du denn bitte auf sowas? Gebe ich dir dieses Gefühl?» «Ja. Nein. Nein ich weiss nicht. Ich frage ja nur.» «Nein ich bereue es nicht. Du bist genauso wie ich es mir vorgestellt habe.» Erstaunt schaue ich ihn an. «Ja. Ich wusste, dass du etwas schüchtern bist und nur im Internet so eine auf hart machst» «Wie bitte?» «Ja ist doch so» lacht Mergim. Sein Lachen ist kein Auslachen, sondern ein warmes Lachen. Ein gutherziges Lachen. Ich glaube, dass es ihm Spass macht mich zu ärgern. «Warts ab!» «Gerne doch. Solange du willst» Der Kellner bringt unsere Kaffees und geht wieder. «Was machst du eigentlich beruflich?» «Willst du die Wahrheit hören oder eine Lüge?» «Die Wahrheit natürlich» «Offiziell arbeite ich auf der Baustelle. Inoffiziell gehört mir die ganze Firma» «Aha. Wieso inoffiziell?» «Das ist eine lange Geschichte. Die Leute behandeln dich anders, wenn du Chef bist oder Geld hast» «Wow. Das sagt einer, der mit einem Maserati herumfährt.» «Hahaha. Ja bei dir habe ich ne Ausnahme gemacht. Ich wusste, dass du auf so materielles Zeug keinen Wert legst und es dich kaum beeindruckt» «Du kennst mich gut» sage ich. «Besser als du denkst» strahlt er mich an.

Das Gespräch verläuft so weiter. Ich habe wirklich das Gefühl, dass er mich besser kennt, als ich ihn. Während ich uns schon lange aufgegeben habe, scheint er sich noch an alles zu erinnern. An jedes Wort, an jeden Moment. Ich dagegen.. habe alles vergessen. Oder nur verdrängt? Ich weiss es nicht so genau. Mergim scheint echt ein liebevoller Mann zu sein. Ganz anders, als ich vermutet habe. Diesen Macho, lässt er gar nicht raushängen, obwohl er stark wie einer aussieht. So wie er aussieht, kann er jede haben. Wirklich jede, ohne Ausnahme! Umso mehr stelle ich mir die Frage, wieso er ausgerechnet mit mir Kontakt haben will? Ich möchte nicht sagen, dass ich hässlich bin oder so, aber es gibt durchaus schönere Frauen als mich.
Je länger das Gespräch dauert, desto offener und lockerer werde ich. Mergim versucht mich immer wieder zum Lachen zu bringen. Er erzählt mir von seiner Kindheit, seinen Ferien und seiner Familie. Dabei fällt mir ein, dass ich mit seiner Mutter ja bereits gesprochen habe. Soll ich es ihm erzählen? Was ist, wenn er wütend wird? Wütend auf seine Mutter? Das kann ich doch nicht tun. Ich erzähle es ihm lieber nicht. Das spielt doch eh keine Rolle mehr. Vorbei ist vorbei. Es wird Zeit nach vorne zu schauen.

SchicksalsschlägeWhere stories live. Discover now