Kapitel 8

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'Wo bist du? Haaaaallllooooo' Boah ey. Mergim hat sichtlich übertrieben. So viele Nachrichten. Es scheint so, als wäre er am Verzweifeln gewesen, als ich ihm nicht mehr zurückgeschrieben habe. 'Bin jetzt zuhause, war unterwegs sorry' schreibe ich ihm nur kurz zurück, als ich endlich zuhause in meinem Zimmer bin. Sofort kommt seine Antwort 'aha ja ok, sag doch wenn du einen Freund hast, dann schreibe ich dir auch nicht mehr' Was labbert der, frage ich mich. Was für ein Freund? 'Spinnst du? Wenn ich einen Freund hätte, würde ich dir nicht schreiben' 'Gut, dann bin ich ja beruhigt' Irgendwie finde ich das süss, wie er sich Sorgen macht, aber irgendwie auch zu anhänglich. Sowas mag ich gar nicht. Ich möchte meinen Freiraum haben und mich zurückziehen können, wann ich möchte. Wenn er jemanden braucht, den er an die Leine nehmen kann, dann ist er bei mir ganz falsch.

«Tiiinaaaaaa.» Mein Vater ruft mich und ich gehe nach unten ins Wohnzimmer. Als ich das Wohnzimmer betrete, fordert er mich gleich auf mich hinzusetzen. Ich setze mich gleich neben meiner Mutter. «Qendresas Eltern haben mich angerufen», fängt mein Vater an. Oha. Okay. Das ist bestimmt wegen der Verlobung. «Qendresa möchte unbedingt, dass du an ihrer Verlobung dabei bist.» «Ja ich weiss, hat sie mir auch schon gesagt.» «Hast du also ihr vorgeschlagen, dass sie mit ihren Eltern reden soll und ihre Eltern dann mit uns?», fragt mich mein Vater. «Nein! Das war ihre Idee. Sie wollte es unbedingt» sage ich ehrlich. «Okay. Ja auf jeden Fall sind deine Mutter und ich zu dem Entschluss gekommen, dass du gehen kannst.» Echt jetzt? Alleine? Nur ich? «Veq une ah?» (Nur ich?) «Ja» sagt mein Vater ruhig. Ich brauche einen Moment um darüber nachzudenken. Ich war noch nie alleine in Kosovo. Irgendwie fühle ich mich nicht gut dabei. Ich kann doch meine Eltern nicht einfach alleine lassen? Ich mache Ferien und die arbeiten hier weiter oder wie? Was ist denn das für eine dumme Idee? Meine Gedanken lasse ich mir nicht anmerken und bedanke mich bei meinen Eltern. «Wir wissen wie du bist und sind davon überzeugt, dass du schon wissen wirst wie du dich zu verhalten hast» sagt mein Vater. Ich nicke nur.

Ich gehe zurück in mein Zimmer und lege mich hin. Sofort schreibe ich Qendresa, dass meine Eltern mir erlaubt haben alleine nach Kosovo zu gehen. Sie freut sich natürlich sehr darüber. Ich dagegen weiss nicht, ob ich mich freuen soll oder nicht. Ich habe ein sehr schlechtes Gefühl dabei. Am besten ich frage meinen Bruder um Rat. Vielleicht sagt er ausnahmsweise Mal etwas Vernünftiges. Ich gehe in sein Zimmer, wo er wiedermal am Zocken ist. «Leon hast du kurz Zeit?» «Nein.» «Komm schon, es dauert nur eine Minute.» «Ich will nicht essen.» «Was für essen? Hallooo? Hörst du mir überhaupt zu?» «Fuck! Wegen dir habe ich verloren!» schaut er genervt zu mir herüber. «Ich habe noch keinen Hunger, ich komme später essen.» Ich verdrehe die Augen. «Leon!!» sage ich in einem etwas lauteren Ton. Er erschrickt und schaut mich verwundert an. «Ich rede nicht vom Essen! Ich brauche deinen Rat.» Sofort hört er aufmerksam zu. «Du? Meinen Rat? Das ist ja mal was ganz Neues» lacht er. «Ja ich weiss..» Sonst ist er immer der, der einen Rat braucht von mir. Ich bin immer die Besserwisserin. Ich erkläre ihm die Situation und frage ihn auch, ob das für ihn in Ordnung wäre. «Machst du Witze? Endlich geht mir keiner mehr auf die Nerven beim Zocken» lacht er. Oh Gott. Der ist durchgeknallt. «Nein Spass, Klar, mach das. Wenn sie es dir schon erlauben, wieso nicht? Mir würden sie sowas niemals erlauben haha» Da hat er Recht. «Ja aber, was ist mit unseren Eltern..?» «Ehm hallo? Du redest hier gerade mit dem Mann im Haus. Wenn sie jemand beschützen kann, dann bin das wohl ich.» Okay. Er ist durchgeknallt. Er zockt definitiv zu viel. «Gut, danke dir Bruderherz» Also steht das fest. Die Sommerferien werde ich doch nicht in der langweiligen Schweiz verbringen, sondern in Kosovo. Meine Vorfreude ist riesig! Ich kann es kaum abwarten.

Mergim erzähle ich es sofort. Er ist überhaupt nicht begeistert. Er findet es sogar schlimm, dass ich alleine in die Ferien gehe. Jemand müsse auf mich aufpassen, waren seine Worte. Was für ein Mist! Als könnte ich nicht selbst auf mich aufpassen. Immer bevor ich in die Ferien gehe, komme ich voll in Stress. Ich weiss nicht, was ich mitnehmen soll und was nicht. Boa hey! Chaos pur! Irgendwie schaffe ich es meinen Koffer zu schliessen. Endlich! Mein Flieger ist bereits übermorgen und in 5 Tagen würde Mergim fliegen. Er kommt aus Istog und ich aus Prishtina. Es wird lustig, habe ich das Gefühl.

Mein Vater und mein Bruder fahren mich zum Flughafen. «Hast du deinen Pass?» «Ja» antworte ich meinem Vater. «Vergiss nicht, dein Onkel wird dich am Flughafen abholen. Und rede bloss nicht mit den Taxifahrern. Hast du verstanden?» «Jaaaa» «Gut.» Mein Vater macht einen besorgten Eindruck. Wahrscheinlich bereut er es, dass er mir erlaubt hat, alleine zu gehen. Naja. Er kennt mich ja. Ich werde schon kein Mist machen und mit Fremden rede ich sowieso nicht. «Also hajt qika jem. Mos u halit e tfala krejve. (Also mein Mädchen, benimm dich und grüss alle) Komm gut an und melde dich sofort» Mein Vater umarmt mich und gibt mir einen Kuss auf die Stirn. «Schwesterherz vergiss nicht mir ein paar neue Games zu kaufen. Okay?» «Ja, mach mir ne Liste» «Wird aber ne lange Liste..» lacht Leon. «Egal» Ich umarme ihn. Langsam laufe ich Richtung Eingang und mein Vater und mein Bruder bleiben zurück. Ehrlich gesagt bin ich doch etwas eingeschüchtert. Vor allem ist der Flughafen in Zürich so riesig. Dazu kommt noch, dass wir schon lange nicht mehr geflogen sind, weil wir immer mit dem Auto gegangen sind. Irgendwie werde ich mich schon zurechtfinden. Los geht's.

Gut sind wir frühzeitig losgefahren. Ich habe eine Ewigkeit gebraucht bis ich endlich den Weg gefunden habe zum Gate. Der Flug würde ihn wenigen Minuten losgehen. Ich schaue mich um, niemand ist so alleine und verlassen wie ich. Ich sehe aus wie bestellt und nicht abgeholt. Haha. Naja. Endlich, die Türen öffnen sich und wir können in den Flieger. Im Flugzeug sitze ich neben einer Frau. Auf ihrem Schoss sitzt ihr Baby und neben sich hat sie noch eine Tochter, die nicht älter als 3 ist. Ich liebe Kinder, aber hoffentlich weinen die nicht.

Während des Flugs höre ich Musik. Obwohl die Musik in voller Lautstärke läuft, höre ich die Kinder neben mir weinen. Die Frau scheint überfordert zu sein, da beide gleichzeitig weinen. Ich frage mich, wo ihr Mann ist. Ich schalte meine Musik aus und versuche den kleinen Jungen auf ihrem Schoss irgendwie aufzumuntern. Plötzlich hört er auf zu weinen und schaut mich nur fragend an. Na super.. die Rolle als Clown habe ich auf sicher. Auch das Mädchen hört auf zu weinen und beide schauen mich an. Natürlich habe ich noch ein paar Spiele auf dem Handy, die ich ihnen zeige. Die Frau neben mir bedankt sich. In wenigen Minuten würden wir in Prishtina landen. Endlich bin ich da.

SchicksalsschlägeWhere stories live. Discover now