Kapitel 14

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Der nächste Tag. Ich habe unzählige Nachrichten von Mergim erhalten. Es kommt mir so vor, als hätte er kein Auge zubekommen. Irgendwie tut es mir sehr leid. Nach wie vor hat sich meine Einstellung nicht geändert. Ich werde es beenden, bevor es schlimmer wird.

Später treffe ich mit Anita in der Stadt. Ich erzähle ihr alles. Eigentlich habe ich damit gerechnet, dass sie mich davon abhalten würde, aber es kommt ganz anders. «Tina mach was du für richtig hältst. Wenn du dir keine Zukunft mit ihm vorstellen kannst, dann beende es. Verschwende nicht seine und deine Zeit.» Sie hat Recht. Ich möchte nicht mit seinen Gefühlen spielen. So will und werde ich nie sein.

Am Abend bitte ich Mergim mich anzurufen. Als er mich dann anruft, höre ich wieder seine Stimme und bekomme Gänsehaut. Wir reden ein bisschen, als ich dann sage, dass ich den Kontakt abbrechen will, weil ich mir keine Zukunft vorstellen kann. Er hört mich aufmerksam zu. Er sagt nicht viel, was mich sehr überrascht. «Verstehe. Also willst du alles aufgeben?» «Was soll ich denn aufgeben? Wir kennen uns doch kaum!» «Ich kenne dich besser als du denkst Tina! Du hast Angst! Du hast Angst wieder verletzt zu werden und das verstehe ich auch. Aber das ist kein Grund alles aufzugeben. Das ist nur eine Ausrede. Du kannst nicht dein ganzes Leben lang davor flüchten. Vor deinen Gefühlen flüchten. Das bist nicht du!» Ich bekomme Gänsehaut, wenn ich das höre. Ich merke wie mir mein Blut gefriert. Er hat so Recht! Aber trotzdem.. Ich weiss nicht was mit mir los ist. Ich weiss nicht, warum alles weg ist. Es ist mir egal, ob ich überhaupt mal heiraten werde. Es ist mir alles egal geworden. Einfach alles. «Tut mir leid. Du kennst mich nicht. Lösch einfach meine Nummer Mergim. Bitte melde dich nicht mehr bei mir. Das ist nur Zeitverschwendung.» «Gut. Ich renne keiner Frau hinterher. Wie du willst. Alles Gute.» «Danke. Dir auch.» Er legt auf ohne ein weiteres Wort zu sagen. Zuerst einmal atme ich tief ein und aus. Geschafft. Nun ist es vorbei. Er geht seinen und ich meinen Weg. Das ist das beste!

Es scheint vorbei zu sein. Mergim hat sich nicht mehr gemeldet. Ich habe kein Wort mehr von ihm gehört. Während dieser Zeit habe ich mich auf die Schule konzentriert und habe erfolgreich die Schule abgeschlossen. Zudem habe ich mich gegen ein Studium entschieden. Ich habe mir einen Job gesucht als kaufmännische Angestellte. Gott sei Dank habe ich ein tolles Team. Ich arbeite sehr gerne, weil ich wirklich einen aufregenden Job habe und es nie langweilig wird.
Mein Facebookprofil habe ich auch gelöscht. Das brauche ich nicht mehr. Was soll ich schon damit? Ausserdem nehme ich mir lieber Zeit für meine Familie und Freunde, als für fremde Menschen. Das halte ich für wichtiger. Seit ich angefangen habe in die Moschee zu gehen, haben sich auch meine Werte verändert. Ich fühle mich viel besser als vorher. Zurzeit lese ich den Koran. Sobald ich damit fertig bin, möchte ich anfangen die Bibel zu lesen. Der Glaube ist mir sehr wichtig geworden. Ich glaube auch, dass es mich ein wenig verändert hat. Natürlich zum Positiven. Meine Eltern stressen ab und zu, wann ich denn endlich heiraten würde. X-Männer haben sie mir schon vorgestellt. 'Schreib doch mit ihm, lern ihn kennen' sind ihre Wörter. Ich hasse das so! Ich werde mich verlieben, wenn die Zeit reif dafür ist. Bei Albanern dreht sich alles nur ums Heiraten. Als gäbe es keine anderen Sorgen auf dieser Welt. Was mich richtig ankotzt. Leon hat seine erste Freundin. Irgendwie finde ich es süss. Luana heisst sie. Albanerin. Aber ich finde, dass sie noch zu jung dafür sind. Es wäre besser, wenn sie sich auf ihre Ausbildung konzentrieren würden. Das Heiraten kommt schneller als ihnen lieb ist. Davon könnte ich sogar ein Lied singen, so sehr wie es mir bereits raushängt.

Bei der Arbeit ist die Hölle los. Irgendwie sind alle in Stress und wollen von dir etwas haben. Es war noch nie so schlimm wie heute. Ich konnte es kaum abwarten endlich zu Hause zu sein, als mir auf einmal Anita schreibt: 'Hey bin gerade in der Nähe. Hast du Bock später was trinken zu gehen?' 'Ja klar. Wann?' 'Gleich nach der Arbeit.' 'Okay.' Anita wohnt neu in Winterthur. Sie ist mir ihrer Familie dahingezogen. Ich dagegen wohne im Kreis 4. Im schlimmsten Viertel von Zürich, aber was soll's.
Anita holt mich nach der Arbeit ab. Es ist gerade Abendverkehrt und die Strassen von Zürich sind voll. Sie hat etwas Verspätung, als sie schliesslich bei mir eintrifft. Wir gehen zusammen an den See und suchen uns eine gute Bar aus.
Fitim, Anitas Freund, würde später auch noch kurz vorbeikommen. Die beiden sind so glücklich miteinander. Sie sind wirklich ein Vorbild für alle Paare dieser Welt. Und ich gönne es ihnen von Herzen. Ich schlürfe an meinem alkoholfreien Cocktail, als plötzlich meine Mutter anruft. Ich unterbreche Anita, die mir gerade was am Erzählen ist: «Wart kurz, meine Mutter ruft an. Wahrscheinlich fragt sie nur wo ich bin, oder ob ich ihr was kaufen kann», lache ich. «Mütter halt» lacht Anita. Als ich das Telefon abnehme, fragt mich meine Mutter wo ich bin. Ich muss grinsen, weil ich genau wusste wieso sie mich anruft.

«Ja mit Anita in einer Bar» «Wann bist du zu Hause?» «Weiss nicht. Bald» Auf einmal verändert sich die Stimme meiner Mutter als sie mich fragt: «Hast du mit Mergim noch Kontakt?» Mir bleibt mein Herz stehen. Woher kennt sie Mergim? Auch Anita scheint an meinem Blick zu merken, dass irgendwas nicht stimmt. Langsam antworte ich meiner Mutter: «Nein. Wieso?» Meine Mutter atmet tief ein und sagt: «Mergims Mutter hat zu Hause angerufen vor ein paar Minuten. Sie hat nach dir gefragt.» Oh mein Gott. Was will sie von mir? Ich bin sprachlos. «Und was hast du ihr gesagt? Was will sie von mir?» «Ja, dass du später nach Hause kommst. Sie hat zudem noch gefragt, ob du und Mergim zusammen seid.» Okay. Mich trifft der Schlag. Mein Herz beginnt zu rasen und meine Hände zittern. Anitas Blick scheint Bände zu sprechen. Sie möchte wissen, was ich habe. «Und dann?» frage ich meine Mutter. «Sie hat gesagt, dass sie mit dir reden muss. Sie ruft später wieder an.» Immer noch voll aufgedreht, kann ich es nicht fassen. Ich kann das nicht glauben. Was will sie von mir. Wieso meldet sie sich? Mergim und ich haben seit Monaten keinen Kontakt. Schon fast ein Jahr. Ich verstehe das nicht. «Noch was Tina..» Was kommt den noch frage ich mich? «Diese Frau hat ziemlich verzweifelt geklungen. Sie hat gemeint, dass Mergim im Krankenhaus ist.» Schock!!! Ich kriege kein Wort heraus. Ich bin fassungslos. Es kommt mir vor, als würde die Zeit stehen bleiben. Ich höre meine Mutter nicht. Ich höre die Musik in der Bar nicht. Anita redet irgendwas. Ich höre sie nicht. Ich kriege mich nicht ein. «Und wieso?» frage ich langsam mit zittriger Stimme meine Mutter. «Ich weiss nicht. Darüber möchte sie mit dir reden.» Noch nie in meinem ganzen Leben war ich so sprachlos. Noch nie. Mir fehlen die Worte.

SchicksalsschlägeWhere stories live. Discover now