Kapitel 1

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Es ist das erste Mal, dass ich die Bedeutung von Glück verstehe. Sanft streichle ich ihre Hand. Ihre Finger sind so klein und zerbrechlich. Sie ist ein Geschenk. Neben mir steht er und hält meine Hand. Seine Augen strahlen vor Stolz. Sein Glück kann er nicht fassen, genauso wie ich es nicht fassen kann. Die Kleine schläft und alles scheint perfekt zu sein. Es scheint so, als würde sich die Welt nur noch um uns drei drehen. Nur um uns. Doch die Realität holt mich schneller ein, als mir lieb ist.

«Beeil dich mal! Wenn wir wegen dir den Bus verpassen, wirst du mich nach Hause tragen müssen!» Erst jetzt realisiere ich, wo ich bin. «Was ist los mit dir?» Anita schaut mich besorgt an. «Nichts», antworte ich knapp. Mehr habe ich nicht zu sagen. Dieser Traum verfolgt mich schon seit Nächten und jetzt auch noch am Tag. Langsam wird das eher zu einem Alptraum. Ich verdränge meine Gedanken schnell wieder.

Es ist ein wunderschöner Sommertag. Der strahlend blaue Himmel, die Sonnenstrahlen. Wow. Einfach hammer. Endlich Sommerferien! Was ist das Beste an der Schule? Natürlich die Ferien!
Anita läuft fröhlich neben mir. «Na? Was steht bei dir an?» «Keine Ahnung. Wahrscheinlich gehe ich nach Kosovo. Wann genau weiss ich noch nicht.» «Oh du Ratte, nimm mich mit!» «Haha, komm mit.» «Ja ja klar», kichert Anita. «Nein oj Qur (du Truthahn) ich meine es ernst.»  «Okay ich frage meine Eltern.» Wir schlendern zur Bushaltestelle und warten bis der Bus endlich kommt.

Auf einmal läuft ein Typ vorbei. Ich beachte ihn nicht, wieso auch? «Schau mal wer das ist.» Anita drückt mir ihren Ellenbogen in die Rippen. Ich blicke nach oben. Na super! Der hat mir gerade noch gefehlt. Gegenüber von uns wartet er auf den Bus. «Sag mal, habt ihr noch Kontakt?» «Spinnst du?», sag ich vorwurfsvoll. «Ja chill, ich frage nur.» Kurz darauf schaue ich weg. Obwohl ich ihn nicht ansehe, merke ich, wie er mich anschaut. Wieso ich das weiss? Tja, Frauen merken sowas.
Na endlich, der Bus ist da. Schnell steige ich ein, damit ich seine Visage nicht weiter ertragen muss. Anita setzt sich gleich neben mich hin. Ich stecke meine Kopfhörer rein und schalte mein Umfeld aus. Asi ich weiss, aber was soll's.

«Vergiss nicht deine Eltern zu fragen», sage ich noch schnell, bevor Anita aussteigt. Sie nickt mir zu und steigt aus. Ich bin froh sie als beste Freundin zu haben. Es gab Momente, da hätte ich nicht gewusst, was ich ohne sie gemacht hätte.

Mein Name ist Dorentina und ich bin 18 Jahre alt. Wir wohnen seit x Jahren schon in Zürich. Mein jüngerer Bruder ist mein ganzer Stolz. Leon ich liebe ihn einfach.

Zuhause angekommen sehe ich bereits, dass wir Besuch haben. So viele fremde Schuhpaare. Oh man. Das hat mir gerade noch gefehlt. Ich gehe hinein und direkt in mein Zimmer. Ein kurzer Blick in den Spiegel und ab geht's. Unsere Nachbarin ist mit ihren Kindern zu Besuch gekommen. Ich liebe Kinder. Die Kleinen treiben mich aber in den Wahnsinn. Erschöpft lasse ich mich ins Sofa fallen. «Boll, jom lodh». (Genug, ich bin müde), sage ich zu den Kindern, die mir ständig auf den Rücken springen.
Die Nachbarin schaut mich erwartungsvoll an. Ich weiss nicht was sie von mir will. «Erzähl, was gibt's Neues?» Ich werfe meiner Mutter einen irritierten Blick zu. «Was genau meinst du?» Ich trinke einen Schluck Wasser. «Ja, du musst doch bald heiraten.» Das Wasser spritze ich aus meinem Mund heraus. Die Kinder fangen an zu lachen und meine Mutter schaut mich nur finster an. Hoffentlich habe ich mich verhört. «Ne, ich heirate nicht. Ich möchte studieren.» «Frauen studieren nicht. Sie heiraten und machen Kinder.» Was labbert die? «Wie kommst du denn bitte auf sowas?» Bevor sie etwas sagen kann, mischt sich meine Mutter ein. «Mejreme, nimm es ihr nicht übel. Sie hat das nicht so gemeint. Sie wird heiraten, aber erst nachdem sie ihr Studium begonnen hat.» Mein Mund steht bereits offen um noch etwas zu sagen, aber der Blick meiner Mutter spricht Bände. So in dieser Art: Wage es nicht noch etwas zu sagen. Also lasse ich es. Die Unterhaltung führt zu nichts. Ich packe meine Sachen und verschwinde in mein Zimmer.

Kurz darauf lege ich mich aufs Bett. Boah, einfach chillen und nichts tun. Traum! 'Hey Anita, hast du deine Eltern schon gefragt?' schreibe ich ihr bei WhatsApp. 'Ja, aber vergiss es. Ich darf nicht.' Sehr schade, trotzdem kann ich mir ein Grinsen nicht verkneifen. Typisch albanische Eltern. Man darf nicht einmal zu einer Freundin übernachten gehen, geschweige denn mit ihr in die Ferien. Aber was soll's. Ein Versuch war es wert.

Es wurde bereits dunkel und ich mache mein Bett zu Recht und schalte den TV ein. Nichts, absolut nichts läuft im TV. Gelangweilt scrolle ich bei Facebook hinunter. Glückliche Paare, Verlobungen, Hochzeiten und so weiter. Die ganze Palette. Ich kann mir weiter diesen Mist nicht geben und schalte den Laptop aus.
Ich schliesse meine Augen und sehe sein Gesicht. Seine strahlend blauen Augen. Blau wie der Ozean. Einfach nur unglaublich. Wenn alle Männer so sind, werde ich nie heiraten. 2 Monate sind es nun schon her, seit wir Schluss haben. Ihn heute wieder an der Bushaltestelle zu sehen, hat schon ein wenig weh getan. Aber was soll man machen? So nimmt das Leben seinen Lauf. Wer einmal betrügt, betrügt immer und immer wieder. 'Kein Bock auf eine Kinderbeziehung' 'Wir können später ja wieder Kontakt haben' Ey seine Worte gehen mir nicht aus dem Kopf. Was für eine Kinderbeziehung? Nur weil ich seine Hand halte, anstatt ihm meine Zunge in den Hals zu stecken? Nur weil ich lieber das Gespräch suche? Nur weil ich jetzt seinen Ansprüchen nicht passe, will er mich für später aufbewahren? Vergiss es. Nicht mit mir.
Da bin ich lieber Single, als in falschen Händen. Die Liebe kann warten. Sehr sehr lange warten.

So das ist das erste Kapitel. Ich wünsche euch viel Spass mit der neuen Geschichte ☺️

SchicksalsschlägeWhere stories live. Discover now