Das Video

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Nachdem Mila und Tom ihre Fahrräder geholt hatten, gingen sie mit Manu zu ihm nach Hause.
Dort wurden sie schon herzlich von seiner Mutter und lecker duftendem Mittagessen begrüßt.
Manu führte sie beide erst einmal in sein Zimmer. Dort machten sie zusammen ihre Hausaufgaben, bis die Mutter sie zum Essen rief.
„Das sieht ja richtig lecker aus!", lobte Tom die Mutter, als sie alle am Küchentisch saßen.
„Wo ist denn Papa?", fragte Manu.
„Der ist noch unterwegs. Ich glaube er ist gerade bei der Zeitung und lässt dort einen Artikel aufsetzte, wegen seinem geklauten Ruderboot. Mit Foto!
Er hofft wohl so ein paar Hinweise zu erhalten. Vielleicht erkennt ja jemand die Person auf dem Foto.
Wenn er nachher wiederkommt könnt ihr euch das Video auch anschauen, deshalb seid ihr doch hier? Oder sehe ich das falsch?", fragte die Mutter mit einem Grinsen auf dem Gesicht.
Sie verteilte die Spaghetti auf den Tellern und schlug noch eine Ladung Soße drauf.
„Guten Appetit!",sagte die Mutter und stach mit ihrer Gabel etliche Nudeln auf, die sie sich galant in den Mund schob.
Mila hockte da wie ein Häufchen elend. Sie stocherte nur in ihrem Essen herum. Langsam fand sie es Merkwürdig, dass sie keiner darauf ansprach, eine Meerjungfrau zu sein. Es müsste doch klar und deutlich auf dem Video zu sehen sein. Und das Manus Vater bei der Zeitung war, beunruhigte sie noch mehr. Dann würde die ganze Stadt sie als Meerjungfrau morgen in der Zeitung sehen.
Ihr wurde schlecht.
„Ist etwas mit dir?", fragte Manu's  Mutter, die Mila schon die ganze Zeit besorgt beobachtete.
„Nein, alles gut!", antwortete Mila Gedankenabwesend.
„Sie ist heute schon den ganzen Tag so komisch", erzählte Manu, „irgendetwas scheint sie zu bedrücken, sie will aber nicht mit der Sprache heraus rücken!"
Alle starrten Mila an und erwarteten, dass sie jetzt erzählen würde, was sie bedrückte.
Doch Mila wich den Blicken aus, senkte den Kopf und wurde rot. Um von sich abzulenken begann sie zu essen und fragte:„ Ist das mit schwarzem oder weißem Pfeffer gewürzt?" Etwas dusseligeres hätte sie echt nicht fragen können, dachte sie sich und wurde noch roter vor Scham.
Die Mutter wollte gerade antworten, da wurde die Haustür geöffnet und Manus Vater spazierte ein.
„Ich bin wieder zu Hause! Und ich habe tolle Neuigkeiten!", rief er beim herein kommen.
Da sah er erst, dass Besuch da war. Schnell begrüßte er Tom und Mila, nahm sich einen Teller und setzte sich zu ihnen.
Dann begann er zu erzählen: „Ich war eben bei der Zeitung für Anglerfreunde und habe einen Artikel aufsetzen lassen. Und die fanden meine Geschichte so gut, dass sie eine ganze Seite dafür opfern wollen. Und das Bild, dass ich ihnen gegeben habe wird über die halbe Seite gezogen. Das wird also alles schön groß zu sehen sein, so dass man es sehr gut erkennen kann. So meldet sich hoffentlich jemand, der die Person erkennt."
„Das ist ja toll, Schatz!", freute sich die Mutter mit ihm.
„Das finde ich auch. Und es war auch gar nicht mal teuer. Sie haben sogar von sich aus eine Belohnung ausgesetzt.
Liebling! Das Essen schmeckt heute aber wieder mal vorzüglich!", lobte der Vater mit vollem Mund.
„Danke!", sagte sie und drückte ihm einen Kuss auf die Stirn.
„Hast du gleich Lust Tom und Mila auch das Video zu zeigen. Sie sind sehr gespannt und wollen es auch mal sehen? ", fragte die Mutter ihren Mann.
„Aber natürlich! Je mehr es sehen, desto eher erkennt ihn jemand. Und desto eher können wir meinen Boot-Dieb das Handwerk legen." antwortete der Vater immer noch mit vollem Mund.
Mila, Tom und Manu waren schon fertig mit dem Essen, blieben aber am Tisch sitzen und warteten, dass auch Manus Vater fertig wurde.
Dann begleiteten sie ihn ins Wohnzimmer, wo er denn Überwachungsfilm einlegte. Gespannt starrten sie auf den Fernseher.
Die Aufnahme begann bei 18:30 Uhr. Man sah wie das Wasser sich an den Pfeilern des Steges brach. Die Wellen glitten ruhig vor und zurück. Auch das Ruderboot lag noch angebunden am Steg und schwankte ruhig auf dem Wasser. Lange Zeit passierte nichts.
Manus Vater nahm die Fernbedienung in die Hand und drückte auf schnell Vorlauf. Nun flossen die Wellen schneller hin und her. Bei 22 Uhr hielt der Vater das Band an und startete es wieder in normaler Geschwindigkeit.
„Jetzt wird es spannend!", flüsterte er um die Spannung zu heben.
Mila hielt die Luft an.
Wie gebannt starrte sie auf den Bildschirm.
Plötzlich sprang eine kleine Person in das Ruderboot und band es von Steg los. Man sah ganz deutlich, dass die Person nur einen Pyjama an hatte. Das Gesicht konnte man nicht erkennen, dass drehte sich zum Glück nicht zur Kamera.
Die Person nahm die Paddel in die Hand und ruderte aufs offene Meer hinaus.
Tom warf Mila einen ernsten fragenden Blick zu. Doch sie tat so als hätte sie ihn nicht bemerkt und blickte weiterhin auf den Bildschirm. Das Ruderboot war schon fast am Horizont verschwunden.
„Also ich kenne diese Person nicht. Tut mir leid.", sagte Mila.
„War das schon alles, was man sehen konnte?", fragte Tom, „oder sieht man vielleicht später noch mal was? Die Person muss ja irgendwann wieder zurück gekommen sein. Vielleicht nicht an diesem Steg, aber vielleicht in der Nähe! Die Kamera nimmt ja mit einem großen Winkel auf. Habt ihr euch das Band schon bis zum Ende angesehen?"
„Nein! Hey, dass ist eine gute Idee!", antwortete der Vater und drückte wieder auf vor Spulen.
Mila verbarg ihr Gesicht in ihren Händen. Deshalb hatten sie sie nicht darauf angesprochen, sie hatten es noch gar nicht gesehen. Wieso musste Tom das nur vorschlagen, sie hätte so schön unentdeckt bleiben können.
Lange Zeit geschah wieder nichts. Es wurde 4 Uhr, dann 5 Uhr.
Jetzt müsste sie gleich auftauchen, wusste Mila. Sie hielt den Atem an.
Und dann wurde es 6 Uhr. 2 schattenhafte Silhouetten näherten sich Unterwasser dem Steg.
Dann wurde der Bildschirm plötzlich weiß.
„Oh Nein! Jetzt muss die Batterie der Kamera wohl leer sein. Gerade jetzt!", sagte der Vater enttäuscht.
„Habt ihr das auch gesehen? Da war was im Wasser. Was glaubt ihr was das war?", fragte Manu aufgeregt.
„Ich habe keine Ahnung!", antwortete ihm Tom nachdenklich, „was meinst du Mila?"
„Ich weiß nicht was ihr meint, ich habe nichts gesehen.", in Wirklichkeit war sie richtig froh. Jetzt fühlte sie sich besser. Die zwei Schatten hatte sie auch gesehen, aber niemand könnte sie damit in Verbindung bringen. Es könnten auch genauso gut Delphine gewesen sein. Niemand würde auf Meerjungfrauen tippen. Die gibt es offiziell ja auch gar nicht.
„Das waren bestimmt Delphine. Oder einfach nur ein Schatten von einer vorbei fliegender Möwe.", sagte Mila.
„Da wirst du wohl recht haben. Wirklich schade das uns der Rest des Videos nicht weiter geholfen hat. Naja. Danke das ihr es versucht habt.", sprach der Vater.
„Ja es tut uns auch leid, das wir nicht weiter helfen konnten. Es hat aber Spaß gemacht.
Wir müssen jetzt aber los!", sagte Tom und stand auf.
„Och jetzt schon? Wie schade!", erwiderte Manu etwas traurig.
Mila war über einen so schnellen und plötzlichen Aufbruch auch überrascht. Aber irgendwie war sie auch froh.
Tom und Mila packten ihre Sachen zusammen und verabschiedeten sich noch einmal bei allen, als sie an der Tür standen. Dann schnappen sie sich ihre Fahrräder und fuhren Heim. Tom brachte Mila noch mit zu ihr nach Hause.
Er war ungewöhnlich ruhig. Sie sprachen kein Ton miteinander und hingen nur ihren eigenen Gedanken hinterher.
Als sie an Milas Gartentor angekommen waren, wollte Mila schon schnell Tschüss sagen und ihr Fahrrad in die Garage stellen.
Doch Tom hielt sie am Arm fest und zog sie ganz dich an sich.
„Willst du mir jetzt nicht endlich mal erzählen was los ist?", fragte er eindringlich.
„Hä? Ich weiß nicht was du meinst!" antwortete Mila und versuchte sich aus seinem Griff zu winden.
„Oh doch, dass weißt du ganz genau!", zischte er und drückte noch fester zu.
„Au, lass mich los!", schrie Mila. Tom lockerte erschrocken seinen Griff, ließ sie aber nicht völlig los.
„Ich habe dich erkannt! Vorhin, im Video. Das warst du! Du hast das Ruderboot geklaut!", konfrontierte er Mila und blickte ihr eindringlich in die Augen, „Aber warum? So kenne ich dich nicht. Wo bist du da nur hinein geraten? Hat dich jemand dazu gezwungen?"
„Ich war das nicht!", log Mila, „Ich bin nirgendwo rein geraten und auch sonst ist alles in Ordnung. Ich weiß nicht wie du darauf kommst das ich das sein soll?"
„Ich habe dich an deinem Pyjama erkannt. Das war dein Lieblingspyjama, den hast du mir erst vor kurzem gezeigt und außerdem, von der ganzen Statur, hat das haargenau zu dir gepasst. Ich habe da keinen Zweifel, das warst DU!", entgegnete er ihr voller Überzeugung.
„Da musst du dich täuschen, ich habe nicht so einen Pyjama, wie die Person in dem Video und ich war das auch nicht!", antwortete Mila wütend und riss sich los, „Und jetzt auf Wiedersehen!" Mila drehte sich einfach weg und ging ins Haus. Das Fahrrad ließ sie einfach auf den Rasen fallen.
Tom wusste nicht genau wie er ihre Reaktion jetzt deuten sollte. War sie so wütend geworden, weil sie nichts mit der Sache zu tun hatte oder weil er richtig lag mit seiner Vermutung, sie sich aber nicht verraten wollte.
Nachdenklich fuhr er nach Hause.

Mila lief in ihr Zimmer. Ihre anfängliche Wut war bereits verflogen, jetzt hatte sich die Angst und eine große Besorgnis breit gemacht.
Wie sollte sie ihr Geheimnis jetzt noch bewahren. Tom hatte sie erkannt und er würde sie immer wieder darauf ansprechen. Und wer weiß, morgen ist ihr Bild in der Zeitung, wer sie dann noch alles erkennen würde.
Es war bereits 22 Uhr. Sie machte sich Bett fertig, sagte ihrer Mutter Gute Nacht und begab sich wieder in ihr Zimmer.
Mila legte sich in ihr Bett, doch sie konnte einfach nicht einschlafen. Sie bemerkte, dass sie die Kette von Tom noch trug. Mila nahm sie ab und legte sie neben sich auf den Nachttisch.
Auf einmal verspürte sie großen Durst. Sie blickte sich in ihrem Zimmer um und entdeckte in einem Regal noch eine Wasserflasche. Doch sie hatte keine Lust noch einmal aufzustehen.
Sie seufzte. „Schade das ich keine Kräfte mehr habe!", dachte sie und streckte zum Spaß ihre Hand in Richtung der Flasche.
Plötzlich fiel die Flasche mit einem Rumps vom Regal.
„War ich das?", fragte sie sich überrascht.
Mila versuchte es erneut. Sie streckte ihren Arm aus und konzentrierte sich darauf, dass die Flasche zu ihr kommen sollte. Die Flasche erhob sich vom Boden und flog langsam zitternd in ihre Richtung. Mila spührte ein imaginäres Gewicht in ihrer Hand, das war ein ganz seltsames Gefühl, fand sie. Langsam näherte sich die Flasche Milas Bett. Dann, die Flasche war nun fast in Milas Reichweite, sprang sie auf und griff nach ihr. „Wie cool!", dachte sie, „aber irgendwie auch seltsam. Heute morgen war meine Kraft weg und heute Abend habe ich eine neue?"
Mila wunderte sich sehr darüber. Sie wollte ausprobieren ob sie ihre andere Kraft auch noch hatte oder sie gegen die andere ausgetauscht wurde.
Mila stellte die Flasche auf den Boden und ballte langsam ihre Hand zur Faust, während sie sich stark konzentrierte an etwas warmes zu denken.
Es funktionierte, im Wasser stiegen kleine Bläschen auf, das Wasser wurde warm.
„Hurra! Es geht wieder!
Aber trinken kann ich das nicht mehr, warmes Wasser,baah!", lachte sie in Gedanken.
Also musste sie wohl doch noch mal in die Küche gehen, wenn sie etwas trinken wollte.
Als sie zurück kam, legte sie sich fröhlich ins Bett und schlief friedlich ein. Die Freude darüber, dass sie ihre Kräfte nicht verloren hatte, ließen sie nicht mehr an Tom und den Zeitungsartikel denken.

Es gibt sie Wirklich!    Plötzlich MeerjungfrauWhere stories live. Discover now