Kapitel 36

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Die Natur hat ihre ganz eigene Art, die Zeit zu messen. Das Tageslicht teilt die Tage, der Mond die Monate und die Sonne die Jahre ein.

Einen längeren Zeitraum als ein Jahr gibt es für die Natur nicht.

Hat die Sonne ihren Lauf einmal um die Erde getan, geht es auch schon wieder von vorne los, ohne, dass man genau bestimmen könnte, wann welche Jahreszeit aufhört und wann die nächste Jahreszeit anfängt.

Kein Jahr ist exakt so wie ein anderes, doch im Großen und Ganzen ist der Ablauf jedes Mal der gleiche.

Schnee taut, das erste zarte Grün kämpft sich an die Oberfläche, wächst und erblüht. Die Blütenblätter fallen zu Boden, Blätter werden dunkelgrün, Früchte reifen an Bäumen und Sträuchern. Schließlich vergilben die Blätter, die Früchte werden verzehrt oder verfaulen, Frost erstickt das Grün wieder. Irgendwann fällt der erste Schnee.

Jeder kennt den Ablauf eines solchen Jahres. Es ist ein angenehm zuverlässiger Kreislauf. Ein Sommer kann mal verregnet und kalt, manchmal heiß und trocken sein, doch er ist und bleibt ein Sommer.

Es kann vergnüglich sein, diese kleinen Unterschiede zu beobachten und doch zu wissen, dass derselbe, vertraute Kreislauf immer wieder kehren wird. Es hat etwas Beruhigendes.

Und wer sollte dieses Gefühl besser kennen als ein Gärtner?

Finny liebte seine Arbeit. Er liebte es, draußen zu sein, sich frei zu fühlen und nach nichts Anderem zu leben als dem Rhythmus der Natur - nun, der letzte Teil stimmte vielleicht nicht ganz.

Schließlich gab es immernoch jenen Butler, der mit eiserner Disziplin dafür sorgte, dass im Haushalt alles seine Ordnung hatte.

Finny bewunderte Sebastian über alles und hatte stets Angst davor, den hohen Ansprüchen des Butlers nicht zu genügen. Umso mehr freute er sich darüber, dass Sebastian im letzten Jahr viel Zeit zusammen mit Master Ciel im Garten verbrachte, wo die beiden meistens in einer ruhigen Ecke saßen, Tee tranken und sich unterhielten.

Am Anfang war es ein kleinerer Skandal gewesen, dass Master und Butler plötzlich gemeinsam dasaßen, während Sebastian zuvor immer nur stumm neben dem Earl gestanden hatte. Doch da es keine wirklich bedeutende Veränderung für die anderen Hausbewohner darstellte, wurde das Thema schnell uninteressant.

Bard war froh, seine Ruhe vor Sebastian zu haben, Maylene war das alles ganz gleichgültig, solange sie den Butler ihres Herzens weiterhin umschwärmen konnte und Finny ... Finny freute sich irgendwie darüber, dass sein Master und sein großes Vorbild sich so gut verstanden.

Beide, vor allem aber Master Ciel, wirkten plötzlich viel fröhlicher, auch wenn der Earl dazu neigte, sich von Zeit zu Zeit etwas ... seltsam zu verhalten.

Sobald einer der Hausangstellten sich in Hörweite befand, war er manchmal sehr gemein zu Sebastian, doch kaum, dass scheinbar niemand mehr in der Nähe war, fing er wieder an, fröhlich zu sein und zu lachen.

Letzteres war wohl das, was die Angestellten am meisten verwunderte. Seit wann lachte der stolze, herrische junge Master?

Finny störte sich nicht daran, im Gegenteil. Er war erleichtert, zu wissen, dass es seinem Bouchan gut ging und dass dieser fröhlich sein konnte.

Wenn der Gärtner es sich recht überlegte, war Ciel Phantomhive so verändert, seitdem er von dieser geschäftlichen Angelegenheit vor einem Jahr aus London zurückgekehrt war. Das war derselbe Tag gewesen, an dem Lady Elizabeth den Hausherrn geschlagen hatte. Kurz darauf war die Verlobung abgesagt worden und die Lady hatte sich bisher noch nicht wieder im Hause blicken lassen.

Seitdem hatten sich die Hausangestellten die merkwürdigsten Theorien ausgedacht, wie die beiden Vorfälle zusammenhängen konnten.

Bard war der festen Ansicht, dass Bouchan seine Verlobte wohl mit einer Anderen betrogen hatte und insgeheim froh war, die Nervensäge loszusein, aber Maylene und Finny hatten sich das einfach nicht vorstellen können.

Eine Teuflische Liebe?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt