Kapitel8

6.7K 341 42
                                    

Noch Tage später hatte Ciel Augenringe in der gefühlten Größe von Wagenrädern, weil ihm besonders bei Nacht einfach nicht aus dem Kopf ging, dass er einen Herzschlag lang wirklich geglaubt hatte, Sebastian würde ihn im nächsten Moment küssen.
Seitdem tat der Earl im Bett ziemlich vieles, aber schlafen war nicht wirklich dabei.
Und dass er jetzt übermüdet und frustriert mitten in Londons überfüllter, lauter, schmutziger Innenstadt durch die Straßen lief, verursachte ihm Kopfschmerzen, die sich anfühlten, als würde Ciels Gehirn gerade Opfer von Bards Kochkünsten.
Der Auftrag der Königin, der den Earl in Begleitung seines Butlers hierher führte und einmal mehr nichts Gutes verhieß, trug nicht unbedingt zur Verbesserung seiner Laune bei.
Genauso wenig wie die helle Mädchenstimme, die klar und deutlich durch das Gemurmel der Massen um sie herum drang.
"Schau mal da drüben, Annie", kicherte sie. "Der hübsche juge Adelige mit dem dunkelblauen Anzug und der Augenklappe."
Damit war wohl Ciel gemeint.
"Du hast Recht", meldete sich eine zweite, tiefere Mädchenstimme zu Wort. "Der ist sieht wirklich gut aus. Aber schau dir mal seinen Butler an! Der ist echt umwerfend."
Das weiß ich, dachte Ciel bissig.
"Ich finde den Adeligen aber irgendwie süßer", meinte das erste Mädchen. "Sein Gesicht ist wirklich perfekt. Bis auf die Augenklappe jedenfalls. Aber hast du mal einen Blick auf sein verbliebenes Auge geworfen? Dieses Blau ..."
Gab es eigentlich noch irgendjemanden in ganz London der nicht gehört hatte, wie der junge Earl Phantomhive aussah? Aber er hatte gar nicht gewusst, dass er so gut bei Mädchen ankam ...
"Dann schau dir doch erstmal die Augen von seinem Butler an. Die sind rot, fast wie Blut! Sowas hast du noch nicht gesehen! Und die Haare erst! Dieses Schwarz. Hach, und der Rest erst ... Die Lippen, Jane, die Lippen! Wunderschön ... Wie zum Küssen geschaffen."
Hach, dachte Ciel sarkastisch, gab es etwas Schöneres, als durch London zu laufen und sich anhören zu müssen, wie zwei Mädchen sich lautstark über die seine Vorzüge und die seines Butlers ausließen?
Ja, es gab etwas Schlimmeres.
"Hey, Jane, meinst du nicht, die beiden würden ein hübsches Paar abgeben?" Das Mädchen - Annie hieß sie, oder? - kicherte verdorben. "Da würde ich nur zu gerne einen Blick in das Schlafzimmer werfen ..."
Ciel wurde blass. Warum musste er im Moment überall daran erinnert werden, wie sehr er Sebastian wollte? Gerade, als der Earl dabei war, vor Wut die Gesichtsfarbe von Grau nach Rot zu wechseln und den beiden Tratschtanten wenig höflich nahe zu legen, ihre Gespräche zu Hause weiter zu führen, kam ihm das Schicksal auch schon zuvor.
Dieses Mal in Gestalt von Mary. Wie vom Blitz getroffen erstarrte der Junge mitten in seiner Bewegung. Die hatte ihm gerade noch gefehlt.
Freudestrahlend kam sie direkt auf ihn und Sebastian zu.
Wieder wich alle Farbe aus Ciels Gesicht.
"Hallo, Earl Phantomhive!", rief sie in ihrer fröhlich-schüchternen Art, als vor den beiden neu ernannten Mädchenschwärmen stehen blieb.
"Ähm, hallo, Mary", nuschelte Ciel nervös und bemühte sich, desinteressiert auszusehen, während seine innere Stimme das Mädchen am liebsten mit 'Stirb, du Miststück!' begrüßt hätte.
"Haben Sie etwas dagegen, wenn ich mir Ihren Butler für einen Moment ausleihe?", fragte sie mit einem zuckersüßen Lächeln auf den dunkelrot geschminkten Lippen.
Bevor Ciel sie anschreien konnte, ihre Finger gefälligst von dem anderen Mann zu lassen, schleifte sie Sebastian auch schon am Arm mit sich.
"Es dauert nur eine Minute", rief sie dem Earl noch breit grinsend zu, bevor sie außer Hörweite war.
Eiskalter Zorn packte Ciel, als er sah, wie Mary keine zehn Meter entfernt eine ganze Spur zu vertraut mit Sebastian tuschelte.
Überrascht stellte er fest, dass die Teeverkäuferin fast genauso groß war wie der Butler. Und der war selbst für einen Mann ziemlich groß.
Und hübsch war sie auch, stellte Ciel ärgerlich fest. Die langen, schwarzen Locken standen ganz im Kontrast zu der feinen, weißen Haut des ebenmäßigen Gesichts, was dem Mädchen einen Hauch von düsterer Exotik gab.
Dennoch war sie nicht der Typ von Schönheit, der einem sofort ins Auge sprang, sondern überraschend unauffällig.
Auf jeden Fall nicht das, woran Ciel gedacht hätte, wenn er sich die Frau hätte vorstellen sollen, die es schaffte, Sebastians Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
Andererseits ... was hätte er sich überhaupt vorgestellt? Eine wunderschöne, verwunschene Prinzessin etwa? Oder eine bettelarme Schönheit mit dem Herz einer Heiligen?
Das hier war doch kein Märchen, Dämon hin oder her.
Da fiel Ciel ein, was Sebastian ihm über Dämonen und Menschen erzählt hatte.
Ob Mary davon wusste?  "Meinst du nicht, dass das gerade eben ein wenig verdächtig war?", beklagte sich Sebastian, nachdem Mary ihn zur Seite genommen hatte.
"Dummkopf", meinte das Mädchen grinsend. "Das passt doch hervorragend in den Plan, findest du nicht?"
"Was bitte passt in den Plan?"
"Dass Ciel den Verdacht hegt, zwischen uns beiden könnte mehr sein als nur gute Bekanntschaft." Sie sagte es mit einer so kühlen Selbstverständlichkeit, dass Sebastian einen Moment gar nicht wusste, was sie da überhaupt gesagt hatte.
"Du meinst doch nicht etwa ... Er soll doch nicht denken, wir beide hätten ... ein Verhältnis?" Der Butler war überrascht. Der Gedanke war ihm keine Sekunde lang gekommen.
Obwohl Mary ihm zwischen den Zeilen gestanden hatte, ihm durchaus nicht abgeneigt zu sein, erschien es ihm als so vollkommen abwegig, dass ihre Beziehung jemals über Freundschaft hinausgehen könnte, dass er bisher keinen Gedanken daran verschwendet hatte.
Aber wenn sie meinte, dieses Gerücht könne hilfreich sein, vertraute er ihr.
"Wie läuft die Sache mit Bouchan?", fragte Mary jetzt frei heraus. "Ich gehe nicht davon aus, dass du ihn schon rumgekriegt hast, oder? Sonst würdest du wahrscheinlich nicht so sehr das Bedürfniss in mir wecken, dir vorsichtshalber einen Sarg beim Bestatter reservieren zu lassen."
Bei dem Gedanken an den exzentrischen – oder besser gesagt, komplett durchgeknallten – Bestatter mit dem bezeichnenden Namen Undertaker lief es Sebastian eiskalt den Rücken herunter. Sah er wirklich so furchtbar aus, demnächst möglicherweise Kunde bei selbigem zu sein?
„Nein, Bouchan hat sich mir noch nicht genähert", sagte der Butler kühl und versuchte angestrengt, die Enttäuschung in seiner Stimme zu verbergen.
„Kein Grund, so förmlich zu sein, Sebastian." Was musste eigentlich geschehen, damit dieses Mädchen ihre gute Laune verlor?
Der Angesprochene seufzte laut. „Wie du meinst. Aber wenn diese Aktion noch lange weiter geht, bin am Ende noch ich derjenige, der daran zugrunde geht."
„Mein Angebot steht noch", erinnerte ihn Mary augenzwinkernd. „Aber ich glaube nicht, dass ich mit Ciel mithalten kann. Wie weit bist du denn bei ihm schon gekommen?"
Da war es schon wieder, dieses Angebot. Das Mädchen meinte es anscheinend wirklich ernst. Aber es gab nur eine Person auf der Welt, die Sebastian wollte, da hatte sie Recht. „Wie weit ich gekommen bin?", fragte der Butler unsicher.
„Ja. Was hast du bisher gemacht?" In Marys Augen zeichnete sich ein Ausdruck ab, der weit über Neugier hinausging. Fast beängstigend. Aber irgendetwas an ihr gab Sebastian das Gefühl, mit ihr über alles reden zu können. Dabei kannte er sie doch gar nicht ...
„Nicht viel. Ich berühre ihn zufällig beim Waschen oder wann immer sich mir die Gelegenheit bietet. Ich versuche, ihn zu verwirren. Ich glaube, es gelingt mir zu gut ..."
Das Mädchen nickte nur. „Verstehe. Aber das zeigt wohl in erster Linie, dass er nicht gänzlich unempfänglich für deine Annäherungsversuche ist ... Noch was?"
Sebastian schluckte. Konnte er ihr das wirklich erzählen?
„Ich habe einmal versucht, Bouchan zu wecken, indem ich über sein Haar gestreichelt habe ... Außerdem habe ich ihm an dem Morgen weiße Rosen ans Bett gestellt." Seine Stimme wurde bei diesen Worten so leise, dass es ein Wunder war, dass Mary sie überhaupt verstand. Das war das erste Mal in seinem Leben, in dem der Dämon am liebsten rot geworden wäre. Es war auch das erste Mal, dass ihm überhaupt etwas peinlich war.
Aber Mary sah das anscheinend anders. „Das ist ja so romantisch", seufzte sie. „Wie hat er es aufgenommen?"
„Er war ... überrascht. Mehr hat er nicht dazu geäußert."
„Mhm", machte das Mädchen unentschlossen. „Warum ist der Earl bloß so schwer zu durchschauen?"
„Und da ist noch etwas ...", fügte Sebastian nach einer Weile hinzu.
„Was denn?"
„Ich weiß nicht, ob es wichtig ist, aber Bouchan wollte ... dass ich für ihn singe."
Der Ausdruck in den Augen der Teeverkäuferin war dieses Mal nicht nur mehr Begeisterung, sondern schlichtweg die reine Verzückung.
„Tatsächlich?", fragte sie mit dem Blick einer jungen Frau, der gerade ein Heiratsantrag gemacht worden war – inklusive Verlobungsring vom Wert einer durchschnittlichen Villa. „Wie wundervoll! Hast du es getan?"
„Selbstverständlich. Ich tue alles, was Bouchan mir befiehlt. Und ich habe es gerne getan", sagte Sebastian pflichtbewusst.
„Schon gut. Aber wenn er dich um so etwas bittet, ist der nächste Schritt nicht weit ...", prophezeite die Vampirin hintergründig.
„Ich weiß es nicht", erwiderte der Dämon nachdenklich. Ein Teil von ihm war bereits müde geworden von diesen Spielchen. Nicht, dass sie ihm nicht gefielen, aber er wollte, dass Ciel wirklich etwas für ihn empfand. Dass er ihm sein Herz und seine Seele schenkte.
Mary sah ihn mitleidig aus großen, hellen Augen an.
Dann tat sie etwas, das noch nie jemand bei Sebastian getan hatte: Sie ging einen Schritt auf ihn zu und schlang die Arme um ihn, wobei sie völlig außer Acht ließ, dass sie mitten auf der Straße standen, dass Ciel sie sehen konnte und dass der Mann in ihren Armen in Wahrheit ein Dämon war.
„Ich wünsche dir alles Glück, dass du verdienst", flüsterte sie leise an seinem Ohr. „Ich wünsche es dir wirklich."
Verwirrt war Sebastian im ersten Augenblick nicht fähig, zu handeln. Was sollte er tun? Mary von sich stoßen? Ihre Umarmung erwidern?
„Trottel", meinte sie schließlich und er konnte aus dem Augenwinkel erkennen, wie sie grinste. „Wir wollen Ciel doch vorspielen, wir wären ein Paar, oder? So wird er nie eifersüchtig."
Sebastian rang ein paar Sekunden mit sich selbst. Wollte er wirklich, dass Ciel so etwas dachte? Eigentlich nicht, aber eigentlich war ihm jedes Mittel recht, um dem Jungen irgendeine Gefühlsregung ihm gegenüber zu entlocken. Außerdem ... fühlte sich das hier gerade irgendwie auch gut an.
Vorsichtig, obwohl Mary kein bisschen zerbrechlich wirkte, drückte er das Mädchen einen Moment lang an sich, bevor sie sich wieder einen Schritt von ihm entfernte und ihm aufmunternd zunickte. „Jetzt geh schon wieder zu deinem Bouchan. Er wird nicht ewig Geduld haben."
Sie blickte zu dem Jungen herüber. „Oh, und wie ich sehe, ist er nicht so begeistert von dem, was ich gerade getan habe ... Die Aura seiner Wut lässt wahrscheinlich noch der Queen die Haare auf den Zähnen zu Berge stehen."
Sie lachte leise und machte sich gerade auf, weiterzugehen, als Sebastian sie noch einmal zurückhielt.
„Mary?"
„Was ist denn noch?"
„Danke."

Vielleicht wäre Gift eine Option ... Dazu müsste Ciel diesem Mädchen nur ein 'Präsent' der Funtom Company (mit einer kleinen Sonderzutat versehen) zukommen lassen. Nur würde sein Einfluß ausreichen, um hinterher die Spuren zu verwischen?
Eine Axt und ein provisorisches Grab im Garten des Phantomhive-Anwesens täte es wohl auch ...
Ciels düstere, blutrünstige Gedankengänge, wie er seine Nebenbuhlerin am effektivsten beseitigen konnte, wurden schließlich von einem Anblick unterbrochen, bei dem der Earl einen Moment lang glaubte, zu halluzinieren: Umarmte diese Schlampe gerade tatsächlich seinen Sebastian? Und das mitten auf der Straße, wo jeder sie sehen konnte – einschließlich Ciel?
Ja, sie tat es tatsächlich. Warum verspürte dieses Mädchen nur einen solch starken Wunsch, äußerst grausam zu sterben? Bevor der Eifersüchtige ihr diesen Wunsch gleich an Ort und Stelle erfüllen konnte, verabschiedete sie sich auch schon und der Butler eilte wieder zu seinem Master zurück.
„Sebastian!", wurde er von diesem sofort angefahren. „Hast du während deiner Arbeitszeiten nichts Besseres zu tun, als mit irgendwelchen Frauen, zu ... zu ..."
So sehr Ciel sich auch bemühte, ihm fiel einfach nicht ein, was der Butler gerade eigentlich mit 'irgendwelchen Frauen' getan hatte. Vielleicht wollte er auch nicht so genau darüber nachdenken.
„Verzeiht mir, Bouchan, aber Mary-san hatte noch etwas mit mir zu bereden", entschuldigte der Getadelte sich mit dem für ihn typischen teuflischen Lächeln. „Ist es Euch nicht recht, dass ich Kontakt zu anderen Menschen habe?"
Sebastians Offenheit ließ Ciel nach Luft schnappen. Ahnte er die Eifersucht des Jungen etwa?
„So ein Unsinn. Ich will nur nicht meine Zeit hier wegen dir vertrödeln."
„Dann sollten wir uns wohl beser beeilen, Bouchan."
Ciel antwortete lieber nichts und setzte sich wütend in Bewegung. Zum ersten Mal am heutigen Tag war er dankbar, gleich etwas zu tun zu haben, das seine Gedanken beschäftigen würde.

-------------------------------

So das wars dann auch heute mit dem Kapitel. Mein Hirn ist auch echt leer jetzt... Ich hoffe es hat euch gefallen. Lasst mir bitte ne Meinung da. Wie ihr es fandet. Was ihr denkt was in Zukunft passieren wird... So was würde mich echt interessieren.

Euer sam

Eine Teuflische Liebe?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt