Kapitel 1

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Ich befinde mich im Zug. Die Geräusche der Stadt schrillen viel zu laut in meinen Ohren. Es tut fast schon weh.

Die vielen Stimmen der Menschen sind nicht schön. Sie sind kratzig und haben nichts Sanftes an sich. Man kann aus ihnen die Arroganz der jeweiligen Menschen raushören.

Leise fange ich an zu singen.

Ich bin das einsamste Geschöpf der Welt.

Ein einsamer Wal.

Und ich singe ganz allein.

Keiner hört mich.

Die Worte beruhigen mich, sie schmecken wohltuend auf meiner Zunge, auch wenn ich ihren Klang nicht richtig wahrnehmen kann.

Ich sinke tiefer in meinen Platz hinein, als die Tür des Zuges aufgeht und ich bemerke wie ein paar Mädchen aus meiner Stufe eintreten.

Da gibt es zwar noch die anderen Wale, aber sie scheinen eine andere Sprache zu sprechen.

Ich schließe meinen Mund wieder und lege meinen Kopf an die Fensterscheibe. Ich kann das Meer sehen. Es schimmert im Sonnenlicht. Automatisch muss ich Lächeln. Magie ist für alle nur in der Kindheit möglich. Sie sind blind, blind für die Magie, die uns jeden Tag begegnet.

Ist es denn so schwer?

Die Augen zu öffnen und zu sehen?

„Kookie! Seit wann fährst du denn mit dem Zug?", höre ich Marlene fragen.

Ich schaue kurz zu ihnen rüber. Jungkook kratzt sich verlegen am Kopf: „Mein Fahrrad ist leider kaputt."

Ich wollte mir das Gespräch eigentlich gar nicht antun. Marlenes gespielte Interesse, es kotzt mich mittlerweile einfach nur an.

Ich atme schwer aus.

Manchmal konnte ich ihr aber nicht aus dem Weg gehen.

Ich schaue wieder aus dem Fenster.

Die Schule liegt am anderen Ende der Stadt, aber das ist nicht schlimm. Schließlich kann ich dafür das Meer auf der ganzen Fahrt über betrachten.

„Also, wir sehen uns Mädels, ich muss noch eine Karte kaufen!", ich höre, wie er vor ihnen flieht, oder sich einfach nur verabschiedet. Ich sehe aus meinem Augenwinkel, dass er an mir vorbei geht.

Sein Geruch weht mir ins Gesicht. Er riecht gut.

Schlagartig schüttele ich meinen Kopf. Was tat ich da?

Außerdem bemerkt er mich nicht einmal.

Was würde es mir bringen, mich in ihn zu verlieben?

Ich beobachte Marlene, wie sie Jungkook mit hochgezogenen Augenbrauen hinterher blickt.

Was hat sie jetzt schon wieder?

Sie wirbelt eine ihrer blonden Haarsträhnen um ihren Zeigefinger und blickt nachdenklich drein. Nach einiger Zeit dreht sie sich wieder zu ihren Freundinnen um.

Wieso habe ich gerade das Gefühl, dass sie mich gesehen hat?

Ist ja auch egal. Begrüßen tat sie mich sowieso nie.

Sie redet mit den anderen weiterhin über Make-up und Mode, das sind genau die Themen, für die ich mich nicht interessiere.

Hm.

Eine weibliche Stimme aus dem Lautsprecher teilt mir mit, dass es nur noch zwei Stationen bis zur Schule sind.

Ich bemerke eine alte Dame, die in meiner Nähe steht. Ohne viel zu überlegen stehe ich auf und dränge mich zum Ausgang. Ich lehne mich an die Scheibe links der Tür und sehe, wie die alte Dame sich erleichtert auf meinen Platz sitzt.

Ich muss etwas lächeln. Auch wenn ich jetzt hier so eingequetscht stehe.

Die Leute drängen sich umher. Es ist nicht auszuhalten.

Der Zug hält an und ein paar Leute steigen aus.

Ich atme erleichtert aus. Der Abstand zu den anderen Fahrgästen ist jetzt halbwegs ertragend. Der Zug setzt sich wieder in Bewegung.

Ich hole meinen MP3Player aus der Tasche und stöpsele mir einen Kopfhörer in das linke Ohr. Ich klicke mich durch die ein paar Lieder, als der Zug ruckartig anhält.

Ein paar Leute verlieren ihr Gleichgeweicht und stolpern herum, fangen sich dann aber schließlich, als plötzlich jemand neben mich knallt.

Zuerst kann ich nur seine kurzen schwarzen Haare sehen. Er hat seine Hände neben meinem Kopf abgestützt, einmal links und einmal rechts.

„Sorry!", meint Jungkook, als er seine Hände von den Scheiben nimmt und einen Schritt zurückgeht.

Ich atme ein und mir fällt auf, dass ich bis gerade die Luft angehalten habe. Ich versuche ruhig zu bleiben. Meine Finger halten den MP3Player ganz verkrampft.

Ihm fällt das auf und er verbeugt sich vor mir: „Wirklich!"

Ich nicke immer noch etwas traumatisiert. Langsam entspanne ich mich wieder.

„Nanu, du trägst ja unsere Schuluniform!", bemerkt er.

Geht die Tür jetzt mal langsam auf?

Moment, erst jetzt begreife ich, was Jungkook gerade gesagt hat.

„Kookie! Sie ist doch in unserer Klasse", mischt sich Marlene in unser Gespräch ein.

„W-was?", fragt er ungläubig und schaut zwischen uns hin und her.

Ah, es ist irgendwie verständlich.

Wie ein Schatten habe ich mich immer verhalten.

Vielleicht bin ich sogar einer.

Ich bin immer da, aber die anderen interessiert es nicht. Oder vielleicht ist es einfach selbstverständlich, dass ich immer da bin.

Es ist schon irgendwie traurig.

„Das sah gerade voll lustig aus, weißt du das Jungkook?", meint Lucy schließlich in die Runde.

Wenn ich jetzt hier so stehe, ist es eigentlich ganz nett. Aber das ist nur so, weil er da ist. Wenn er weg wäre, würden sie sich weiterhin über diese langweiligen Themen unterhalten.

Und außerdem reden sie mit ihm und nicht mit mir.

Weil er ein Junge ist!

Marlene mustert mich kurz von oben bis unten und dreht sich dann zu den anderen.

Okay, so nett ist es dann auch wieder nicht.

Oder will sie, dass ich mich selber in das Gespräch einbringe?

Egal.


Die Zug Tür geht wie gerufen auf. Ich musste nicht einmal ‚Sesam öffne dich' sagen. Ohne viel zu zögern steige ich mittlerweile genervt aus und mache meinen MP3Player an. Den ganzen Weg über zur Schule höre ich Musik.

Warum können sie sich nicht einfach über Musik unterhalten?

Das würde mich auch interessieren!

Irgendwo hinter mir gehen sie bestimmt gerade.

Ich ignoriere den Gedanken und laufe weiter.

Vielleicht werde ich eines Tages jemanden erreichen.





BTS - Whalien 52 {Jungkook FF}Where stories live. Discover now